Skandinavien Vierte Coronawelle erreicht Nordeuropa

Im Frühjahr hatte Norwegen strenge Einreisebeschränkungen eingeführt, diese aber später wieder aufgehoben.
Stockholm Bjørn Guldvog von der norwegischen Gesundheitsbehörde ist beunruhigt. „Wir sehen derzeit, dass die Kurven steil nach oben zeigen und demnächst die Krankenhausbelegung beeinflussen werden.“ Das erklärte er am Mittwoch. Nur zwei Tage später präsentierte der neue norwegische Ministerpräsident Jonas Gahr Støre seinen Landsleuten neue Einschränkungen.
„Wir müssen die Pandemie in den Griff bekommen. In der vergangenen Woche haben wir mehrere neue Infektionsrekorde verzeichnen müssen“, sagte er am Freitag und kündigte deshalb neue Maßnahmen an, um die Ausbreitung von Covid-19 zu bekämpfen.
„Wenn es die Situation erforderlich macht, können Gemeinden ab jetzt lokale Impfzertifikate vorschreiben, um beispielsweise Sportveranstaltungen oder Restaurantbesuche zu ermöglichen“, erklärte der sozialdemokratische Regierungschef, der erst seit einem Monat im Amt ist. Er wollte nicht ausschließen, dass die Zertifikatspflicht ausgeweitet wird, sollte sich die Pandemielage weiter verschlechtern.
Verschärfungen gelten auch für ungeimpftes Krankenhaus- und Pflegepersonal, das sich künftig zweimal pro Woche testen lassen muss. Eine dritte Impfung soll im kommenden Jahr allen Menschen über 18 Jahren angeboten werden. Über 65-Jährige bekommen die Boosterimpfung bereits jetzt.
Im Frühjahr hatte Norwegen strenge Einreisebeschränkungen eingeführt, diese aber später wieder aufgehoben. Derzeit seien keine neuen Maßnahmen geplant, versicherte Støre, wollte sie aber nicht ausschließen, sollte sich die Situation verschlechtern. Norwegen, das bis vor Kurzem relativ gut durch die Krise gekommen ist, musste in den vergangenen Tagen die höchsten Infektionszahlen seit Beginn der Pandemie notieren. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag am Freitag bei 201.
In Dänemark ist die Entwicklung besonders dramatisch
Das kleine skandinavische Land mit seinen knapp 5,4 Millionen Einwohnern steht mit der Corona-Entwicklung nicht allein. Nachdem sich die Coronasituation in den nordeuropäischen Ländern in den vergangenen Monaten deutlich verbessert hatte, sind die Infektionszahlen in den vergangenen Wochen wieder stark angestiegen. In Finnland mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von knapp 98 wurden der Coronapass und Begrenzungen der Besucherzahlen bei Veranstaltungen in Innenräumen wieder eingeführt.
Besonders dramatisch ist die Entwicklung aber in Dänemark. Das Land hatte im vergangenen Jahr als eines der ersten in Europa umfassende Restriktionen mit einem strikten Lockdown erlassen. Nachdem die Neuinfektionen auch wegen hoher Impfraten deutlich zurückgegangenen waren, entschied sich die Regierung, am 10. September dieses Jahres den „Freedom Day“ auszurufen. Sämtliche Einschränkungen wurden aufgehoben – keine Maskenpflicht, kein Impfpass, nichts, was sich vom Leben in der Vor-Corona-Zeit unterschied.
Offenbar war das jedoch zu früh. „Die Krankheit beginnt erneut größere Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und unser Gesundheitswesen zu haben. Deshalb erwarte ich, dass neue Initiativen notwendig werden, um die Infektionsketten brechen zu können“, erklärte die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen am vergangenen Sonntag. Zwei Tage später war es mit der neu gewonnenen Freiheit vorbei. Das Land klassifizierte Covid-19 wieder als eine „gesamtgesellschaftliche Bedrohung“.
„Wir müssen verhindern, dass sich das Virus frei ausbreitet“, sagte sie und kündigte die Wiedereinführung des Coronapasses an. Angesichts einer Sieben-Tage-Inzidenz von 296 muss seit Freitag wieder jeder Besucher eines Restaurants, einer Sportveranstaltung oder eines Konzerts nachweisen, dass er oder sie vollständig geimpft, genesen oder getestet ist. Vor den wiedereröffneten Testzentren bildeten sich nach Angaben von Danmarks Radio lange Schlangen.
Schweden, das vor allem im vergangenen Jahr mit seinem Sonderweg ohne Lockdown oder nennenswerte Einschränkungen des öffentlichen Lebens für weltweite Schlagzeilen gesorgt hatte, ist momentan von der vierten Coronawelle weitestgehend verschont geblieben. Die Inzidenz liegt bei nur knapp 52.
In Schweden sind einige Krankenhäuser wieder an der Kapazitätsgrenze
Allerdings warnte der üblicherweise optimistische Chefepidemiologe Anders Tegnell diese Woche vor allzu großer Freude über die niedrigen Infektionszahlen. Die hohen Inzidenzen in Europa seien „ein Weckruf für Schweden“.
Er erinnerte daran, dass Schweden auch bei der zweiten und dritten Welle immer ein paar Wochen hinter anderen europäischen Ländern hergehinkt habe. Aus den Krankenhäusern wurden in den vergangenen Tagen wieder steigende Einweisungen gemeldet. Einige Hospitäler sind bereits wieder an der Kapazitätsgrenze.
Umso verwunderlicher war, als vergangene Woche die neue Chefin der Gesundheitsbehörde, Karin Tegmark-Wisell, erklärte, das ein breit angelegtes Testen „nicht zielführend“ sei. Die Kritik an dieser Aussage ließ nicht lange auf sich warten. „Wenn man testet, findet man neue Fälle und kann sie isolieren. Die Verbreitung des Virus wird so gebremst“, erklärte Tom Britton, Professor an der Stockholmer Universität. Auch die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt breites Testen.
Die Regierung in Stockholm musste sich bereits vor zwei Wochen angesichts von über 15.000 Covid-Toten harsche Kritik von einer Untersuchungskommission gefallen lassen. Sie habe zu Beginn der Pandemie „zu spät und ungenügend reagiert“, heißt es in dem mehr als 400 Seiten langen Bericht der Kommission. Ein Abschlussbericht über die Arbeit der Regierung und der Gesundheitsbehörden zur Pandemiebekämpfung wird im Februar vorgelegt.
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