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Gastbeitrag„Grauen Kapitalmarkt vollständig austrocknen“

Das Gebaren des „Öko-Mafioso“ Prokon ist typisch für den grauen Kapitalmarkt. Damit muss jetzt Schluss sein. Die Bundesregierung muss die Anleger schützen. Deutschland braucht einen Finanz-TÜV mit klaren Regeln.Sahra Wagenknecht 14.01.2014 - 14:57 Uhr Artikel anhören

Die Vize-Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Sahra Wagenknecht: "Der Bundesregierung sind die Gefahren des grauen Kapitalmarktes bekannt."

Foto: dpa

Bundeskanzlerin Angela Merkel versprach 2008 auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, dass in Zukunft kein Ort, kein Finanzprodukt und kein Akteur auf den Finanzmärkten unreguliert bliebe. Die drohende Insolvenz des Windanlagenfinanzierers Prokon straft die Kanzlerin Lügen: Die Bundesregierung war offensichtlich trotz der großen Worte auf internationalem Parkett nicht einmal gewillt, vor der eigenen Haustür zu kehren und Kleinsparer zu schützen beziehungsweise unseriöse Geschäftspraktiken zu unterbinden.

Prokon droht nun die Insolvenz. Das Unternehmen aus Itzehoe (Schleswig-Holstein) produziert auch Biokraftstoffe, ist einer der größten Holzpaletten-Hersteller Europas und der größte Anbieter ökologischer Kapitalanlagen in Deutschland. Der Vorstand Carsten Rodbertus markiert gerne den Robin Hood der Finanzbranche. Mit grünem Image und Renditeversprechen von acht Prozent lockte Prokon über 75.000 Anleger mit einem Investitionsvolumen von fast 1,4 Milliarden Euro. Damit spielte Prokon in der Liga eines SDax-Konzerns.

Zweifel über die Seriosität des Geschäftsmodells von Prokon beziehungsweise an der Finanzierung des Unternehmens haben Anleger verunsichert und zum Kündigen ihrer Engagements bewogen. Der letzte Jahresabschluss des Unternehmens wurde für 2011 veröffentlicht und entsprach den Anforderungen der Bilanzierung nur sehr beschränkt.

Verhaltensregeln am grauen Markt
Misstrauen Sie hohen Renditen
Lesen Sie alle Unterlagen
Nehmen Sie Zeugen mit
Hinterfragen Sie die Kosten

Der operative Gewinn (vor Abschreibungen und Zinsen) soll von etwa 88 Millionen Euro in 2010 auf nunmehr etwa 33 Millionen Euro gesunken sein. Bis Oktober 2013 fielen jedoch rund 67 Millionen Euro an Schuldendienst für Genussrechte an, die dominante Finanzierungsform von Prokon. Der Bau von Windkraftanlagen erfordert aufgrund des langfristigen Investitionshorizonts jedoch langfristige Finanzierungsmodelle, etwa klassische Bankdarlehen. Prokon versuchte stattdessen wie ein Staubsauger den Kapitalmarkt beziehungsweise Kleinsparer anzuzapfen.

Bei Genussrechten handelt es sich häufig um hoch riskante Anlageprodukte, die bei hohen Renditeversprechen alle Nachteile des Eigen- und Fremdkapitals beziehungsweise der Mezzanine-Finanzierung verbinden. Genussrechte verbriefen wie Anleihen Zins und Rückzahlung der Anlagesumme, jedoch ohne Eigentumsrechte am Unternehmen und bei hoher Verlustbeteiligung. Es handelt sich zumeist um nachrangige Verbindlichkeiten mit Kündigungsfristen von vier Wochen zu  Monatsende.

Prokon in Zahlen
Rahmendaten
Genussrechtinhaber
Genussrechtkapital
Gezahlte Zinsen
Verlust

Viele Anleger, die noch nicht gekündigt haben, müssen daher nun fürchten ihre Ersparnisse zu verlieren. Der Öko-Konzern drohte seinen Anlegern unverhohlen: Wer kündige, provoziere die Insolvenz. Zudem verlangte Prokon eine „faire“ Begründung der Kündigung seitens der Anleger, obwohl das Kündigungsrecht in den Genussrechtsbedingungen klar geregelt ist. Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) hat dies zu Recht kritisiert.

Das Gebaren des „Öko-Mafioso“ Prokon ist typisch für den grauen Kapitalmarkt. Letzterer  zeichnet sich dadurch aus, dass er keiner staatlichen Finanzaufsicht oder Regulierungen unterliegt. Zum grauen Kapitalmarkt gehören etwa Beteiligungen an geschlossenen Fonds zur Schiffs-Finanzierung, Immobilien oder Windkraftanlagen. Im Unterschied zu offenen Fonds besteht kein Recht auf Rückgabe der Anteile. Es handelt sich um unternehmerische Beteiligungen mit entsprechenden Risiken.

Dazu zählen auch der Handel mit Schrottimmobilien oder Schneeballsysteme. Verbraucher erleiden laut Bundeskriminalamt (BKA) jährlich einen Schaden von bis zu 25 Milliarden Euro durch Produkte des grauen Kapitalmarkts – aufgrund legaler Risiken oder wegen schlichten Betrugs. Die Bundesanstalt für Finanzaufsicht (BaFin) sieht sich nun in keiner Verantwortung die geschädigten Anleger zu unterstützen, da Prokon kein erlaubnispflichtiges Bankgeschäft betreibe. Genau das ist aber der Kern des Problems.

Der Bundesregierung sind die Gefahren des grauen Kapitalmarktes bekannt. Im Jahr 2011 beschloss der Deutsche Bundestag einen Gesetzentwurf des Wirtschafts- sowie des Finanzministeriums zur Regulierung des Marktsegments. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) setzte sich im Gesetz zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagerechts etwa mit der Forderung durch, die Aufsicht über die etwa 80.000 freien Finanzvermittler von stillen Einlagen und geschlossenen Fonds den personell überforderten Gewerbeaufsichtsämtern statt der BaFin zu übertragen. Die Lehre der Regierung aus der Finanzkrise lautete offenbar „Schattenbanken für Alle“.

Die regelmäßigen Appelle der Politik nach Transparenz, Verbraucherschutz und Eigenverantwortung der Anleger sind daher entweder naiv oder unaufrichtig: Demnach könnten Medikamente zukünftig auch von Hobby-Apothekern gepanscht und auf der Straße verkauft werden – solange der Beipackzettel nur umfangreich genug ist.

Anlagetipps: So vermeiden Sie Pleiten
1. Streuen
2. Vorsicht vor Krediten
3. Weitere Meinungen
4. Lesen Sie Verträge
5. Risiko
6. Vor Ort prüfen
7. Baulicher Zustand
8. Spezialisierter Anwalt
9. Vorausschau
10. Kein Zeitdruck
11. Produkte, die Sie verstehen
12. Beratungsprotokoll
13. Schriftliche Bestätigung
14. Prospekte
15. Keine Telefonangebote

Die Haltung der Bundesregierung ist zynisch, weil Millionen Kleinsparer durch die Privatisierung der Alterssicherung in riskante Anlageformen gedrängt werden. Es ist ja kein Zufall, dass der Drückerkönig Carsten Maschmeyer und der Pate der Renten-Privatisierung, Walter Riester (SPD), enge Geschäftspartner wurden. Zudem nötigt die katastrophale Krisenpolitik der Kanzlerin die Europäische Zentralbank (EZB) zu einer ultra-lockeren Geldpolitik. Kleinsparer werden selbst durch moderate Inflation kalt enteignet und damit Finanzhaien in die Arme getrieben.

Der einstige Präsident der US-amerikanischen Zentralbank Paul Volcker hat Recht, wenn er sagt, die einzige sinnvolle Finanzinnovation der letzten Jahrzehnte sei der Geldautomat gewesen. Eine verantwortungsvolle Politik muss den grauen Kapitalmarkt vollständig austrocknen. Daher sind über den Fall Prokon hinaus folgende Maßnahmen sinnvoll:

Erstens: Deutschland benötigt einen Finanz-TÜV mit einer klaren Regel: Wie im Straßenverkehr, bei Arzneimitteln oder Elektronik sollten Finanzinstrumente und -praktiken verboten sein, bis sie durch eine Zulassungsstelle ausdrücklich genehmigt wurden. Finanzinnovationen ohne volkswirtschaftlichen Nutzen gehören verboten. Das Prinzip muss lauten: Nicht alles ist erlaubt, bis es verboten wird, sondern nur das ist zulässig, was vorher genehmigt wurde.

Zweitens: alle Geldanlagen sind als Vermögensanlagen zu definieren und ohne Ausnahmen einer wirksamen Finanzaufsicht zu unterstellen.

Drittens sind Finanzanlagevermittler der Finanzaufsicht statt der Gewerbeaufsicht zu unterstellen und schärfere Anforderungen an deren Sachkundenachweis zu stellen.

Viertens ist der provisionsgetriebene Verkauf von Finanzprodukten zu untersagen. Stattdessen ist die Honorar- und Finanzberatung durch Verbraucherzentralen zu stärken.

Verwandte Themen Deutschland Börsenaufsicht BaFin FDP

Fünftens sind Verkaufsprospekte und Informationsangebote zu standardisieren, durch die Finanzaufsicht zu prüfen und unseriöse Werbung zu untersagen. Vertriebseinschränkungen sind einzuführen, um den Vertrieb von Vermögensanlagen mit unkalkulierbaren Nachschusspflichten an Kleinsparer zu untersagen.

Die Kleinsparer in Deutschland brauchen keinen grauen Kapitalmarkt. Sie brauchen auskömmliche Renten und regulierte Banken, die eine angemessene Verzinsung bieten. Davon ist Deutschland weiter entfernt als bei Ausbruch der Krise.

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