Digitales Kundenmanagement – Customer Engagement zwischen digitaler Skepsis und Gamification
digitales Kundenmanagement
- 27.08.2024
Die SIV gehört zu den größten IT-Dienstleistern in der Energiebranche in Deutschland und hat tiefe Einblicke, was Unternehmen aktuell umtreibt. Wie steht es um den Kundenservice bei EVU und welche Rolle spielen derzeit digitale Kommunikationskanäle?

Wir sprechen von Online-Portalen, über die Kunden via Browser oder mobiler App ihre Zählerstände selbst melden?
Ja, aber nicht nur. Kunden können ihrenVerbrauch einsehen, Abschläge anpassen, Stammdaten ändern und Zahlungen auslösen. Und sie können Fragen jederzeit von einem Chatbot beantworten lassen, ohne Wartezeit und dem unangenehmen Gefühl, eigentlich Selbstverständliches nicht zu verstehen. Mit digitalen Angeboten können Kunden ihre Anliegen nicht nur schneller, sondern selbst lösen, orts- und zeitunabhängig. Das hinterlässt ein gutes Gefühl und stärkt subtil die Bindung an den Anbieter – ganz ohne den bisherigen Personaleinsatz. Eine Win-win-Situation für Unternehmen und Kunden, umso mehr, wenn die Eingaben aus den Self-Service-Angeboten automatisiert weiterverarbeitet werden. Trotzdem scheint die digitale Transformation nur langsam voranzugehen.
Die digitale Transformation bei EVU wird von Bedenken ausgebremst. Dabei ist eine Investition in digitale Kundenprozesse kein Risikogeschäft. Es ist ein Risiko, nicht zu investieren. Automatisierungen sind die vielleicht beste Antwort auf Fachkräftemangel und Kostendruck. Und wer sich in unserem Alltag umsieht, findet überall Beispiele, dass Kunden digitale Kommunikation wollen. Viel lieber als mit Telefonhotlines und Papierpostkarten hantieren zu müssen.
Bálint Schubert-Lakatos ist seit 2022 Director Customer Engagement der SIV.AG. Zuvor war er viele Jahre bei mquadr.at software engineering & consulting, einem in Europa führenden Anbieter für digitale Self-Service-Lösungen, für die Umsetzung und Planung der Produkte tätig. Bei der SIV.AG verantwortet und entwickelt er Angebote zur kanalübergreifenden Optimierung der Kundeninteraktion.
Werden ältere Kunden durch den Wechsel zu automatisierten, digitalen Prozessen nicht abgehängt?
Das Argument halte ich für veraltet. Auch die Generation Ü60 ist auf Social Media. Viele haben mehr Zeit, sich mit neuen digitalen Anwendungen zu befassen als Berufstätige. Aber natürlich gibt es ältere, nicht digitalaffine Kunden. Hier sind im Hintergrund in der Regel aber Angehörige unterstützend aktiv. Und für sie würden digitale Prozesse vieles vereinfachen. Tatsächlich geht es aber gar nicht um das Ersetzen von bisherigen Strategien, sondern um ein Erweitern des Angebotes, um damit einen Mehrwert für alle zu schaffen.Was antworten Sie auf den Einwand, dass digitale automatisierte System im stark regulierten Energiesektor zu unsicher und risikoreich sind?
Der hochregulierte Versicherungs- und Bankensektor hat vorgemacht, dass es geht. Dort ist die digitale Transformation viel weiter. Filialen wurden geschlossen, Online- und Mobile-Banking ist der neueStandard, Kunden nutzen ChatBots und Smartphone für die Kommunikation mit ihrem Dienstleister. Es werden Finanztransaktionen und Finanzdaten digital ausgetauscht, Informationen, die wesentlich sensibler sind als der Verbrauch von Strom und Gas.
Worauf sollten EVU achten, wenn sie ihre bisherigen Prozesse zur Kundeninteraktion auf digitales Optimierungspotenzial durchleuchten möchten?
Es empfiehlt sich, mit einem Dienstleister zusammenzuarbeiten, der möglichst viele Aspekte der Transformation mitdenkt. Der zum Beispiel nicht nur berät, sondern auch umsetzt. Der nicht nur mobile Anwendungen beherrscht, sondern auch die Verbindung zu weiteren Backendsystemen sicherstellen kann. Je mehr aus einer Hand kommt, desto geringer ist das Risiko für Effizienzverluste und technische Fehler. Vor allem aber sollte die Transformation nicht produktgetrieben sein. Es geht nicht darum, bei jedem Energieversorger eine mobile App einzuführen. Es geht darum, digitale Prozesse einzuführen, neue Kanäle für Anwender zu öffnen und ein digitales Anwendererlebnis zu schaffen. In wenigen Jahrenwird das ein Standard sein. Genauso wie heute zu jedem Unternehmensauftritt eine Website gehört.
Welche Herangehensweise empfehlen Sie stattdessen?

Mit welchen Prozessen sollten Unternehmen ihre Transformationsreise beginnen, wenn sie schnell messbare Ergebnisse sehen möchten?
Der Wechsel von papiergebundenen Zählerstandkarten zu digitalen Ableseprozessen bietet sich an. Er dauert, je nach internen Ressourcen, in der Umsetzung mit uns nur wenige Wochen. Der Return on Invest stellt sich bereits ein, wenn 7.000 bis 15.000 Zählerstände im Jahr digital abgegeben werden. Das ist mit flankierender Kundenkommunikation zur Einführung leicht zu erreichen. Und damit ist die Basis gelegt, um sukzessive weitere Funktionen zu ergänzen – mit zusätzlichen Effizienzvorteilen.Wir haben vor allem über Digitalisierung als Problemlöser gesprochen. Sie ist aber auch eine Chance, Kundenerlebnisse zu schaffen, die die Kundenbindung nachhaltig stärken. Wenn ich abends auf der Couch sitze und mal eben in meinem Smartphone meinen Energieverbrauch der letzten Monate prüfen kann, ist mein Energieversorger plötzlich in ganz privaten Momenten präsent. Das Setting verändert unbewusst auch die Haltung, die ich meinem Anbieter gegenüber einnehme. Das sollten EVU nutzen.
Vor allem, indem sie positive Kontakte über die jährliche Preisinformation oder Zählerstandsmeldung hinaus erzeugen.