„Nature“-Umfrage Beschimpft, bedroht, körperlich attackiert: Wissenschaftler wurden in der Pandemie zur Zielscheibe

Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Charité, geht nach eigenen Angaben mit Sonnenbrille und Mütze raus, um nicht erkannt zu werden.
Berlin Ärzte und Virologen vor der Kamera und Epidemiologen, die auf Twitter Studien kommentieren: In der Pandemie ist das alltäglich geworden. Fachleute beziehen Stellung zu Fragen rund um Corona. Eine Umfrage der Fachzeitschrift „Nature“ unter mehr als 300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus mehreren Ländern wirft nun ein Schlaglicht auf die oft negativen Reaktionen, die ein Teil von ihnen wegen der Präsenz in der Öffentlichkeit erfahren hat. Es geht nicht nur um Hassbotschaften, sondern auch um Morddrohungen und seltener sogar körperliche Angriffe.
Vorweg: Es handelt sich nicht um eine wissenschaftlich begleitete, repräsentative Umfrage. Das Ausmaß des Problems lässt sich damit nicht exakt bemessen. Die Zeitschrift „Nature“ versandte Fragebögen an Experten und arbeitete dabei in mehreren Ländern mit Einrichtungen zusammen, die unter anderem Wissenschaftler-Statements an Medien verschicken (Science Media Centers). Es beteiligten sich 321 Experten, die mit Medien über die Pandemie gesprochen hatten. Die meisten von ihnen kamen aus Großbritannien, Deutschland und den USA.
Gut die Hälfte der Befragten gab an, manchmal, in der Regel oder immer nach Medienauftritten Troll-Kommentare oder persönliche Angriffe erlebt zu haben. Die negativen Folgen der medialen Präsenz reichen demnach bis hin zu Morddrohungen in 47 Fällen, sechs Wissenschaftler gaben an, körperlich attackiert worden zu sein. Einzelne berichten auch von aggressiven Mails, gehackten Accounts oder Webseiten und Beschwerden an den Arbeitgeber.
In einem „Nature“-Artikel mit Fallbeispielen werden Reizthemen deutlich: Der australische Epidemiologe Gideon Meyerowitz-Katz etwa nannte zum einen - erwartbar - Impfungen. Die meisten Drohungen aber habe er überraschenderweise von Menschen bekommen, die das Anti-Wurmmittel Ivermectin als angebliches Präparat gegen Covid-19 verteidigten. „Leute mailen mir anonym von komischen Accounts „Ich hoffe du stirbst“ oder „Wenn du in meiner Nähe wärst, würde ich dich erschießen““, wird Meyerowitz-Katz zitiert. Auch die Frage des Virusursprungs ist laut Bericht ein heißes Eisen.
Gefahr von Rückzug und Selbstzensur
In der Fachwelt wird befürchtet, dass Hassbotschaften zu Rückzug und Selbstzensur von Expertinnen und Experten führen und deren Kollegen abschrecken könnten, selbst öffentlich aufzutreten. In der Umfrage gaben besonders häufig von persönlichen Angriffen und Troll-Kommentaren Betroffene auch am ehesten an, dass dies ihre Gesprächsbereitschaft mit Medien enorm beeinflusst habe.
Um ein neues Phänomen handelt es sich laut Kommunikationsexperten zwar nicht. „Die Pandemie wirkte jedoch wie ein doppeltes Brennglas. Alle Dynamiken, die wir in der Forschung bereits beschrieben hatten, traten nun in hoher Konzentration und Blitzgeschwindigkeit zutage“, erklärte Konstanze Marx von der Universität Greifswald. Sie sehe Handlungsbedarf im „generellen Diskursklima“, also auch in Medien und Politik. Gebraucht werde ein Klima der Wissenschaftsfreundlichkeit.
Die „Nature“-Umfrage war zwar anonym, in Deutschland gibt es aber bekannte Betroffene, die massive Anfeindungen bereits vor einiger Zeit selbst öffentlich gemacht haben. Dazu gehört neben dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach etwa der Virologe Christian Drosten. Auch hatten Unbekannte im Oktober 2020 laut Polizei Brandsätze auf ein Gebäude des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin geworfen.
Charité-Wissenschaftler Drosten berichtete vor rund einem Jahr bei einem Kongress in Berlin, welche Kehrseiten die Bekanntheit bis in den Alltag hinein hat: Da es ihm „ziemlich unangenehm“ sei, beim Einkaufen angestarrt zu werden, gehe er mit Sonnenbrille und Mütze raus, um nicht erkannt zu werden. Zu seinem Umgang mit Hass sagte Drosten damals: „Alles, was ich da machen kann, ist, das möglichst auszuklammern.“
Ein Trost bleibt, wie die Umfrage zeigt: Nach positiven Erfahrungen nach Medienauftritten gefragt, stimmten 83 Prozent der Aussage zu, sie hätten ihre Botschaft an die Öffentlichkeit bringen können.
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Ich schließe mich dem Kommentar von Frau Carina Triebe an. Das in dem Artikel genannte Problem ist zu großen Teilen durch die Politik und die Medien selbst zu verantworten. Ganz gleich, worum es geht, werden, bis dato angesehene Wissenschaftler diskreditiert, sobald sie anderer Auffassung sind, als aktuell politisch gewollt. Corona hat den Effekt lediglich verstärkt. Wenn dann auch noch Widersprüchlichkeiten und fehlerhafte Datenerhebungen, wie zuletzt bei der Impfquote, ans Tageslicht kommen, wird weiteres Vertrauen verspielt.
Es überrascht also keineswegs, dass die Wissenschaftler, die noch zu Wort kommen dürfen, in Teilen der Bevölkerung als fremdgesteuert angesehen werden. Dass dies allerdings zwischenzeitlich bis hin zu (Mord-)Drohungen geführt hat, ist, ohne Frage, inakzeptabel.
Um so mehr sollten die Medien verstärkt ihre vermeintliche Unabhängigkeit dazu nutzen, wieder beide Seiten der Medaille zu beleuchten und nicht mehr vordergründig nur das zu berichten, was dem Willen unserer Regierung zuträglich ist.
Ein Aspekt kommt für mich bei dem Artikel etwas zu kurz: Wissenschaftler, die eine abweichende Meinung zu dem gängigen Corona-Narrativ haben. Die es also auch mal wagen, einzelne Themen anders zu sehen, als die Experten, die von den Regierenden und der Presse als alleiniger Maßstab angesehen werden. Wie oft werden diese Wissenschaftler dann sofort von der Presse, Faktencheckern und Leserkommentaren in die Verschwörungsecke und auch direkt ganz an den rechten Rand geschoben? Manchmal auch nah am Hass, oft auf jeden Fall diskreditierend und herablassend. Das hat für mich auch mehr als ein Geschmäckle.
Es gibt noch einen weiteren wichtigen Grund für die Wissenschaftsfeindlichkeit, den der Havardprofessor Michael Sandel in seinem Buch "Vom Ende des Gemeinwohls" umfangreich herausgearbeitet hat: Die Leistungsgesellschaft wird von den Gewinnern des akademischen Bildungswegs dominiert. Deren Credo und alleinstellungsmerkmal sind faktenbasierte Darstellung der Welt. Die akademisch dominierte Leistungsgesellschaft hat ein Credo: Jeder kann es schaffen, wenn er sich nur genügend anstrengt. Für die Verlierer bedeutet dies eine doppelte soziale Ächtung: Ausschluß von guten Jobs und Verdienstmöglichkeiten und daran bist du selber Schuld. Wenn sich Menschen auf Dauer unfair behandelt fühlen, dann sind sie hochmotiviert sich an den Gewinnern zu rächen. Das nennt man altruistisches Bestrafen. Womit kann ich die Gewinner der akademischen Bildung am meisten bestrafen: In dem ich ihre Fakten leugne und ihnen damit jede Legitimation auf Bevorzugung aufgrund ihrer Leistung oder ihres akademischen Grads entziehe. Gleichzeitig habe ich die Legitmation die zu bestrafen, die im Gegensatz zu einem selber, die Gewinner der Leistungsgesellschaft sind. Daraus folgt: Das Ende des Diskurses und das auseinanderfallen der Zivilgesellschaft. Das alles ist in den USA und in Europa sehr gut zu beobachten.