Gastkommentar: Dem Koalitionsvertrag ist die „Lust auf Neues“ anzusehen
Clemens Fuest leitet das Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo) in München und lehrt an der dortigen Ludwig-Maximilians-Universität. Seine Spezialgebiete sind Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik sowie Fragen der europäischen Integration.
Angela Merkel wurde nachgesagt, gerne Erwartungsmanagement zu betreiben. Wer wenig verspricht, muss keine Kritik fürchten, wenn nichts erreicht wird. Die Ampelregierung agiert anders. Ihr Koalitionsvertrag ist ambitioniert. Sie will die Digitalisierung und Dekarbonisierung der Wirtschaft massiv beschleunigen und dabei Wohlstand und Inklusion bewahren. Der Charme des Plans liegt darin, dass er von dem Willen geprägt ist, die Zukunft zu gestalten. Jenseits der Kernbereiche Digitalisierung und Klimaschutz gibt es allerdings auch Themen, bei denen Reformbereitschaft fehlt.
Die Stärke dieses Koalitionsvertrags liegt nicht nur in der Bereitschaft, Risiken einzugehen, um Chancen zu ergreifen. Sie liegt auch darin, dass viele der Projekte durchdacht sind und wissenschaftliche Konzepte berücksichtigen. Das gilt für wichtige Teile der Klimapolitik. Der CO2-Preis soll eine zentrale Rolle spielen. Alle Sektoren sollen mittelfristig dem europäischen Zertifikatehandel unterliegen.
Man will mehr Technologieoffenheit wagen. Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie soll durch Lösungen wie den CO2-Grenzausgleich geschützt werden. Da Klimaschutz nur global funktioniert, wird ein Klimaklub mit anderen Ländern angestrebt. Investitionen zur Anpassung an den Klimawandel spielen eine bedeutende Rolle. Die Umsetzung dieser Pläne wird dauern, und viele Fragen sind offen. Aber die Gesamtstrategie ist im Vergleich zu der bisherigen, eher kleinteiligen, an Sektorzielen und dirigistischen Eingriffen orientierten Klimapolitik ein Fortschritt.