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Otmar IssingKeine Experimente mit der Inflation

Um zu überleben muss die Währungsunion zum Gleichgewicht zurückfinden. Von Deutschland zu fordern, die eigene Wettbewerbsstärke zu verwässern, ist aberwitzig. Aber es gibt andere Lösungen.Otmar Issing 25.05.2012 - 14:45 Uhr Artikel anhören

Otmar Issing war Chefsvolkswirt der EZB.

Foto: Reuters

Obgleich die Wirtschaft des Euro-Raums eine Schwächephase erlebt, hält sich die Inflationsrate hartnäckig bei Werten, die über der Zielvorstellung der Europäischen Zentralbank (EZB) liegen. Nicht zuletzt wegen der gestiegenen Energiepreise ist damit auch noch für den Rest dieses Jahres zu rechnen. Im April betrug die Jahresrate für den Anstieg der Preise 2,6 Prozent. Dieser Wert wird anhand des harmonisierten Indexes der Konsumentenpreise für den gesamten Euro-Raum berechnet. Es handelt sich um einen Durchschnitt, in den die Werte der einzelnen Länder entsprechend ihrem wirtschaftlichen Gewicht eingehen. Für Deutschland als der bedeutendsten Wirtschaft beläuft sich dieser Anteil auf 26,5 Prozent.

Es liegt auf der Hand, dass die Preissteigerungsraten in den einzelnen Mitgliedstaaten meist unterschiedlich sind, also mehr oder weniger vom Durchschnitt für den Euro-Raum abweichen. Dies führte schon bald nach dem Beginn der Währungsunion zu der Frage, ob diese Divergenzen ein Grund zur Besorgnis seien oder nicht. Untersuchungen der EZB haben ergeben, dass die Unterschiede zwischen den Preissteigerungsraten im Euro-Raum nicht wesentlich höher ausfielen als die zwischen den einzelnen Regionen in den USA. Insoweit war dieser Befund beruhigend.

Das galt jedoch nicht für eine andere Beobachtung: Es waren im Prinzip immer die gleichen Länder, die sich mit ihren Preissteigerungen jeweils über oder unter dem Durchschnitt befanden. So lag Deutschland beharrlich am unteren Ende des Spektrums, Länder wie Griechenland oder Spanien landeten am oberen. Über die Jahre hinweg hat sich damit eine wachsende Divergenz in der preislichen Wettbewerbsfähigkeit aufgebaut mit entsprechenden Auswirkungen auf die Leistungsbilanzen. Deutschland wies auch deshalb Überschüsse auf, in Griechenland und Spanien kam es zu Defiziten.

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Die gegenwärtige Krise des Euro-Raums ist in hohem Maße auf die Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen zurückzuführen. Diese Entwicklung bedarf dringend der Korrektur. Die Länder mit Defiziten haben jahrelang über ihre Verhältnisse, also auf Pump gelebt. Es liegt daher in erster Linie an ihnen, die Ansprüche mit dem eigenen Leistungsvermögen in Einklang zu bringen und durch Reformen die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.

Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds, hat schon vor längerem - seinerzeit noch als französische Wirtschafts- und Finanzministerin - gefordert, Deutschland solle über stärkere Lohnsteigerungen seinen Wettbewerbsvorteil und damit den Leistungsbilanzüberschuss gezielt abbauen und so einen entscheidenden Beitrag zur Überwindung der Krise leisten.

Diese Auffassung hat inzwischen zahlreiche Anhänger, und zwar nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wissenschaft und in den Medien gefunden. Sie ist nicht selten mit dem Vorwurf verbunden, Deutschland sei der größte Nutznießer der Währungsunion, habe diesen Vorteil auf Kosten anderer - gemeint sind die Defizitländer - erzielt und sei jetzt verpflichtet, ökonomisch wie moralisch, einen Beitrag zur Lösung der Krise zu leisten.

Von der merkwürdigen Aufforderung an ein Land, ganz bewusst die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu schwächen, einmal abgesehen, folgt dieser Vorschlag einer falschen Logik. Zunächst einmal wird über den Lohn in einer Marktwirtschaft (und Demokratie) nicht par ordre du mufti entschieden. Löhne sind im Wesentlichen das Ergebnis der Verhandlungen der Tarifpartner, also eines Prozesses von "checks and balances". Zum anderen hat eine stabilitätsgerechte Entwicklung der Löhne sich an der Situation auf dem Arbeitsmarkt und der Produktivität zu orientieren. Regionalen und sektoralen Unterschieden ist dabei Rechnung zu tragen.

Das war alles in allem in Deutschland über die Jahre nach dem Beginn der Währungsunion weitgehend der Fall. Als Erfolg der zurückhaltenden Lohnentwicklung hat sich Deutschland aus der hohen Arbeitslosigkeit herausgearbeitet. Je stärker die Lohnentwicklung den Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt Rechnung trägt, also auf hohe Arbeitslosigkeit mit Lohnzurückhaltung reagiert, desto mehr verbessert sie die Chancen der Arbeitslosen und trägt zur Sicherung bestehender Jobs bei. Das ist die Botschaft, die von der Entwicklung in Deutschland ausgeht.

Konjunkturprogramme - Kein Wachstum auf Pump
Um was geht es?
Hans Peter Keitel, Präsident Bund Deutscher Industrie
Eckhard Cordes, Ex-Metro-Chef
Anton Börner, Chef des Bundesverbandes Groß- und Außenhandel
Michael Diekmann, Allianz-Chef
Dieter Hundt, Arbeitgeber-Präsident
Josef Sanktjohanser, Rewe-Vorstand

Lässt man die Spielregeln einer funktionierenden Währungsunion gelten, dann bedarf es der erwähnten fehlgeleiteten politischen Handlungsanweisungen nicht. Eine über dem Durchschnitt der Währungsunion liegende Preissteigerungsrate eines Landes mit höherem Wachstum führt in dem betreffenden Mitgliedsland zu vergleichsweise niedrigen Realzinsen und damit zu einer Stimulierung der Inlandsnachfrage. Genau dies geschah in der Vergangenheit in zahlreichen Ländern der sogenannten Peripherie wie zum Beispiel Spanien und Irland. Am Ende trug dieser Prozess freilich entscheidend zur Überhitzung des Immobiliensektors bei.

Teuerung - Inflation wäre ein Irrweg
Um was geht es?
Martin Wansleben, Chef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages
Uwe Fröhlich, Präsident des Bundesverbandes der Volks- und Raiffeisenbanken
Jörg Asmussen, EZB-Direktor
Georg Fahrenschon, Chef des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes

Mit - gegenüber dem Durchschnitt - höherem Wachstum in Deutschland verbessert sich die Lage am Arbeitsmarkt mit der Tendenz stärker steigender Löhne. Gleichzeitig ergibt sich bei irreversibel festgezurrtem nominalem Wechselkurs eine reale Aufwertung. Der aus diesem Automatismus resultierende Anpassungsprozess in der Währungsunion verläuft umso wirksamer, je mehr die Länder mit den Leistungsbilanzdefiziten und hoher Arbeitslosigkeit ihren Beitrag leisten.

Die Indexierung hat zum Beispiel in Spanien selbst bei dramatisch steigender Arbeitslosigkeit zu weiter steigenden Löhnen geführt und den Anpassungsprozess behindert. Mit der Beseitigung dieser Regelung hat Spanien folglich einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung unternommen.

Das Gefälle der Lohn- und Preissteigerungsraten muss sich also umkehren. Es ist dringend geboten, diesen Prozess in Gang zu setzen. Mit einer höheren Wachstumsrate und einer über dem Durchschnitt liegenden Preissteigerungsrate kann Deutschland einen entscheidenden Beitrag zum Abbau der Leistungsbilanzungleichgewichte und damit zur Überwindung der Krise leisten. Eine überzogene Lohnentwicklung würde diesem Prozess mit steigender Arbeitslosigkeit und abnehmendem Wachstum aber schon bald ein Ende setzen.

Der Ausgleichsmechanismus in der Währungsunion funktioniert also über einen Wechsel der Positionen einzelner Länder im Spektrum der Abweichungen von der durchschnittlichen Inflationsrate nach oben oder unten. Den nominalen Anker im System garantiert die EZB, indem sie ihrem Mandat gemäß Preisstabilität für den Euro, das heißt also im Währungsgebiet insgesamt, gewährleistet. Damit bleiben die möglichen Abweichungen der nationalen Preissteigerungsraten nach oben und unten begrenzt. Die Stabilität des Euros bleibt unberührt.

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Nun werden allenthalben Forderungen laut, die EZB solle es in der Krise mit der Preisstabilität nicht so genau nehmen und im Interesse eines erleichterten Anpassungsprozesses "vorübergehend" eine höhere Inflationsrate tolerieren. Vor dieser Ansicht ist dringend zu warnen.

Von der Aufweichung der Preisstabilität ginge das falsche Signal an die Defizitländer aus, man müsse es mit den Reformanstrengungen nicht so ernst nehmen. Der Haupteinwand gegen die Akzeptanz einer höheren Inflationsrate läge aber in dem kaum mehr zu behebenden Schaden für die Reputation der EZB. Wer würde der Notenbank schon noch glauben, dass es sich um einen vorübergehenden Sündenfall handelt und sie "danach" - was wäre damit gemeint? - wieder zum vorherigen Zustand preisstabiler Tugend zurückkehren werde?

Die Bürger würden um ihre Ersparnisse fürchten, die Finanzmärkte wären verunsichert, die Inflationserwartungen würden steigen, und die Währungsunion verlöre ihren Anker. Negative Folgen für Wachstum und Beschäftigung wären die unvermeidliche Konsequenz. Bedarf es eines erneuten Beweises, dass höhere Inflation keine Lösung ist, sondern neue Probleme schafft?

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