Gastbeitrag: Die Nimmersatten

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Es ist unmöglich, ein anderes Unternehmen – öffentlich wie privat – zu finden, dem es dermaßen an einer verantwortungsbewussten Führung mangelt, also einer zeitgemäßen Corporate Governance, wie den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Weil das Problem lange ignoriert und geduldet worden ist, konnten ARD und ZDF mit ihren Fehlern immer weiter und ins scheinbar Uferlose wachsen.

Peter Littger, Direktor bei Innovation Media Consulting.
Wer in den vergangenen zehn Jahren aufmerksam war, dem sind Intransparenz, Eigenmächtigkeit und Selbstherrlichkeit von ARD und ZDF nicht entgangen. Das System ist so unanständig feudal, dass es nicht mehr in unsere Zeit passt und dass wir Deutsche uns international damit eher blamieren als Exzellenz, Vielfalt und Professionalität im Mediensektor zu demonstrieren. Zu eklatant sind die Fälle von Schleichwerbung alleine in den vergangenen zehn Jahren (eindrucksvoll aufgedeckt unter anderem von Volker Lilienthal), von Verschwendung, wenn etwa Funktionäre des Systems First Class fliegen, von Filz – inhaltlich wie politisch. Niemals hat all das den Rücktritt eines Intendanten und eine Reform der systemischen Missstände zur Folge gehabt.
Es liegt der Schluss nahe, dass den Verantwortlichen das Gefühl für die Verantwortung fehlt, die sie für sehr viel Geld und sehr viel Macht tragen. Hochrangige Funktionäre der BBC, die derzeit im Kreuzfeuer nach einer Falschberichterstattung steht, konstatierten vor Ausbruch des Skandals über die Verhältnisse bei ARD und ZDF: „We would not get away with it.“ Dass die deutschen Funktionäre immer wieder gut wegkommen, legt einen weiteren Schluss nahe: Das System hat die Verantwortlichen nie dazu verpflichtet, Verantwortung überhaupt erst zu entwickeln.
Es ist ein historisch gewachsenes System der Verantwortungslosigkeit, was darin gipfelt, das öffentlich-rechtliche Anstalten wiederholt Urteile des Bundesverfassungsgerichts schlicht ignoriert haben, etwa für Staatsferne in ihren Organisationen zu sorgen. Das ist respektlos und trägt erneut feudale Züge. Hätte das Verfassungsgericht eine eigene Polizei, um seine Urteile durchzusetzen – eine Reihe Intendanten wären nicht gut weggekommen, denn sie hätten eine Erzwingungshaft antreten müssen.

Das wird teuer: Für die kommende Gebührenperiode von 2013 bis 2016 brauchen die Öffentlich-Rechtlichen nach eigenen Berechnungen mehr Geld. Dabei langt die Gebühreneinzugszentrale (GEZ) bislang schon ordentlich zu. So müssen alle, die ein Empfangsgerät besitzen, Rundfunkgebühren zahlen. Mindestens 5,76 Euro kassiert die GEZ pro Monat für den Radio-Empfang. Fürs Radio und Fernsehen verlangt die GEZ 17,98 Euro im Monat. Für Internet-PC werden Rundfunkgebühren in Höhe von 5,52 Euro monatlich fällig.

Zum Vergleich: Die Engländer zahlen für ihr öffentlich-rechtliches Fernsehen 12,98 Euro im Monat, die Franzosen 9,66 Euro, die Italiener sogar nur 9,08 Euro.

Saftige Erhöhung: ARD und ZDF sagen, sie brauchen 1,47 Milliarden Euro mehr Geld. Allein die ARD fordert vom Gebührenzahler 900 Millionen Euro mehr. Das ZDF postuliert einen Zuschlag von 429 Millionen Euro. Damit müsste der Gebührenzahler statt der bisherigen 17,98 Euro monatlich künftig 18,86 Euro zahlen.

Kritiker fragen sich, ob ARD und ZDF ihr Geld noch wert sind. Schon heute leistet sich Deutschland das teuerste öffentlich-rechtliche Rundfunksystem des Planeten. Milliarden fließen in unsinnige und fragwürdige Kanäle: in fünf Chöre, vier Big Bands, elf ARD-Orchester....

...in neun Regionalsender, die fast rund um die Uhr senden, in 64 Radioprogramme, ....

...in Schlagerpartys und eine illustre Reihe neuer Sparten-Sender, die quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.

Der WDR leistet sich am Kölner Dom sogar ein Einkaufszentrum in bester Innenstadtlage.

Nachdem die ARD die Verpflichtung von Günther Jauch für angeblich 10,5 Millionen Euro pro Jahr verkündet hatte, gab es sogar heftige Proteste aus den eigenen Reihen - angeblich kostet Jauch pro Minute 4487,18 Euro. Axel Hofmann, ein Redakteur des WDR, klagte vor dem Kölner Verwaltungsgericht gegen diese "Verschwendung von Gebührengeldern", die nur eines von vielen Beispielen ist.

In den Paragraph 11 des Staatsvertrages für Rundfunk und Telemedien, des Grundgesetz von ARD und ZDF, hatten deren Gründer einmal geschrieben: Sie haben "der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Sie haben Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten." Mit der Wirklichkeit der Programme hat das nicht mehr viel zu tun...

Wenn es ums Geldausgeben geht, interessieren sich die Sender mehr für den Musikantenstadel als fürs Parlament.

Für die Berichterstattung über die gesamte deutsche Politik beispielsweise gab das ZDF 2009 laut Haushaltsplan 14 Millionen Euro aus, für die über Wirtschaft sieben, aber allein für die Bewerbung ihrer Unterhaltungssendungen neun Millionen Euro. Doppelte Verschwendung: Im April 2011 berichten ARD und ZDF gleichzeitig und stundenlang über denselben Anlass - die Hochzeit von Prinz William und Kate Middleton. ZDF-Chefredakteur Peter Frey verteidigte damals die Gebührenverschwendung in der Frankfurter Rundschau: „Das ist ein Ereignis von zu hohem Publikumsinteresse, um dem Publikum die in langen Jahren aufgebaute Erfahrung unserer ZDF-Royal-Moderatoren und Royal-Experten vorzuenthalten“.

Wer der Spur der Milliarden folgen will, um zu erfahren, was genau mit ihnen passiert, bekommt kaum genaue Antworten darauf. Die detaillierten Haushaltspläne sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Die Gebührenzahler dürfen nur allgemeinere Posten sehen. Dabei wäre vor allem interessant, was nicht in den öffentlichen Berichten steht: Wie viele Übertragungswagen die Sender anschaffen und ob sie sinnvoll sind, was sie für Reisen ausgeben, was für Spesen, was Moderatoren verdienen.

Die Anstalten klammern völlig aus, was in Bund, Ländern und Kommunen selbstverständlich ist: Sparen. 600 Mitarbeiter von ARD&ZDF flogen zu den Olympischen Sommerspielen in Peking, obwohl sich nur 434 Sportler aus Deutschland dafür qualifiziert hatten.

Tatsächlich gibt es viel zu informieren über Biathlon, Fechten, Fußball, Kajak, Reiten, Rodeln, Rudern, Segeln, Tischtennis, Turnen. 780 Millionen hatten die Öffentlich-Rechtlichen für ihr Sportprogramm 2010 deshalb im Budget.

Die ARD hat allein für die Übertragungsrechte an der Fußball-Bundesliga 100 Millionen Euro springen lassen. Private Sender wie RTL, Pro Sieben und Sat1 bieten in dieser Preislage schon längst nicht mehr mit. Riesenwirbel gab es auch um den Millionendeal des ZDF mit der Fußball-Champions-League: Mehr als 50 Millionen Euro TV-Gebühren sollen für die Übertragungsrechte der Spiele bis 2015 geflossen sein.

Die Frage, die sich viele stellen: Gehören Fußballrechte in Zeiten des Privatfernsehens noch zur Grundversorgung? Und: Was ist Grundversorgung überhaupt? Es ließe sich also schon einiges an Geld sparen, wenn unnötige Angebote wegfielen, ohne dass deshalb das Programm schlechter werden müsste. Trotzdem wollen die Sender alle Jahre wieder mehr Geld, nicht weniger.

Beim ZDF wurden die Mittel für Kultur und Wissenschaft 2010 um 16,4 Millionen Euro auf 52,9 Millionen Euro gekürzt, die für Wirtschaftsberichterstattung um 273.000 Euro auf 7,1 Millionen und die für Zeitgeschichte und Zeitgeschehen um 835.000 auf 15,7 Millionen. Ersparnisse allerorten. Aber wo ist das Geld hin? Nun, für den Sport etwa war im Jahr der Fußball-WM eine große Steigerung drin: 284,3 Millionen Euro gab das ZDF dafür aus. Im Jahr davor waren es noch 181,3 Millionen Euro. Für die Übertragung der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien bezahlen ARD und ZDF 210 Millionen Euro.

Für die Fußball-Europameisterschaft 2016 in Frankreich wollen die beiden Sender laut interner Finanzplanung 160 Millionen Euro ausgeben.

Einen Zweifel daran, den Auftrag eines öffentlich-rechtlichen Senders zu erfüllen, haben die Verantwortlichen in den Sendeanstalten nicht. Wie bei den Sportrechten stellt sich kaum einer die Frage, warum ein Staatsfernsehen täglich Telenovelas mit harmlos albernen Handlungssträngen zeigen muss, wenn es einen Markt dafür gibt bei den Privaten.

Immerhin flossen 88,3 Millionen Euro in Nachrichten, wobei 24,2 Millionen Euro für die Boulevard-Formate "Hallo Deutschland" (10,2 Millionen), "Drehscheibe Deutschland" (8,7 Millionen) und "Leute heute (6,1 Millionen) draufgegangen sind.

Viel Geld fließt auch in unnötige Technik, die niemand zu sehen bekommt. Fast 400 Millionen Euro gaben die Öffentlich-Rechtlichen 2010 nur für Übertragungstechnik aus, für Kanäle, Sendemasten, für elf verschiedene Arten, Programme auszustrahlen, oftmals vollkommen unsinnig.

Es gibt einiges, das den Kritikern am deutschen Fernsehen missfällt: zu viel Werbung zum Beispiel; zu viel Productplacement; zu viele krawallige Polit-Talkshows; zu viel Fixierung auf die Quote; zu kurze Nachrichtenbeiträge; zu späte Sendezeiten für wichtige Programme.

Um dieses System zu erhalten, brauchen die Sender die Gebührengelder. Neben ARD und ZDF, neun Regionalsendern, Arte, 3sat und Phoenix müssen seit kurzem auch noch sechs Digitalkanäle finanziert werden und nun wollen die Anstalten auch noch Geld für Internetangebote.

Für die Übertragungsrechte der Olympischen Winterspiele im russischen Sotschi 2014 sollen ARD und ZDF 50,12 Millionen Euro eingeplant haben. Die Rechte für die Sommerspiele in Rio de Janeiro werden nach den Finanzplänen, die der „Bild“ vorliegen, mit 80 Millionen Euro veranschlagt.

Pech und Pannen: Zu all den geplanten Milliarden-Ausgaben addieren sich Kosten, die durch Pannen entstehen. Zuletzt brannte ein Übertragungswagen in Danzig völlig aus, weswegen die ZDF die Live-Übertragung des Länderspiels der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Polen in Mainz produzieren musste. Der Schaden wird mit rund 20 Millionen Euro beziffert.

Randale im Stadion: Anfang Mai stürmen Frankfurter Fußballfans nach der Niederlage gegen den 1. FC Köln den Rasen und randalieren im Stadion. Bei den Ausschreitungen wird eine 600.000 Euro teure Spezialkamera der ARD beschädigt. Das Gerät ist weltweit einzigartig und wurde bei der Bundesliga-Partie der Frankfurter Eintracht gegen den 1. FC Köln (0:2) erstmals eingesetzt. Pech für die Kamera, Glück für die ARD: Für den Schaden dürfte wohl eine Versicherung von Eintracht Frankfurt aufkommen.
Es ist zunächst nachvollziehbar, wenn Mitarbeitern der Anstalten der Blick für das Problem fehlt, schließlich ist ihr System existent und keine Chimäre. Jeder Arbeitsplatz ist gut ausgestattet, die Programme mit ihren Protagonisten gehören zum Inventar und Toppersonal der Gesellschaft, und der Grundgedanke eines öffentlich finanzierten Mediensektors ist Bestandteil der DNA der Bundesrepublik Deutschland. Man lebt also tagtäglich die Verfassung. Was kann daran schon grundlegend falsch sein?

Jan Metzger, seit 2009 im Amt, verdient als Intendant des kleinsten und ärmsten Senders der ARD mit 242.000 Euro Jahresgehalt mehr als so mancher seiner Kollegen.

Erik Bettermann ist Intendant des aus Bundesmitteln finanzierten Auslandssenders Deutsche Welle. Der Sender erhält keine Rundfunkgebühren, sondern wird vom Steuerzahler getragen. Bettermann verdient 207.000 Euro im Jahr.

Thomas Kleist ist seit dem 1. Juli 2011 Intendant des Saarländischen Rundfunks. Kleists aktuelles Gehalt ist nicht bekannt. Sein im Januar 2011 verstorbener Vorgänger Fritz Raff verdiente 210.000 Euro im Jahr.

Zu dem Gehalt des Intendanten des Hessischen Rundfunks, Helmut Reitze, schweigt der Sender. Das Nachrichtenmagazin Focus und die Süddeutsche Zeitung schätzen allerdings, dass Reitze 215.000 bis 220.000 Euro im Jahr verdient.

Dagmar Reim, die Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg 220.000 Euro im Jahr. Als sie 2003 das Amt übernahm, war sie die erste Frau an der Spitze einer ARD-Rundfunkanstalt. Zuvor war Reim Direktorin des NDR-Landesfunkhauses Hamburg.

Der Intendant des Südwestrundfunks Peter Boudgoust ist derzeit auch Vorsitzender der ARD und kommt aus der Politik: Vor seiner Zeit beim SWR war Boudgoust im Staatsministerium Baden-Württemberg beschäftigt. Das Gehalt des studierten Juristen beläuft sich auf 273.000 Euro im Jahr.

Der Intendant des Norddeutschen Rundfunks Lutz Marmor verdient inklusive Aufwandsentschädigungen 286.000 Euro im Jahr. Er wechselte 2008 vom Westdeutschen Rundfunk, wo er als stellvertretender Intendant arbeitete, nach Hamburg.

Markus Schächter war einer der Topverdiener im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Der Intendant des ZDF kam inklusive Sachleistungen auf 299.000 Euro jährlich.

Thomas Bellut ging als einziger Kandidat in das Rennen um den Intendanten-Posten - und gewann. Seit Mitte letzten Jahres steht fest, dass er Nachfolger von Markus Schächter wird. Auch sein Gehalt ist noch nicht bekannt.

Die Intendantin des Westdeutschen Rundfunks erhält ein erfolgsunabhängiges Grundgehalt von 308.000 Euro im Jahr. Hinzu kommen 21.000 Euro für Sachbezüge wie ihren Dienstwagen.

Nach internen Querelen im Rundfunkrat ist Karola Wille im Oktober letzten Jahres zur neuen Intendantin des MDR gewählt worden. Was Wille verdient, ist bisher nicht bekannt. Bei ihrem Vorgänger handelte es sich um 273.891 Euro.

Ulrich Wilhelm ist seit 2010 Intendant des Bayrischen Rundfunks. Zuvor war er Sprecher der Regierung Merkel. Sein Intendanten-Vorgänger Thomas Gruber verdiente 310.000 Euro Grundgehalt im Jahr und war damit der Senderchef mit dem höchsten Salär. Es ist davon auszugehen, dass sich Wilhelms Einkommen sich in einer ähnlichen Größenordnung bewegt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist mit 273.000 Euro Jahresgehalt die am bestbezahlte Politikerin der Republik. Damit würde sie unter den Intendanten höchstens im Mittelfeld landen: Das Grundgehalt der WDR-Chefin liegt bei 308.000 Euro.
Die Antwort lautet leider: Alles! „Leider“ muss deshalb gesagt werden, weil es für die deutsche Gesellschaft leichter wäre, wenn das System keine grundlegenden Fehler hätte. Denn es wird einen riesengroßen und vielleicht unmöglichen Kraftakt erfordern, es zu verändern und zu erneuern, in Teilen abzuschaffen und in Teilen neu zu erfinden. Und wer könnte diesen Prozess anstoßen? Nicht ein Artikel. Nicht ein Buch, so gut und treffend es auch ist. Vielleicht der Bundespräsident? Es wäre schön, wenn er sich dem Thema wenigstens einmal in Ruhe widmen könnte.
Die Analyse des fehlerhaften Systems von ARD und ZDF ist gleich in mehrfacher Hinsicht, also auf unterschiedlichen Ebenen möglich: verfassungsrechtlich, ordnungs-und wettbewerbspolitisch, inhaltlich, technologisch – und ethisch. Wer diese Auflistung schwerwiegender Anklagen auf sich wirken lässt, wird Schwierigkeiten haben zu entscheiden, was nun davon das größte Problem sein soll und wo eine Debatte, geschweige denn eine Reform überhaupt ansetzen kann. Überall gleichzeitig? Das käme einer Neutronenbombe gleich, nach deren Detonation sich zwangsläufig das gesamte System vollständig zerlegen würde. Aber vielleicht ist die komplette Abschaffung und Neugründung der einzige Weg.
Das Hauptproblem ist: ARD und ZDF mangelt es an Legitimation. Denn es ist vollkommen ungeklärt, wer sie eigentlich beauftragt, wer sie kontrolliert, womit sie beauftragt sind und wem gegenüber sie das belegen müssen. Sie machen im Prinzip, was sie wollen und leisten darüber ein bisschen Rechtfertigung an die eine oder andere Adresse, also 16 Länderparlamente, 16 Länderregierungen, eine KEF – nicht aber an die entscheidende Instanz.
Denn Gebührenzahler, Staatsbürger und Zuschauer und Hörer sind es, die das System zahlen, tragen und nutzen. Damit sind sie – gerade auch in der Abgrenzung zum Staat und anderen steuerfinanzierten Kulturangeboten – als Eigentümer, als Öffentlichkeit und als Kunden zu betrachten. In gängigen Modellen von Coroporate Governance bilden sie damit deckungsgleich die Gruppe der wichtigsten Stakeholder: eine Triade der Topinteressen – diese Redundanz der Macht gibt es keinem anderem Unternehmen gegenüber.
Doch im Fall von ARD und ZDF sind diese Mächtigen – die wir alle sind! – in keinster Weise organisiert: Wir haben keinen Einfluss auf Entscheidungen, geschweige denn werden wir umfassend und regelmäßig über alles informiert. Auch hier gilt: Kein anderes Unternehmen käme damit durch, seine Eigentümer, Kunden und die Öffentlichkeit dermaßen zu übergehen.
Öffentlich von den „Eigentümern“ zu sprechen, ist innerhalb der ARD-Führung sogar tabu. Nichts darf auf die wahren Verhältnisse hinweisen. Man erhält den Eindruck aufrecht, sich selbst zu gehören. Eine selbsterhaltende Bürokratie, die von niemandem direkt kontrolliert wird. Vielleicht sollten wir die Verantwortlichen loben, dass sie nicht noch unanständiger sind. Vielleicht aber wissen wir es bloß nicht.
Wäre es für die meisten Menschen nicht so ein langweiliges Thema und würden sich genügend beteiligen, müsste es regelmäßige Hauptversammlungen von ARD und ZDF geben, auf denen sich die Funktionäre erklärten – und sogar wählen ließen. Einen Versuch wäre es wert!
Mit den Rundfunkräten gibt es sogar ein klares Bekenntnis zur Repräsentation der Stakeholder, bloß dass das Gekungel in diesen Gremien nicht nachvollziehbar ist – und nur den Eindruck verstärkt, dass ARD und ZDF eher feudale als moderne Systeme sind. Auch die Anzeigenkampagne „ARD, ZDF und SIE“ ist letztendlich nichts mehr als eine Simulation und Insinuierung von Teilhabe, und es wäre schön, am Ende des Jahres wenigstens einmal zu erfahren, wie viel Geld genau in diese Art der medialen Landschaftspflege fließt.
Das zu erfahren wäre umso interessanter in Zeiten, in denen viele Zeitungs- und Zeitschriftenverlage eine öffentlich-rechtliche Geldspritze sehr gut vertragen können – und man fast geneigt ist zu glauben, dass hier eine einflussreiche wie kreative Verlagslobby die Umleitung von Gebührengeldern mittels einer Anzeigenkampagne erreicht hat. Jedenfalls muss festgestellt werden, dass die Asymmetrie in der wirtschaftlichen Ausstattung des privat finanzierten Qualitätsjournalismus in Deutschland und im öffentlich-rechtlichen Qualitätsjournalismus eklatant groß ist. Diese Asymmetrie ist gesellschaftspolitisch und ethisch schon jetzt nicht mehr vertretbar.
Das führt zum zweiten großen Legitimationsproblem von ARD und ZDF: ihrem unklaren und technologisch völlig veralteten „Sende“-Auftrag. Besteht denn etwa ernsthaft Marktversagen im Senden von Fernsehprogrammen? Oder gar im hochprofitablen Radiosektor?
Als in den 1920er-Jahren die BBC gegründet wurde, war klar, dass kein privater Investor, keiner der Großverleger, all die erforderlichen Sendemasten aufstellen würde, um für das ganze Land Radio anzubieten. Programm war damals noch nicht teuer – es entstand meistens in Studios, das hätten wiederum die Verleger finanziert. In Deutschland war das nach dem Zweiten Weltkrieg ähnlich: Es wurde mit Gebühren das knappste und teuerste finanziert, was es damals gab: Frequenzen und die Technik sie zu beschallen. Zunächst nur per Radio, später per Fernsehen. Dass sich Verleger daran nicht beteiligen wollten und auch keine gedruckte gebührenfinanzierte Konkurrenz duldeten, ist verständlich. Sie hatten ein fantastisches Geschäftsmodell, das sie in den folgenden vier Jahrzehnten zu Milliardären machten.


Es soll hier unterstellt werden, dass viele Menschen nach wie vor ein öffentlich finanziertes Mediensystem befürworten und bewahren wollen. Also gewissermaßen ganz im Sinne von Jürgen Habermas, dass es einen Konsens zu einer Art kollektiven Gebühr für Medien gibt, deren Inhalte allen Staatsbürgern zugute kommen – Inhalte, die ohne diese Gebühren gar nicht erst entstehen würden. Dann wäre es wichtig, diesen Konsens gerade in Zeiten zu erneuern, in denen der private Markt des Qualitätsjournalismus versagt.
Erst wenn die Debatte über die angemessene zeitgemäße Verwendung von Gebühren neu geführt und wenn alle Gebührenzahler daran teilnehmen, kann das öffentlich-rechtliche System die Legitimation erlangen, die in Teilen abhanden gekommen ist und die zu anderen Teilen nie existierte. Andernfalls bleibt es einer der größten Systemfehler der Bundesrepublik.
Peter Littger ist Deutschland-Direktor des Beratungsunternehmens Innovation Media Consulting. Er war früher unter anderem Medienredakteur der ZEIT.






