Corona-Epidemie in Frankreich So will Frankreich das Virus stoppen und zugleich die Wirtschaft retten

Bars sind geschlossen, Restaurants geöffnet: Frankreich versucht, die Coronakrise mit flexiblen Maßnahmen in den Griff zu bekommen, ohne dass die Wirtschaft zu sehr leidet.
Paris Fast schien es, als hätte die französische Wirtschaft die Coronakrise schon überstanden: Das Land kam mit einer der stärksten Wachstumsraten in Europa aus der Rezession. Doch nun droht den Franzosen eine neue Prüfung gesundheitlicher wie ökonomischer Art: Die Infektionszahlen und die Auslastung der Krankenhäuser steigen seit September so schnell an, dass Premierminister Jean Castex am Montag selbst lokale Lockdowns nicht mehr ausschließen wollte: „Wenn man die Lage unserer Krankenhäuser sieht, dann darf man nichts mehr ausschließen.“
Tatsächlich grassiert das Coronavirus in Frankreich derzeit stärker als etwa in Italien. Und so nimmt der Premier das gefürchtete Wort „Confinement“ in den Mund – so heißt der Lockdown auf Französisch.
Angesichts der Wortwahl konnte man den Eindruck bekommen, alles gehe wieder von vorn los. Doch der Eindruck täuscht. Denn Frankreichs Regierung reagiert auf die steigenden Fallzahlen zwar mit Restriktionen für Wirtschaft und Bevölkerung, will den Wiederaufschwung dabei aber nicht gefährden. „Die Reaktion auf die Verschärfung der Epidemie ist derzeit schneller und feiner“, stellt Xavier Ragot fest, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts OFCE.
Die Exekutive versuche alles, um Restriktionen zu vermeiden, die alle Branchen treffen. Zwei Drittel der Franzosen attestieren ihr laut einer Umfrage vom Oktober, dass ihr Handeln die Wirtschaft schützen könne. Laut Banque de France sind 90 Prozent der Branchen weiter auf Expansionskurs.
Massive Einschränkungen in „scharlachroten Zonen“
Schon jetzt gibt es in vielen französischen Regionen massive Einschränkungen. In den „scharlachroten“ Zonen, denen mit der höchsten Alarmstufe, die mittlerweile für so gut wie alle französischen Großstädte gilt, mussten etwa Bars und Cafés schließen. Restaurants dürfen nur bis 22 Uhr und unter Einhaltung besonderer Sicherheitsvorschriften öffnen. Fitnesscenter sind geschlossen, Kongresse und Messen untersagt. Unter freiem Himmel dürfen sich maximal zehn Personen versammeln.
Die gesamte Gastronomie und das Eventgewerbe ächzen unter den Restriktionen. Aus Angst, sich in einer roten Zone aufzuhalten oder bei der Rückkehr in Quarantäne zu müssen, kommen deutlich weniger Touristen. Die ökonomischen Folgen könnte man als „Zweitrunden-Effekte“ bezeichnen: Dass weniger Touristen und Kongressgäste kommen, trifft nicht nur Hoteliers und Gastronomen, sondern etwa auch Großwäschereien. Und weil Hochzeiten ausfallen oder verschoben werden, erleben auch Druckereien einen Auftragsschwund.
Wirtschaftsminister Bruno Le Maire hat reagiert – und die Liste der Unternehmen ausgeweitet, die in den Genuss von Zahlungen aus dem Solidaritätsfonds gelangen können. Den Fonds gibt es schon seit dem Frühjahr. Anfangs galt er nur für Betriebe, denen im Rahmen des „Tourismusplans“ geholfen wurde.
Vergangene Woche wurden 81 neue Berufsgruppen aufgenommen, von A wie Aquakultur über B wie Bouquinisten – das sind die Bücherstände an Ufern der Seine – bis zu Z wie Zeltvermietung. In den meisten Fällen geht es um kleine und mittlere Unternehmen.
Wer mindestens 70 Prozent seines Umsatzes einbüßt, kann auf unbürokratische Weise bis zu 10.000 Euro monatlich als staatliche Unterstützung erhalten. „Das ist wie Helikoptergeld“, freut sich Fabrice Le Saché, stellvertretender Vorsitzender des Unternehmerverbands Medef. „Der Schutz der Gesundheit ist die wichtigste Variable, aber direkt danach kommt die Bewahrung der wirtschaftlichen Existenzen“, sagt Saché.
Schnell eingreifen, schnell lockern
Seit März habe man gelernt, dass Schnelligkeit das Wichtigste sei. Es gelte, rasch zu reagieren, wenn das Virus sich stärker verbreitet, und genauso schnell die betroffenen Branchen zu unterstützen. Zugleich müsse man Einschränkungen wieder rückgängig machen, wenn sie nicht mehr notwendig sind.
Manchmal geschieht das Aufheben der Auflagen erstaunlich schnell: Ende September ordnete Gesundheitsminister Olivier Véran in Frankreichs zweitgrößter Stadt Marseille an, dass alle Restaurants schließen mussten. Bereits eine Woche danach wurden die Maßnahmen wieder aufgehoben.
Die Kehrtwende erklärte sich aber nur zum Teil mit den gesunkenen Fallzahlen. Vielmehr hatte die Regierung mit Widerstand zu kämpfen. Mancher Gastronom drohte mit offener Rebellion gegen die Regeln– was einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen hätte. Wohl auch deshalb ruderte der Gesundheitsminister nach nur sieben Tagen zurück.
Insgesamt wirkt das oft von Protesten gekennzeichnete Frankreich derzeit erstaunlich einmütig. Sogar die streikfreudige Gewerkschaft CGT kann mit Langzeit-Kurzarbeit leben, die mit Opfern für die Belegschaft verbunden ist. „Unsere Kollegen vor Ort sehen auch, wie die Lage in den Betrieben ist“, sagte CGT-Chef Philippe Martinez. Seine grundsätzliche Linie – absoluter Vorrang für den Gesundheitsschutz, auch wenn die wirtschaftliche Aktivität darunter leidet – sei nicht immer durchzuhalten.
Insgesamt gebe es derzeit rund 10.000 betriebliche Vereinbarungen über langfristige Kurzarbeit, rechnet Unternehmerverbandschef Le Saché vor. Mit der Regierung stimme sich der Verband täglich ab, „das läuft sehr dynamisch und reibungslos“.
Auch Wirtschaftsforscher Ragot urteilt, dass die Regierung mit viel Fingerspitzengefühl beim Krisenmanagement vorgehe. Und die „als nörgelnd und maulend verschrienen Franzosen“ seien diszipliniert. Eine Mehrzahl von ihnen würde Umfragen zufolge sogar härtere Maßnahmen ertragen. Dazu wird es kommen, erwartet Ragot: Einschränkungen der Mobilität und lokale Lockdowns würden in den nächsten Wochen folgen, sollte sich die Epidemie nicht entspannen.
Betroffen wären davon wieder die ärmsten Franzosen, die überproportional häufig unter Covid-19-Erkrankungen leiden. Weil die Epidemie und deren wirtschaftliche Folgen diese soziale Schlagseite haben, will Ökonom Ragot trotz des ausgeprägten Konsenses auch keine Entwarnung geben: „Mit den Gelbwesten haben wir erlebt, wie schnell eine Bewegung der Unzufriedenen sich verbreiten kann.“
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