Ausstellung in Berlin: Über die Herausforderung, ein Schwarzer Künstler zu sein

In der fotografisch archivierten Performance von 1979 zielt er mit dem Revolver auf einen weißen Dildo mit schwarzem Kopf. Männlichkeitswahn und Frustration des Schwarzen Mannes gehen hier Personalunion ein.
Berlin. Für eine Wiederentdeckung hat die Julia Stoschek Foundation in Berlin den gesamten ersten Stock freigeräumt. Die Ausstellung „Without your interpretation“ widmet sich dem Lebenswerk des Amerikaners Ulysses Jenkins, der seit den späten sechziger Jahren fünf Jahrzehnte die Video- und Performance-Szene der USA prägte.
Man braucht schon einen halben Tag, um das Archivmaterial und 25 Videos zu sichten. Jenkins zentrales Thema ist die Kultur der Black People und die multikulturelle Diversität. Als Kind der 1960er-Jahre wurde Jenkins entscheidend von dem Maler Charles White und Musikern wie James Brown und Jimmy Hendrix beeinflusst. Jenkins‘ Produktionsstudio „Othervisions“ wurde zu einem Ort, in dem es keine Ausgrenzung für Schwarze, Latinos, Indigene und Asiaten gab. Mit einer multikulturellen Künstlergruppe nahm er an der Kasseler Documenta IX teil.
In einem Live-Stream wurden 1992 Auftritte der von Jenkins gegründeten „Othervisions Art Band“ aus Santa Monica auf die Documenta übertragen. Videoprojektionen und Livebildern verschmelzen psychedelisch. Viele von Jenkins‘ Arbeiten haben einen der Zeit verpflichteten psychedelischen Touch. Vor allem das Video „Dream City“ von 1983, das zu Beginn der Präsidentschaft von Ronald Reagan Live-Musik, Tanz und Lyrik in unscharfen, elektronisch verfremdeten Bildern verbindet. Die Stadt Los Angeles ist hier Ort eines elektronisch verfremdeten spartenübergreifenden Kulturaustauschs.
Jenkins“ kulturübergreifender Blick übt auch Kritik am Selbstbild. In der fotografisch archivierten Performance „Just another rendering of the same old problem“ von 1979 zielt er mit dem Revolver auf einen weißen Dildo mit schwarzem Kopf. Männlichkeitswahn und Frustration des Schwarzen Mannes gehen hier Personalunion ein.
Besonders beeindruckend ist das im gleichen Jahr entstandene Video „Two-zone transfer“, das die amerikanischen Minstrel Shows parodiert, in der schwarz geschminkte weiße Sänger auftreten. Hier erscheint der Videokünstler als Prediger, dem drei Männer mit den geschwärzten Masken amerikanischer Präsidenten assistieren: ein politisch gefärbter Blick auf Stereotypen der Unterhaltungsindustrie.

In diesem Video erscheint der Künstler als Prediger, dem drei Männer mit den geschwärzten Masken amerikanischer Präsidenten assistieren: ein politisch gefärbter Blick auf Stereotypen der Unterhaltungsindustrie.
Dass Musik in wechselnder Besetzung in Jenkins“ gesamtem Schaffen eine Hauptrolle spielt, ist in vielen Werken nachzuerleben. Das zeigt schon die 1983 entstandene Videoarbeit „Z-Grass“. Untermalt von elektronischen Klängen werden darin abstrakte Animationen abgespult, die in Aufnahmen der Othervisions Art Band kulminieren. Die Band erscheint als mitstreitende Formation in vielen der ausgestellten Videos.
In ihrer imposanten Breite ist diese Retrospektive das vielstimmige Fazit eines Schaffens, das sich in Bild und Ton der permanenten Herausforderung stellte, ein Schwarzer Künstler zu sein.


„Ulysses Jenkins: Without Your Interpretation“, Julia Stoschek Collection Berlin, bis 30. Juli 2023. Katalog gratis
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