Mäzenatentum: Ein besonderes Privatmuseum für Hamburg

Hamburg. Eine KI lädt den Besucher freundlich in den kleinen Ausstellungsraum der Hamburger Kunsthalle ein. Sie bittet ihn, auf dem bereitgestellten Stuhl Platz zu nehmen. Doch plötzlich wird die Stimme strenger. Fotos werden von einem gemacht, ungefragt. Die Stimme kommentiert Aussehen und Verhalten des Gegenübers. Und agiert überhaupt nicht so, wie man es von dienender Technik erwartet.
Schauplatz ist die Installation „Conspiracy Theory“ (Verschwörungstheorie) des Berliner Künstlers Andreas Greiner, eine Leihgabe der Kunstsammlung Kollektion888. Sie war in den vergangenen Monaten ein Magnet der Sonderausstellung „Illusion“. Greiners KI hält sich nicht an die von Menschen vorgegebenen Regeln – so wie der übergriffige Computer HAL 9000 aus Stanley Kubricks Kinoklassiker „2001 – Odyssee im Weltraum. Das Werk, das vor der Markteinführung von ChatGPT entstand, zeige „die Science-Fiction, in der wir jetzt leben“, wie der Künstler sagt.
Hinter der Installation steckt aufwändige Arbeit. Entwicklung und Programmierung der KI waren komplex und kostspielig. Greiner hatte Glück, weil er auf einen privaten Geldgeber zurückgreifen konnte. Die in Berlin und Hamburg ansässige Kunstsammlung Kollektion888 hat die Produktion finanziell ermöglicht und die Installation dann für die eigene Sammlung angekauft.
Wer steckt hinter der Kollektion888? Auf der Website der Sammlung wird der Name des Gründers verborgen. Er würde lieber außerhalb des Rampenlichts bleiben, heißt es dort. Der Fokus solle auf der Kunst und den Künstlern liegen. Dennoch willigt der Sammler in ein Gespräch mit dem Handelsblatt ein. Es ist Oliver Herrmann, der die Kollektion gemeinsam mit seiner Frau Julia Herrmann zusammenträgt.
Herrmann ist seit den 1990er-Jahren Immobilienentwickler. 2004 gründete er das Unternehmen Redos, mit dem er in große Einkaufszentren und Einzelhandelsprojekte in Deutschland investierte. Vor drei Jahren schloss er sein Unternehmen mit dem vor allem in Belgien tätigen Immobilienunternehmen Redevco zusammen. Mit den Redos-Assets verfügt Redevco heute über Immobilienanlagen im Wert von rund zehn Milliarden Euro.

Vor einem alten Umspannwerk berichtet Herrmann von seiner zweiten Leidenschaft, der Kunst. Diese besondere Immobilie steht mitten in einem gediegenen Wohnviertel im Hamburger Stadtteil Uhlenhorst. Typischer roter Backstein, kubisch, klassisch modern. Derzeit steht das denkmalgeschützte Gebäude leer; doch Baustellentüren und verstaubte Fenster zeigen an, dass im Inneren Arbeiten laufen.
Hier entsteht der Hamburger Standort der Kollektion888. Ein Ort für Ausstellungen – aber vor allem ein Ort für Künstler. Geplant ist ein großes Wohnatelier, in dem Künstlerinnen und Künstler auf Zeit leben und arbeiten sollen. Die hohe Transformatorenhalle soll zum Veranstaltungs- und Ausstellungsraum werden, der langgezogene Keller zum Lager- und Schauraum für die derzeit rund 250 bis 300 Werke der Sammlung.
Etwa um 2010 sei er in New York mit dem Virus der Kunst infiziert worden, erzählt Herrmann. Spontan hätten die Herrmanns ihre ersten Arbeiten gekauft, Ölbilder, die stark von der Urban und Street Art geprägt sind. Danach wurden die Herrmanns Stammgäste auf Messen und in Galerien. „Es entwickelte sich zur Sucht“, wie er lachend sagt. Aufgewachsen sei er in einem Zuhause, das von der väterlichen Sammelleidenschaft für Antiquitäten und Porzellan geprägt war. „Als Kunst habe ich das eher abgelehnt, aber das Sammler-Gen habe ich wohl geerbt“, sagt er.
Das Sammlerpaar sucht nach Kunst, die sich nicht in Selbstbeschäftigung verliert, sondern Anschluss an aktuelle gesellschaftliche Fragen sucht. Das entspricht auch dem sozialen Engagement von Julia Herrmann, die in Hamburg eine der Gesellschafterinnen des Projekts „Arztmobil“ ist. Es organisiert ärztliche Versorgung für obdachlose Menschen.
Die Herrmanns möchten nicht nur sammeln, sondern auch die Entstehung und Verbreitung von Kunst aktiv fördern. Sie unterstützen Ausstellungsprojekte, vergeben Leihgaben und bauen an einem wachsenden Künstlernetzwerk. Mit dabei sind Künstler, die am Berliner Institut für Raumexperimente von Olafur Eliasson studiert haben; unter ihnen Fabian Knecht, der politische und ökologische Themen aufgreift, und Andreas Greiner.
Nach Aussage von Billy Jacob, dem Direktor der Kollektion888, verfügt Herrmann über die größte Sammlung von Arbeiten Greiners überhaupt. Der Künstler selbst bezeichnet das als „zeitgenössische Form des Mäzenatentums“: „Für mich bedeutet das eine enorme Verlässlichkeit und wirtschaftliche Absicherung. Als konzeptuell arbeitender Künstler habe ich viele Kosten: für das Studio, für freiberuflich tätige Mitarbeiter. Das Ganze funktioniert wie ein Darlehenskonstrukt; ich bekomme Mittel, um meine Arbeiten zu produzieren, und zahle mit Kunst zurück.“
Mit einem Residency-Programm möchte die Kollektion888 nun noch einen Schritt weitergehen. Frei von kommerziellem Druck sollen Künstler die Möglichkeit bekommen, auf Zeit in Hamburg zu arbeiten. Wer kommen darf, soll eine Fachjury entscheiden. An ihrer Zusammensetzung wird noch gearbeitet. Eröffnet wurde der Prozess jetzt mit einem „Open Call“ im Berliner Showroom der Kollektion888 in Kreuzberg. Im Spätherbst sollen die Räumlichkeiten im ehemaligen Umspannwerk fertiggestellt sein.
Warum hat er sich für Hamburg als zentralen Standort der Kollektion888 entschieden? „Wir haben uns gefragt, wo man mehr bewirken kann“, sagt Oliver Herrmann. „Unser Schwerpunkt soll auf der Künstlerförderung liegen, und hier besteht dafür einfach ein großer Bedarf. Die vorhandenen Förderprogramme haben zudem in der Regel eine Altersgrenze, die oft bei 35 liegt. Viele talentierte Künstler haben da keine Chance. Und das soll es bei uns nicht geben.“



Allein durch ihre Ankäufe ermöglichen und fördern Sammler die Kunst und die Künstler. Doch was die Herrmanns in Hamburg und Berlin machen, geht mindestens zwei bis drei Schritte weiter.
kollektion888.com





