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Digitale Revolution

Ada Smart City Singapur – Zwischen Komfort und Kontrolle

Singapur möchte den Menschen in den Mittelpunkt des Fortschritts stellen – und könnte damit auch ein Vorbild für Europa sein.
22.11.2019 - 04:00 Uhr Kommentieren
Beliebtes Foto-Motiv: Die Skyline des Central Business Districts von Singapur. Quelle: dpa
Singapur

Beliebtes Foto-Motiv: Die Skyline des Central Business Districts von Singapur.

(Foto: dpa)

Singapur Die Wiederentdeckung der Langsamkeit ist üblicherweise kein Ausweis für technischen Fortschritt. In Singapur schon. An vielen Straßenkreuzungen können die Einwohner*innen den SingPass, eine digitale Ausweiskarte, vor ein kleines Kästchen an der Ampel halten, und schon verlängert sich die Grünphase. So kommen auch Ältere und Gehbehinderte in aller Ruhe über die Straße.

Technischer Fortschritt muss den Menschen also nicht in allen Lebenslagen überholen, er kann auch schwierige Situationen erleichtern. Bestenfalls springt dann auch die Ampel in den Köpfen vieler Menschen auf Grün, und sie haben Lust, sich auf den Weg in die technisch veränderte Zukunft zu machen.

Der aktuelle Global Competitiveness Index des World Economic Forum zeigt, dass das Singapur offenbar gelingt. Der Stadtstaat hat es auf den ‧ersten Platz geschafft, Deutschland liegt im Vergleich von 141 Nationen auf siebter Position.

Im digital unterstützten Rentnerschritt auf dem Weg an die Weltspitze der Wettbewerbsfähigkeit? Vom hektischen Fortschritt, den man in New York oder Shanghai beobachten kann, ist in Singapur nichts zu merken. 5,6 Millionen Menschen verschiedener Ethnien leben hier auf engstem Raum, aber die Ruhe bleibt.

Man hat Zeit für einen Tee oder ausgedehnte Spaziergänge durch die Parks am Singapur River. Junge Leute flanieren durch die riesigen Gewächshäuser der Gardens by the Bay, das Smartphone immer im Anschlag, um kein gutes Selfie auszulassen.

Singapur hat die Reise in die digitale Zukunft früh angetreten. In den Achtzigerjahren begann die nationale Computerisierung, seit der Jahrtausendwende baut die Regierung auf digitale Dienstleistungen um. 2014 verkündete der inzwischen verstorbene, legendäre Premierminister Lee Kuan Yew das „Smart Nation“-Programm: „Wir machen Singapur zu einer Nation, in der wir Möglichkeiten schaffen, die über das hinausgehen, was wir uns als möglich vorgestellt haben.“

Anfang des Jahres hat die Regierung ihr „Rahmenkonzept für künstliche Intelligenz“ auf dem Weltwirtschaftsforum vorgestellt. Darin sind zwei ethische Prinzipien für KI-Anwendungen festgeschrieben: Algorithmische Entscheidungen müssen nachvollziehbar, transparent und fair sein. Und alle Anwendungen sollen menschenzentriert sein.

„Teil der DNA unserer Nation“

„Wir gehen wohlüberlegt vor“, sagt Zee Kin Yeong, stellvertretender Geschäftsführer der Media Development Authority of Singapore (IMDA). Er sitzt in einem einfachen Großraumbüro mit gläsernen Sitzungszimmern. Der Umgang des Teams mit dem Chef ist professionell-entspannt, nicht staatstragend. Krawatte trägt hier niemand.

Singapurs Konzept für eine künstlich intelligente Zukunft beschreibt er mit dem Begriff der „ambient technology“. Die Technologie werde zwar „Teil der DNA unserer Nation“, aber der eigentliche Wert liege „weiterhin in unseren menschlichen Kompetenzen und Kapazitäten“, sagt Zee Kin: „Und die wollen wir durch Technologie ergänzen und erweitern.“ Also darf es an der Ampel auch mal langsamer gehen.

Beim Parken hingegen nicht. Singapur hat begrenzt Platz, die Regierung limitiert die Möglichkeit, ein Auto zu kaufen, indem sie Zulassungslizenzen für jeweils zehn Jahre versteigert. Je nach Nachfrage kostet eine solche Erlaubnis umgerechnet bis zu 65.000 Euro. Wer so viel Geld für ein Auto zahlt, möchte es auch fahren – und parken. Die Umstellung auf ein elektronisches Parksystem allerdings brachte einige Hürden mit sich, erzählt Daniel Lim, Leiter des Government Data Office beim Ministerpräsidenten.

„Wir haben eine hochmoderne App gebaut, die mithilfe einer Bilderkennungs-KI die Nummernschilder einlesen konnte, um zu prüfen, ob der Halter des Wagens ein Parkticket gelöst hatte.“ Das Problem war bloß: Die Technologie funktionierte nur, wenn die Ordnungshüter sich vor den Wagen knieten: „Das wollte aber keiner“, sagt Lim, „also hat kaum jemand die App benutzt.“ Inzwischen lässt sich über eine Eingabe in die App schnell feststellen, wer Parksünder*in ist, und zwar im Stehen.

ada - Heute das Morgen verstehen

Mit dem Ansatz, den Menschen in den Mittelpunkt des technologischen Fortschritts zu stellen, könnte Singapur auch Vorbild für Europa sein. „Wir haben gar keine andere Wahl“, sagt Subra Suresh, Präsident der Eliteuniversität Nanyang Technological University (NTU). „Wir können nicht den Weg anderer asiatischer Nationen gehen, zum Beispiel den Chinas.“

Bei einer der niedrigsten Geburtenraten der Welt muss Singapur auf eine alternde Bevölkerung Rücksicht nehmen, auf deren multiethnische Zusammensetzung und darauf, dass der Staat die Größe einer Insel hat – und die schrumpft in Zeiten des Klimawandels eher als dass sie wächst.

Deshalb testet die Regierung gemeinsam mit Industrie und Wissenschaft viele KI-Anwendungen erst mal. Zehn Unternehmen erproben auf dem Gelände der NTU die Anwendung selbstfahrender Busse, die für den Stadtverkehr bequeme Transportmöglichkeiten und erhebliche Verkehrsentlastung schaffen könnten.

Die öffentliche Wohnungsbaugesellschaft investiert in digitalisierte Gebäude, in denen nicht nur Strom, Heizung, Wasser und Alarmanlage zentral überwacht und durch eine App gesteuert werden. Sensorsysteme zeichnen zudem alle Bewegungsverläufe auf.

Vor allem für ältere Bewohner*innen lassen die ausgewerteten Muster wichtige Schlüsse zu: Verändern sie sich, kann das ein Anzeichen für einen Demenzschub sein. Stoppen sie gar ganz, wird automatisch der Notarzt gerufen.

„Singapurs Ansatz ist nach unseren Bedürfnissen modelliert“, sagt Daniel Lim. „Er liegt zwischen einem sehr kollektiven chinesischen und einem sehr individualistischen europäischen Modell.“ Ein Unterschied ist ihm besonders wichtig. Man erkenne immer zuerst ein Problem und wähle dann die richtige Technologie für dessen Lösung: „Die muss sich dann ethisch bewähren.“ Die Europäer, meint Lim, gingen „etwas ideologischer“ vor. Heißt übersetzt: Zuerst wird reguliert, dann (vielleicht) umgesetzt.

Um diese Projekte irgendwann in den Normalbetrieb überführen zu können, müssen die Bürger*innen verstehen, was Sache ist. Deshalb investiert der Stadtstaat erheblich in einen Umbau des Bildungssystems. Das beginnt mit einem KI-Bus, der Kindergärten und Schulen ansteuert. In dem Labor auf Rädern können Kinder ein „Escape Room“-Spiel mithilfe von KI-Anwendungen lösen.

Coding-Kurse für Grundschüler*innen

Ab dem nächsten Jahr gibt es schon für Grundschüler*innen Coding-Kurse. Und mit einem kostenlosen Programm werden sukzessive alle Bürger*innen mit den Grundlagen der KI vertraut gemacht. „Wir können nicht in Wildwestmanier ins KI-Zeitalter starten“, sagt Ayesha Khanna, Gründerin und Chefin eines KI-Inkubators. „Nur wenn wir die Bevölkerung einbeziehen, wird die Umsetzung gelingen.“ Gefragt nach Singapur im Jahr 2050, antwortet sie: „Wir werden interdisziplinär leben, in einer nachhaltigeren, menschenorientierten und emotional gesünderen Stadt.“

Klingt gesund und munter, aber ist das auch realistisch? Cherian George, Professor an der Hongkong-Baptist-Universität, beschreibt Singapur als „Air-conditioned Nation“, eine gut klimatisierte Gesellschaft, die in einer einzigartigen Mischung von Komfort und Kontrolle perfekt funktioniert. Die Regeln sind klar.

Wer Drogen ins Land schmuggelt, dem droht die Todesstrafe, informiert schon das Einreiseformular. Wer etwas werden will, muss viel lernen und hart arbeiten. Und wer zu einer ethnischen oder sozialen Minderheit gehört, muss sich anpassen. Disziplin und Kontrolle sind zwei Seiten einer Medaille in der Stadt, die auch Staat, aber keine Demokratie ist.

Vielleicht passt diese Regierungsform perfekt zur neuen Zeit technologischer Optimierung durch künstliche Intelligenz. Die dunklen, schmutzigen Seiten einer Gesellschaft werden konsequent aus der Wirklichkeit herausgerechnet.

Mehr: Miriam Meckel ist Gründungsverlegerin der digitalen Bildungsplattform ada. Wenn auch Sie schon heute das Morgen verstehen wollen, schauen Sie doch mal vorbei: join-ada.com

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