Hans Maulberger: Missionar für deutsche Nachkriegskunst
München. „Zeitzeugen“ heißt die Ausstellung zum Jubiläum der vor 35 Jahren gegründeten Galerie Maulberger. Seit Monaten wird sie vorbereitet. Aber wegen der Corona-Pandemie bleiben die Türen zur Vernissage am 3. April und danach geschlossen. „Es ist schade um diese tolle Ausstellung, aber wir werden 700 bis 800 Kataloge an unsere Kunden schicken und ihn natürlich ins Internet stellen“, sagte Hans Maulberger im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Hans Maulbergers Mission sind deutsches Informel und Zero-Kunst. Also die abstrakte, gegenstandslose Kunst aus malerischen Gesten und die Kunst am Nullpunkt, die Licht und Bewegung verhandelt. Mit Werken von Fritz Winter, K. R. H. Sonderborg, Gerhard Hoehme, Conrad Westpfahl und Otto Piene wollte er das Progressive der abstrakten Kunst der 1950er- und 1960er-Jahre feiern und auch das 35-jährige Bestehen seiner Galerie.
Alles umsonst? „Wir haben hier nichts für den modernen Lifestyle“, stellt der Galerist mit einem Schmunzeln klar. Seine Sammler sind treue Stammkunden. Auf Wunsch werden Kunstwerke zur Ansicht geliefert, aber auch wieder von einer Spedition abgeholt.
Vor mehr als fünf Jahren prophezeite Hans Maulberger dem Handelsblatt, dass die Spitzenpreise für deutsche Nachkriegskunst in absehbarer Zeit um eine Kommastelle nach rechts rücken werden. Nicht alle Künstler haben diesen Sprung gemacht. Aber sechsstellige Preise für K. O. Götz und Fritz Winter, Auktionserlöse in Millionenhöhe für Ernst Wilhelm Nay sind Bestätigung für einen Galeristen, der sein Lager seit Jahrzehnten mit informeller Kunst füllt. In den abstrakten Gemälden der jungen Bundesrepublik bewundert der heute 76-Jährige konsequenten Formwillen und philosophische Tiefe.
Wie die Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten die Entwicklung der Malerei vorantrieb, das ist statt in der Ausstellung im Katalog und im Netz nachvollziehbar. Noch 1953 komponierte Karl Otto Götz weiche, organisch geformte Abstraktionen wie auf dem Blatt „Dez. 1953/II“. Das ein Jahr später entstandene Deckfarbenblatt von ihm zeigt schon Dynamik statt Abbildung.
Kühnes Zeugnis einer frühen Neudefinition des Kunstbegriffs liefert 1955 Herbert Zangs mit einem kittfarbenen Gussrelief. Das zum Teil mit Pressluft geformte Werk soll 120.000 Euro kosten.
In jedem Exponat sieht Maulberger die Zeit- und Kunstgeschichte. Fred Thielers Gemälde „0—32/55“ etwa, vor dem sich der Galerist auf dem hier abgebildeten Foto zeigt, tourte als Teil der Ausstellung „ZEN 49“ der Jahre 1956/1957 quer durch die USA. Es soll 88.000 Euro kosten.
Anfänge mit Spätimpressionisten
Die deutsche Nachkriegskunst ist kein überhitzter Markt. Dass sie heute zu den Klassikern des 20. Jahrhunderts zählt, ist auch ein Verdienst dieser Galerie. Dass der Zero-Boom die Nachkriegskunst aufgewertet hat, bestreitet ihr Gründer nicht im Geringsten. Aber seine Devise als Kunsthändler lautet bis heute: „Wir richten uns nicht nach dem Markt. Wir bewerten Kunst aus dem Abstand von 50 Jahren“.
Als die Kunstwelt in den 1970er- und 1980er-Jahren die Figuration von Kippenberger, Baselitz und Polke feierte, kaufte Maulberger die Abstraktionen von Rolf Cavael, Fred Thieler und K. O. Götz. Später hat er ihnen in Anlehnung an das amerikanische „Action Painting“ das Etikett „German Action“ verpasste. Er spürt und schätzt die Energie dieser Maler. In seiner Galerie in Landshut handelte er anfangs noch mit Spätimpressionisten. Erst als er in den 1990er-Jahren seine Galerie nach München verlegte, konzentrierte er sich ausschließlich auf die Nachkriegskunst.
Maulbergers Kapital war der umfangreiche eigene Gemäldebestand. Er kaufte für seine Ausstellungen direkt bei den Künstlern oder ihren Erben. Er fuhr beispielsweise zu Emil Schumachers Familie. Der Sohn des weltweit geschätzten Künstlers hatte ein paar schwächere Blätter herausgesucht. Maulberger blieb hart, bis er einige Werke mit Tiefgang hervorholte. Darunter war auch jenes Deckfarbenblatt von 1987, das für 29.800 Euro in der Jubiläumsausstellung angeboten wird.

Die Gouache auf Transparentpapier ist "O. T." betitelt und 1955 geschaffen.
Maulberger stieg tief in die Materie ein. Den Nachlass von Conrad Westpfahl oder Klaus Wildemann zu erwerben, sind Gelegenheiten, die sich ein Galerist mit Langzeitstrategie nicht entgehen lässt. Seit Jahren betreut und erweitert man in der Briennerstraße das Archiv K. R. H. Sonderborg. Zu den Galerie-Ausstellungen entstanden mehr als 50 wissenschaftlich bearbeitete Kataloge etwa zur Künstlergruppe „Quadriga“ und zu „ZEN 49“ sowie Künstlermonographien.
Der schnelle Hype interessiert den Galeristen nicht. Die Zeit spielt nicht gegen sondern für ihn. „Selbst wenn ich ein Bild nicht verkaufe, bleibt es doch ein gutes Bild“, so Maulberger. Sein Programm hat ein wissenschaftliches Echo gefunden. Seit 2019 existiert in Bonn die Forschungsstelle informelle Kunst.
Früh begeistert für Zero
Maulbergers größter Coup ist zugleich Herausforderung. Den Nachlass von Herbert Zangs übernahm er 2011, kurz bevor im Zuge der Zero-Euphorie die kalkig weißen „Schnürungen“ aus Korken, Bindfaden und Nesseltuch des experimentellen Krefelders einen enormen Preisanstieg erfuhren.
„Zangs war jemand, der seiner Zeit weit voraus war. Sein komplexes Werk ist bis heute gar nicht zu Ende bewertet“, sagt der Münchner Galerist. Er bewahrt dicke Aktenordner mit Dokumenten und etwa 450 Werken dieses zu lang Übersehenen in seinem Depot auf. Maulbergers wissenschaftliche Mitarbeiterin Carolin Weber spürt im Jubiläums-Katalog den Intentionen und Einflüssen dieses international vernetzten Avantgardisten nach.
Aber auch Hans Maulberger war seiner Zeit voraus. Schon in den 1990er-Jahren begeisterte er sich für Zero-Kunst und die Arbeiten von Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker. Anlässlich des 90. Geburtstages des Nagelkünstlers plante er für seinen Stand auf der soeben verschobenen „Art Cologne“ eine Sonderschau mit Uecker-Arbeiten. Glanzstück der Show soll auch während des neuen Herbsttermins Ueckers großes Nagelbild „Hommage à Lothar Wolleh“ von 1990 zum Preis von 3 Millionen Euro sein. Ein bisschen Hype sei auch Hans Maulberger zu seinem 35. Jubiläum gegönnt.
Mehr: Herbert Zangs: Lesen Sie hier über die Rückkehr eines vergessenen Talents





