Hochzeit auf den ersten Blick: Kuppelshow von Sat1 setzt auf den Skandal
Das Brautpaar Bea (32) und Tim (31) aus Nordrhein-Westfalen in der ersten Ausgabe der Sat.1-Show „Hochzeit auf den ersten Blick“. Erst vor dem Traualtar sahen sich die beiden das erste Mal – und gaben sich direkt das Ja-Wort.
Düsseldorf. Am Tag der eigenen Hochzeit ist wohl jeder angemessen aufgeregt, Gedanken schießen durch den Kopf: Ist das wirklich der Mensch für den Rest meines Lebens? Was aber, wenn man den potenziellen Partner noch nie gesehen hat?
Das ist das Modell der neuen Sat.1-Show „Hochzeit auf den ersten Blick“. Die Sendung (sonntags, 17:55 Uhr) funktioniert an sich nicht groß anders als bekannte und erfolgreiche Kuppel-Formate wie „Bauer sucht Frau“ oder „Schwiegertochter gesucht“ des Platzhirschs RTL. Zwei mehr oder weniger verzweifelt Liebessuchende werden vor einem Millionenpublikum zusammengeführt, um endlich glücklich zu werden. Der große Unterschied ist der Kniff, den bereits der Titel der Sendung verrät: Die beiden Kandidaten sehen sich das erste Mal direkt vor dem Traualtar.
Bereits im Angesicht des Standesbeamten müssen die beiden dann entscheiden, ob sie die aufgeregt schwitzende Person neben sich wirklich sofort heiraten wollen. Wenn nicht, ist das Kennenlernen schon beendet. Falls beide jedoch wirklich „Ja“ sagen, geht es direkt in die Flitterwochen.
Erst dort lernt sich das frisch verheiratete Ehepaar wirklich kennen – mit allen positiven und negativen Überraschungen. Nach sechs Wochen entscheidet dann jeder für sich, ob die Ehe fortgeführt oder schon wieder geschieden wird.
Ob die beiden Kandidaten für einander gemacht sind, entscheiden „Experten“ im Vorfeld anhand mehrerer Kriterien. Zunächst wertet ein „Matching-Experte“ einen Fragebogen der Teilnehmer aus: „Worauf legen sie in einer Beziehung wert?“ oder „Wie bindungsfähig sind sie?“ wird da zum Beispiel erfragt. Dann untersucht ein „Wohnpsychologe“ das Zuhause, um so auf Charaktereigenschaften zurückzuschließen.
Sexuelle Vorlieben werden anhand von „Farbtests“ ermittelt. Am Ende gibt ein DNA-Test Auskunft über die physische Verträglichkeit, denn: Je unterschiedlicher das Immunsystem der Partner, desto eher passen sie zusammen. Ergibt sich am Ende eine hohe Übereinstimmung, führen die Experten die Kandidaten vor den Traualtar. Der Sender betont die wissenschaftliche Herangehensweise an die Liebe, die die Show, im Original aus Dänemark stammend, so einzigartig mache. Soweit so gut, aber wer bewirbt sich denn für so etwas?
Die Kandidaten der Sendung überlassen ihre Partnersuche einem Expertenteam und vertrauen auf ein wissenschaftliches Matching.
Die Antwort: Eigentlich niemand. Die Teilnehmer meldeten sich auf eine Werbeanzeige, die eine neue TV-Show versprach, die endlich die Suche nach dem Traumpartner beendet. Angekündigt waren „Blind-Dates“ – dass es ein „Blind-Wedding“ wird, wusste im Vorfeld niemand.
7000 Personen bewarben sich, 120 „vermittelbare“ Kandidaten wurden zu einem Workshop eingeladen. Erst dort erfuhren sie, dass sie ihren Partner sofort heiraten müssten. Fast die Hälfte lehnte daraufhin dankend ab, 68 ließen sich auf das von Sat.1 „Sozialexperiment“ genannte Unterfangen ein.
Das erste Paar vor dem Traualtar waren Beate B. (32) und Tim K. (31). Mehr als den ersten Blick hatten die beiden wirklich nicht, bevor der Standesbeamte die entscheidende Frage stellte. „Das, was ich suche, habe ich bisher noch nicht gefunden - und ich glaube, dass ich durch dieses Experiment die Chance bekomme, genau diesen Mann zu finden“, begründete Kandidatin Bea ihre Teilnahme vor der Hochzeit.
Tatsächlich sagten Bea und Tim „Ja“, der erste richtige Kuss kam erst nach der Eheschließung. Zumindest vor der Kamera wirkten die beiden anschließend wirklich zufrieden, die Chemie stimmte. Schon am nächsten Tag ging es in die Flitterwochen – nach Island. Bei Regen und Sturm wurde die Stimmung zwischen den beiden direkt auf eine harte Probe gestoßen.
Gemeinsames Wohnglück bei Tim und Bea. Nach den Flitterwochen auf Island zieht Tim in die Wohnung seiner Angetrauten.
Über existenzielle Fragen konnten die beiden erst im Laufe der Reise sprechen, so zum Beispiel, ob und wann Kinder gewollt sind. Was jede Beziehung schon beim ersten Date killen kann, besprachen die beiden bereits mit dem Ehering am Finger. Glücklicherweise wollen beide Kinder, aber bloß nicht sofort.
Besonders die Kirche findet die Sendung gar nicht cool, es hagelt Kritik ohne Ende. Kölns Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki nannte die Show im Domradio „abstoßend“. Und weiter: „Diese neue Kuppel-Show im Privat-Fernsehen, bei der wildfremde Menschen vor der Kamera spontan und standesamtlich heiraten, pervertiert die Ehe – ja pervertiert die Liebe“.
Um sich vielleicht auch vor solcher Kritik zu schützen, hat sich der Sender Beistand von oben geholt – in Form des Theologen Martin Dreyer, der in der Expertenjury sitzt. Er verteidigt das Format: „Unsere TV-Sendung stellt ein völlig neues Sozialexperiment dar. Es will herausfordern, über die Liebe noch einmal ganz neu nachzudenken. Und dass es Spaß macht, dieses Experiment anzuschauen, da wird Gott garantiert nichts dagegen haben.“
So harmonisch wie bei Bea und Tim läuft die Spontan-Hochzeit jedoch nicht immer. Schon beim zweiten Paar, Rico und Jana, ist ordentlich Sand im Getriebe. Beide geben sich jedoch zunächst das Ja-Wort, doch schon auf dem Weg zur anschließenden Feier passiert den beiden die erste beziehungstechnische Voll-Katastrophe.
Rico fragt seine frisch angetraute Frau, ob er optisch überhaupt ihr Typ sei. Klare Antwort von Jana: „Nein.“ Danach herrscht schon bei der Aufnahme der Hochzeitsfotos eine Grabesstimmung, die beiden bekommen kaum noch ein Lächeln hin.
Spaß hat das Publikum dennoch. Bei der ersten Ausstrahlung vor zwei Wochen schalteten 2,52 Millionen Zuschauer ein, die Sendung fuhr einen Marktanteil von 13,2 Prozent in der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen ein. Die zweite Folge verlor zwar 200.000 Zuschauer (insgesamt noch 2,37 Millionen sahen zu), in der werberelevanten Zielgruppe konnte der Marktanteil dagegen sogar minimal gesteigert werden – auf 13, Prozent. Damit liegt die Show weit über dem Sat.1-Senderschnitt von knapp unter zehn Prozent.
Die Zahlen (und ein Selbstversuch des Autors) zeigen: die Sendung ist tatsächlich unterhaltsam. Und Teile der angewendeten Matching-Methoden, wie zum Beispiel der Fragebogen, sind durchaus gute Ideen, um wichtige Gemeinsamkeiten der Partner festzustellen.
Ob der hohe Unterhaltungswert jedoch Legitimation genug ist, um mit einer der letzten moralischen Institutionen der westlichen Gesellschaft zu spielen, muss wohl jeder Zuschauer für sich selbst entscheiden. Dass die beiden Kandidaten sofort heiraten müssen, ist der verzweifelten Suche des Privat-Fernsehens geschuldet, mit einem neuen Tabu-Bruch Aufmerksamkeit zu erzeugen.
Sat.1 setzt auf den Skandal. So könnte die Sendung am Ende wohl eher „Scheidung auf den ersten Blick“ heißen. Wer sich das „Sozialexperiment“ selbst einmal anschauen möchte: Heute Abend, um 17:55 Uhr, strahlt Sat.1 die dritte Folge aus.