Debatte um Impfgegner „Die töten Menschen“ – Warum US-Präsident Biden ausgerechnet jetzt Facebook angeht

Die Impfkampagne des Präsidenten kommt nicht schnell genug voran. Nun droht den USA eine neue Corona-Welle.
San Francisco Joe Biden, in der Regel eher ein kontrollierter Charakter, war sichtlich erbost. Auf die Frage der Reporter nach einer Botschaft für Plattformen wie Facebook, auf denen sich irreführende Informationen über die Corona-Impfstoffe verbreiten, antwortete der US-Präsident: „Die töten Menschen. Schauen Sie, die einzige Pandemie, die wir haben, ist eine unter Ungeimpften.“
Er sagte nicht so etwas wie „im übertragenen Sinne“. Nein, der Präsident hielt US-Unternehmen vor, Menschenleben auf dem Gewissen zu haben – das Verhältnis zwischen Regierung und Silicon Valley war noch nie so zerrüttet.
Bidens Wutausbruch vom Freitag erregte in den USA öffentliches Aufsehen, am Montag dann bemühte er sich darum, seiner Aussage die emotionale Wucht zu nehmen. Nicht die Plattformen selbst seien es, die töteten, sondern die Akteure, die all die Fake News verbreiteten. „60 Prozent der Falschinformationen kommen von zwölf Leuten“, habe er übers Wochenende gelernt, sagte Biden. „Diese zwölf Individuen mit ihren Falschinformationen töten Menschen.“
Facebook, die größte Social-Media-Plattform der Welt, versuchte sich ebenfalls in Diplomatie, um die Stimmung nicht weiter anzuheizen. Das Unternehmen habe mehr als 18 Millionen Falschinformationen gelöscht, fahre eine „aggressive Linie“ und Wiederholungstäter würden ausgesperrt. Der Social-Media-Riese arbeite mit Gesundheitsexperten und Regierungsvertretern zusammen. Über drei Milliarden Mal seien überprüfte Covid-Informationen abgerufen worden, mehr als über jede andere Webseite.
Schon am Vortag hatte der oberste Gesundheitsbeamte der US-Regierung, Vivek Murthy, auf einen Teufelskreis in den sozialen Medien hingewiesen: „Like-Buttons“ etwa belohnten dafür, nicht korrekte, sondern „emotional aufgeladene“ Beiträge zu teilen.
Algorithmen sorgten dafür, dass Menschen immer stärker mit jenen Meinungen versorgt würden, die sie selbst gutheißen. Und so klickten sie sich immer tiefer in eine Meinungsblase aus Desinformationen hinein. Die ständige Präsenz von Fake News halte die Bürger aber davon ab, sich impfen zu lassen. Es seien diese Kampagnen, die die Pandemie verlängerten und Menschen in Gefahr brächten.
Biden kämpft mit Widerstand aus republikanischen Bundesstaaten
Biden kann so seine ambitionierten Impfziele nicht erreichen. Das weiß er. Daneben kämpft er mit Widerständen von bekannter Seite: Das wirtschaftlich schwache Tennessee etwa, ein stramm republikanisch dominierter Bundesstaat mit vielen Trump-Anhängern, hat angekündigt, jegliche Impfkommunikation für Jugendliche einzustellen. Keine Flugblätter oder Beratung mehr an Schulen, keine Erinnerungspostkarte für Impftermine, keine Impf-Infos auf Social Media. Das betreffe alle Impfungen, egal ob Covid-19, Diphterie, Kinderlähmung, Masern, Pocken oder Hepatitis, berichtet die Zeitung „Tennessean“ in Nashville.
In diesem Zuge wurde dann auch noch die oberste Virenbekämpferin des Bundesstaates, Michelle Ficus, gefeuert. Laut „Tennessean“ hatte sie lediglich Krankenversicherer daran erinnert, dass die Gesetze des Landes es erlauben, Jugendliche ab 14 Jahren auch ohne Einwilligung der Eltern impfen zu lassen. In Tennessee sind erst 38 Prozent der Bevölkerung zweifach geimpft. Zum Vergleich: In Kalifornien etwa sind es 51, in New York 55 Prozent.
Vor diesem Hintergrund muss Bidens Wutausbruch gesehen werden. Dass er sich später eher um eine nüchterne Einordnung der Problematik bemühte, ändert nichts an seiner Botschaft. Er habe die Hoffnung, dass Facebook etwas unternehme.
Ob die Tech-Industrie bereits genug tue, wisse er nicht, antwortete er ausweichend. Seine Pressesprecherin Jen Psaki versuchte ebenfalls, die Wogen zu glätten. Die Regierung spreche nicht davon, Maßnahmen ergreifen zu wollen, das sei „Sache des Kongresses“. Und sie fügte an: „Wir sind nicht im Krieg mit Facebook, wir sind im Krieg mit dem Virus.“
Mehr: Nicht alle Amerikaner wollen mitmachen: US-Impfkampagne stößt an ihre Grenzen.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.