Asien: Wie die schwierige Wirtschaftslage das Kunstklima in den asiatischen Ländern beeinflusst
Krefeld. Mit hohen Wachstumsraten ist es erst einmal vorbei. Dass China die US-Wirtschaft überholen wird, ist eine veraltete Prognose. Das Land der aufgehenden Sonne ist in eine Deflation gerutscht und hat mit einer ungelösten Krise am Immobilienmarkt, mit hoher Arbeitslosigkeit, schrumpfenden ausländischen Investitionen und geopolitischen Spannungen um Taiwan zu kämpfen. Das wirkt sich auch auf das Kunstklima des Landes und auf die Umsätze der beiden wichtigsten heimischen Auktionshäuser aus. Doch die Baisse birgt auch Chancen für Sammler.
Nach den Berechnungen des „Art Basel und UBS Reports“ fielen die Erträge bereits im Jahr 2022 in Nachwirkung eines brutalen Lockdowns bei „China Guardian“ um 40 Prozent auf umgerechnet 603 Millionen US-Dollar und bei „Poly Auctions“ sogar um 67 Prozent auf 450 Millionen Dollar. Inzwischen sind die Umsätze wieder gestiegen.
Beide Häuser haben ihren Hauptsitz in Peking. Das erste hat seinen Schwerpunkt bei chinesischer Kunst und Kunstgewerbe, das zweite bei moderner und zeitgenössischer Kunst. Auch in diesem Jahr sieht es nicht nach Wachstum aus. Zwar leben und wirken in China superreiche Sammler, die den Kunstmarkt prägen. Aber sie sind bei Werken im zweistelligen Millionenbereich vorsichtiger geworden.
Im Oktober 2023 ließ der chinesische Sammler-Investor Liu Yiqian bei Sotheby’s in Hongkong 39 Werke vermarkten. Deren problematischer Absatz hat den chinesischen Investitions- und Spekulationsdrang nicht gerade beflügelt. Modiglianis Bildnis der Paulette Jourdain wurde mit 34,8 Millionen US-Dollar zehn Millionen unter der Schätzung abgesetzt.
Die gesamte Auktion, deren Erlös in den Ankaufsetat des von Liu Yiqian gegründeten Long Museums in Shanghai fließen soll, spielte mit 69,5 Millionen US-Dollar nicht einmal die Hälfte der erwarteten 150 Millionen ein. Diese Auktion war ein Symptom dafür, dass in einem ökonomisch schwachen Umfeld sogar Blue Chips nicht mehr das halten, was sie einst versprachen.
Bei den chinesischen Auktionshäusern liegt China Guardian im Jubiläumsjahr 2023, dem 30. Jahr nach der Gründung, ganz vorn. Es nennt für 2023 einen Jahresumsatz von 871 Millionen US-Dollar und verweist auf eine starke durchschnittliche Verkaufsrate von 88 Prozent. Zu den teuersten Losen des Jahres 2023 zählen eine in der Ming-Dynastie (1368-1644) publizierte Blockdruck-Sammlung (6,4 Millionen Dollar) und eine Sammlung von Alben mit Landschaftszeichnungen und Kalligrafie chinesischer Künstler verschiedener Epochen mit 24,4 Millionen Dollar.
Weniger offen gibt sich Poly Auctions, die mit ihrem Herbstprogramm nicht mehr als 40,5 Millionen US-Dollar umsetzten. Es umfasste neben chinesischer Keramik und Malerei vorwiegend Luxusobjekte wie Handtaschen, Juwelen, Uhren und Wein. In der Auktion zeitgenössischer Kunst im Oktober war Chen Yifeis Gemälde „Warten auf den aufgehenden Mond“ mit umgerechnet 3,8 Millionen US-Dollar das Toplos. Im selben Monat erzielte hier eine farbige Drachenhenkel-Vase der relativ späten Jiaqing-Periode (1796-1820) mit 2,9 Millionen US-Dollar den Höchstpreis der Keramik-Auktion.
Kleinere chinesische Auktionshäuser konzentrieren sich auf traditionelle Malerei und Kalligrafie
Neben diesen beiden wichtigsten chinesischen Häusern gibt es noch eine Reihe von Konkurrenten, die mehr oder minder das gleiche Programm haben: traditionelle chinesische Malerei und Kalligrafie, chinesische Keramik und Kunstgewerbe und in geringerem Maße chinesische Gegenwartskunst.
Zeitgenössische chinesische Kunst spielt in den Versteigerungen des Pekinger Hauses „Yongle Auctions“ eine Hauptrolle. Hier wird in Spezialauktionen unter dem Titel „New Paintings in Global Vision“ auch jüngste Malerei ausgeboten. Im Februar 2023 wurde hier für die Traumsumme von 33,1 Millionen US-Dollar die Tuschzeichnung „Rafting In Wind and Rain“ des 1944 geborenen Malers Cui Ruzhuo zugeschlagen. Im Verhältnis dazu sind die rund 73 Millionen US-Dollar, die im gesamten zwölfteiligen Auktionszyklus des letzten Herbstes eingespielt wurden, eher moderat.
In Hongkong agieren die 2010 gegründete Firma und die „Tsui Chai Auctioneers“. „Tokyo Chuoi Auction“ will mit ihren Versteigerungen den Kunstaustausch zwischen Japan und China fördern. Im Fokus der Sammler asiatischer moderner und zeitgenössischer Kunst stehen die „United Asian Auctioneers“, ein Konsortium von vier asiatischen Firmen: einem Zweig der japanischen „Shinwa Art Auction“, Koreas „K-Auction“, Chinas „Beijing Hanhai Auction“ und Singapurs „One East Larasati“. Sie fördert die Kunst des südöstlichen Asiens.
Die Erlöse dieser kleineren Häuser sind, verglichen mit den Hongkonger Jahresumsätzen der drei Auktionsriesen Christie’s, Sotheby’s und Phillips, nur „Peanuts“. Der gemeinsame Umsatz ihrer Abendauktionen moderner und zeitgenössischer Kunst schrumpfte im Herbst 2023 nach Aussage der Analysten von Art Tactic lediglich um 3,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 220,6 Millionen US-Dollar.
In den letzten drei Jahren entstanden 30 neue Galerien in Shanghai
Christie’s setzte in seinen gesamten Hongkonger Herbstauktionen 456 Millionen US-Dollar um. Den höchsten Anteil daran hatte mit 136 Millionen die zeitgenössische Kunst. Für die moderne chinesische Malerei bleibt Sotheby’s der Marktführer. Das angelsächsische Haus konnte 2023 allein für dieses Marktsegment knapp 156 Millionen US-Dollar erlösen. Mit der Eröffnung einer Dependance in Shanghai feierte es im Mai sein 50-jähriges Jubiläum auf dem chinesischen Markt.
Die Kunstszene in Shanghai fokussiert sich nicht nur auf die im November stattfindende Art Week. Sie spricht mit den regionalen Messen „West Bund Art & Design“ und „Art021“ vor allem chinesische Sammler an. Neu ist eine Messe mit dem verwirrenden, weil bereits existierenden Namen „Art SG Singapore“. Er bezieht sich auf ein Viertel in Shanghai, das auch Singapore heißt. Hier wird Kunst zu eher moderaten Preisen angeboten, an der Spitze ein bei White Cube für 1,2 Millionen US-Dollar verkauftes Bild von Anselm Kiefer. Die Kunstszene in Shanghai wächst rasant. Allein in den letzten drei Jahren entstanden 30 neue Galerien in der Drachenkopf-Metropole.
China ist nicht alles. Auch der japanische Kunstmarkt, der nach dem Crash von 1990 in einen Dornröschenschlaf gefallen war, beginnt sich wiederzubeleben. Dafür sorgen die 2021 nach dem Berliner Vorbild gegründete und auf die japanische Kunst konzentrierte Art Week in Tokio und zwei neue Messen: seit 2015 die „Art Fair Tokyo“ mit rund 150 Ausstellern und die „Tokyo Gendai“. Sie hatte im letzten Jahr ihr erfolgreiches Debüt. Die Galerieszene beginnt sich zu internationalisieren.
Die New Yorker Pace Gallery, die auch Niederlassungen in Hongkong und Seoul hat, eröffnet einen Ableger in Tokio; andere globale Galerien werden folgen. In den Auktionshäusern des Westens reüssieren japanische Kunst und Kunstgewerbe. Neben den Dauersellern Netsuke und Schwertschmuck bringen japanische Farbholzschnitte von Hiroshige und Hokusai Rekordpreise.
Im März erzielte Hokusais „Große Welle“ bei Christie’s in New York 2,8 Millionen Dollar. Das fördert einen frischen Blick auf die japanische Kunst, die im Gegensatz zu der Kunst Chinas seit dem 19. Jahrhundert global gesammelt wurde. Im Gegenzug wächst jetzt auch wieder die Bedeutung westlicher Kunst für die Japaner. Im Jahresprogramm 2024 der Tokioter Museen stehen Ausstellungen von Matisse, Brancusi, de Chirico und Louise Bourgeois.
In den letzten zehn Jahren sind neue asiatische Märkte entstanden, die dem chinesischen Markt Paroli bieten. Eine von der koreanischen Regierung in Auftrag gegebene Studie, die 1361 Sammler befragte, betont den starken demografischen Wandel und damit die wachsende Bedeutung der nach 1980 geborenen Sammlergeneration im Lande.
Koreanische Sammler begeistern sich für westliche zeitgenössische Kunst, besonders aber für aufsteigende koreanische Künstler wie den Multimedia-Künstler Haneyl Choi oder den narrativen Maler Sangho No. Er ist ausgiebig in den sozialen Medien vertreten. 59 Prozent der koreanischen Sammler geben im Durchschnitt 10.000 bis 100.000 Dollar für ein Kunstwerk aus.
Junge Sammler prägen das Geschäft der Auktionen und Galerien
Kein Wunder also, dass die Londoner „Frieze“-Messe seit 2022 in Seoul eine Messe abhält, die im letzten Jahr vor allem Besucher aus der breiteren asiatischen Region anzog. Charakteristisch ist auch, dass immer mehr westliche Galerien in Seoul Dependancen eröffnen, zuletzt die König Galerie aus Berlin, White Cube aus London und die in Berlin, London, New York und Los Angeles residierende Galerie Sprüth Magers.
Asiatische Alternativen zum chinesischen Kunstmarkt, der 2010 mit einem Jahresumsatz von drei Milliarden Dollar explodierte, gibt es genug. Ob sie einmal die bis heute wirkende Strahlkraft Hongkongs oder die kulturelle Präsenz Pekings haben werden, sei dahingestellt. Es ist ein Markt, der an seiner Spitze von millionenschweren Protagonisten der chinesischen Kunst wie Chen Lifei oder Zeng Fanzhi angeführt wird und zugleich teuerste westliche Werke assimiliert.

Doch immer mehr nationale Auktionshäuser widmen sich der aufstrebenden zeitgenössischen Kunst des In- und Auslands. Eine Tausendschaft junger Sammler prägt in diesem zukunftsträchtigen Segment das Auktions- und Galeriegeschäft: ein Ruhekissen für den Markt, gerade in ökonomisch schwachen Zeiten. Das sieht auch Qiao Zhibing, der Topsammler zeitgenössischer Kunst, so. In einem Artikel aus dem Artnet-Newsletter „The Asia Pivot“ betonte er im November: „Ich sehe, dass ein nicht so heißer Markt den Sammlern besser dient. In diesen Zeiten haben Sammler mehr Beratung und mehr Handlungsoptionen.“







