Ausstellung in der Stoschek Collection in Berlin Medienkunst zwischen Gewalt und Befreiung

Videostill aus dem auf Video transferierten Super-Acht-Film „A Fire In My Belly“.
Berlin Gewalt, Verlust und Befreiung sind Kernbegriffe, um die sich eine hoch brisante Video-Schau in der Berliner Julia Stoschek Collection dreht. 46 Werke von 36 Künstler/innen sind ausgebreitet. Elf Neuankäufe seit 2017 sind in Berlin erstmals zu sehen, darunter Arbeiten von Cyprien Gaillard, Laure Prouvost, Anne Imhof und Leila Hekmat. Die Ausstellung bietet ein beispielhaftes Gleichgewicht an Arbeiten weiblicher und männlicher Künstler. Der Strom der Videos ist an einigen Stellen von Fotokunst und Objektkunst unterbrochen.
Das Motto „A Fire in my belly“ ist der Titel eines unvollendeten Films des amerikanischen Künstlers und Autors David Wojnarowicz entlehnt, der 1992 an Aids verstarb und der Momentaufnahmen einer Mexiko-Reise mit gespenstischen allegorischen Bildern wie einem brennenden Augapfel und einem von Ameisen bekrochenen Kruzifix verband. Gewalt und ihre Wirkung auf Körper und Geist sind diesem auf 13 Minuten zusammengeschnittenen Video, das in die Ausstellung führt, gleichsam eingebrannt.
Alptraumhafte Hieronymus Bosch-Figuren beherrschen die Arbeit von Cyprien Gaillard, während eine 1911 entstandene, in rotes Abendlicht getauchte Capri-Impression des Sozialreformers Karl Wilhelm Diefenbach eher begütigend wirkt. Dieser Vorkämpfer der Freikörperkultur und Friedensbewegung war ja eine kontroverse Person, die in einer Künstlerkommune mit Keuschheitsgebot regierte.
Eher langweilig als bedrohlich wirkt das halbstündige Video von Anne Imhof, in dem die Protagonistin in Endlosschleife Luft und Meer peitscht. Etwas mehr geschieht in dem Venedig-Video von Laure Prouvost, das Glasbläser und Balanceakte mit Glaskunst zeigt und einen Farbigen, der vom Dach eines Pavillons springt. Hier erscheint das Formale und seine sinnliche Ausstrahlung wichtiger als Gesten der Gewalt und der Befreiung, die andere Werke der Schau prägen.
Zum Beispiel das krasse Agentur-Foto von den an einer Tankstelle aufgehängten Leichen Benito Mussolinis und seiner Geliebten Clara Petacci, das der amerikanische Künstler Adam McEwan in einem riesigen C-Print als postmortalen Gewaltakt monumentalisiert.

Still aus dem 61 Minuten langen Video "Get Rid of Yourself" (2003).
Wie beruhigend wirkt dagegen Robin Rhodes Vanitas-Arbeit, in der eine gemalte Kerze physisch angezündet wird. Noch mehr Vanitas bietet Paul Chans Zeichentrick-Arbeit, in der aus Caravaggios Früchtekorb peu à peu alle Früchte nach oben entschweben. Mit experimenteller Bilderflut überrumpelt die queere amerikanische Medienkünstlerin Barbara Hammer, die ihren Slogan „I’m sick of men“ formalästhetisch in Doppelbelichtung und Spiegelungen auslebt.
Im oberen Stockwerk beherrscht ein Objekt von Monica Bonvicini die Schau: eine dicht mit Männergürteln bestückte Ledersäule, die als Monument unterschwelliger Gewalt ihre Wirkung nicht verfehlt. Ihr halbstündiges Video „Hammering Out“ dokumentiert den brachialen Gewaltakt einer aufgehämmerten Wand.
Liebe ist die Botschaft
Den tänzerischen Kontrast dazu setzt ein früher, 1995 entstandener Film der Britin Tracey Emin, in dem die Vertreterin der einstigen „Young British Artists“ über ihre desillusionierende sexuelle Erfahrung als Teenager berichtet, die sie mit Tanzen überwindet.
Im Jahr 2016 entstand ein höchst aktuelles Video des Afro-Amerikaners Arthur Jafa, in dem die Polizeigewalt gegen Schwarze mit den Idolbildern farbiger Künstler, Politiker, Sportler und mit Szenen der Hoffnung und Verzweiflung kombiniert ist. Der Titel „Liebe ist die Botschaft, die Botschaft ist Tod“ spricht für sich.
Das raumgreifendste Exponat der Ausstellung entstand 2020. Die mit experimentellen Theaterformen arbeitende kalifornische Künstlerin Leila Hekmat führt uns in einen Vorraum, in dem Puppen mit historischen Kostümen stehen. Deren lebendige Träger posieren im Video eines absurden Dramas, in dem die queeren Figuren einer hypererregten Familie nach erotischer Pantomime und Singsongs von ihrer Mutter liquidiert werden. Alle sind verrückt. Es ist ein irrationaler Humor, der hier zur Identitätskrise und zum Tode führt.
Streicheleinheiten für den Hinterkopf
Es gibt Werke, die mit weniger Aufwand überzeugen. Von der Reduktion auf einen menschlichen Kopf lebt ein zwölf-minütiges, im Untergeschoss gezeigtes Video des Kaliforniers Rindon Johnson. Es zeigt den Hinterkopf des afro-amerikanischen Künstlers, der von zwei weißen Frauenhänden vom Nacken bis zum Scheitel gestreichelt wird. Das Gesicht ist nie sichtbar. Aber es stellt sich der Eindruck einer fast abstrakten Intimität und Zärtlichkeit ein.
Schon hier zeigt sich, dass die Ausstellung nicht nur die Gewalt im Auge hat, sondern bilderreich zwischen den Polen Inhumanität und Emanzipation vermittelt.
Die Ausstellung ist mit vorgebuchten Tickets zu besichtigen. In einem Gratis-Magazin werden die Werke der Schau von Essays und Einführungstexten begleitet.
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