Libanons Premier Hariris Doch-nicht-Rücktritt

Der libanesische Ministerpräsident lässt sich von seinem Volk feiern.
Beirut Endlich: Khodor Zuarour zückt sein Smartphone und hält es über die Menge. Menschen schwenken die blauen Fahnen von Saad Hariris Zukunftsbewegung, halten Bilder mit seinem Konterfei in die Luft. Eine Frau hat sich Libanons Nationalfarben auf die Wange gemalt. Orientalische Rhythmen krachen aus Lautsprechern und massieren die Eingeweide.
Der Mann auf den Zuaror mit tausenden Gleichgesinnten am Unabhängigkeitstag gewartet hat und den er jetzt auf seinem Handy heranzoomt: Saad Hariri. Anzug und Krawatte hat er gegen eine legere blaue Reißverschlussjacke getauscht. Es ist früher Nachmittag als Libanons Doch-noch-Premierminister erneut vors Mikrofon tritt. Diesmal steht er nicht vor dem Präsidentenpalast, sondern auf dem Balkon seiner Residenz im Zentrum der libanesischen Hauptstadt.
„Ich bleibe bei euch. Wir machen gemeinsam weiter“, sagt Hariri mit fester Stimme und lächelt. Er will die Stabilität des Landes sichern. Menschen jubeln, pfeifen, schreien, kreischen. „Dieser Tag wird in die Geschichte eingehen“, ruft ihnen Hariri zu. „Saad, Saad, Saad“, skandieren seine Anhänger. Hariri sagt noch ein paar warme Worte, dann verlässt er den Balkon und taucht in die Menge. Er posiert für Selfies und schüttelt Hände, die ihm aus allen Richtungen entgegen wachsen. Die libanesische Nationalhymne schallt aus den Musikboxen in der Beiruter Innenstadt.
Was seine Worte konkret bedeuten, wird sich erst in den kommenden Tagen und Wochen zeigen. Bis zum gestrigen Mittwoch gingen Beobachter davon aus, dass Saad Hariri nach einer fast dreiwöchigen Auslands-Odyssee in den Libanon zurückkehren werde, um seinen Rücktritt zu bestätigen. Diesen hatte er völlig überraschend am 4. November aus Saudi-Arabien verkündet, was viele Libanesen in eine Schockstarre versetzte. Angst machte sich breit, das überschuldete Land könnte in eine Währungskrise geraten.
Gestern Vormittag verkündete Hariri plötzlich, er habe dem Präsidenten seinen Rücktritt erklärt, dann aber Michel Aouns Bitte um mehr Zeit für Beratungen nachgegeben. Er werde seinen Rücktritt überdenken. Er hoffe, dass dies ein ernsthafter Beginn eines Dialogs im Libanon sein werde und freue sich auf eine „echte Partnerschaft“ mit Aoun und allen politischen Kräften. Zusammen wollen sie innerhalb der nächsten 15 Tage beraten, wie sich die Regierungskrise im Libanon entschärfen ließe.
Die überraschende Wende sei unter anderem den intensiven Vermittlungsversuchen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zuzurechnen, zitiert die libanesische Tageszeitung L’Orient le Jour eine Quelle aus dem Präsidentenpalast. Macron hatte in den vergangenen Tagen sowohl mit Regierungsvertretern Saudi-Arabiens, Israels, Ägyptens, der USA als auch mit Aoun gesprochen, einem politischen Verbündeten der Hisbollah.
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