Kellner in Ischgl: „Bier! Bier! Bier!“
Ischgl. Mein neuer Job läuft noch keine anderthalb Stunden, da brüllt mich der Chef an. „Bier!“, ruft der Mann im Karohemd. „Bier! Bier! Bier!“ Ich lasse den Zapfhahn ununterbrochen laufen. Wenn das Glas in der rechten Hand voll ist, halte ich mit der linken schnell das nächste unter den Strahl.
Um Zeit zu gewinnen, baue ich eine Reihe aus 20 Bieren vor mir auf. Doch der Vorrat hält nicht lange. Meine Kollegen in den roten Polohemden holen im Minutentakt Nachschub. Die Kellner tragen das Gebräu jetzt literweise aus dem Schankraum. Es ist ein Montagabend im Januar. Im Tiroler Wintersport-Ort Ischgl bedeutet das: Zeit fürs Après-Ski.
Die Party nach der Piste hat hier Tradition. Spätestens um 16.30 Uhr, wenn auf dem Berg die letzten Lifte schließen, strömen die Skifahrer und Snowboarder zu Tausenden an die Theken im Tal. Im „Kuhstall“, in der „Champagnerhütte“ oder in der „Schatzi Bar“ herrscht dann Hochkonjunktur.
Viele Gäste geben an einem einzigen Abend 50 bis 100 Euro nur für Alkohol aus. Die Wirte machen in den fünf Monaten einer Saison mehr Umsatz als mancher Industriebetrieb. Peter Zellmann vom Wiener Institut für Freizeit- und Tourismusforschung sagt: „Mit Massen, die viel trinken, verdient man einfach am meisten.“
Mein Arbeitgeber ist der größte Unternehmer im Ort nach der Seilbahngesellschaft: Hans von der Thannen, weiße Haare, grauer Schnurrbart, kam vor 47 Jahren nach Ischgl. Als Koch verdiente er knapp 700 Euro im Monat. Heute führt er ein Fünf-Sterne-Hotel mit Gourmetrestaurant.
Familie von der Thannen gehört auch noch ein Vier-Sterne-Haus im Ort. Dazu zwei Diskotheken, eine Raststätte und Fitness-Studio in der Nähe. Der wohl mit Abstand lukrativste Betrieb steht zwei Gehminuten von Ischgls Talabfahrt: Die „Trofana Alm“ ist eine der berühmtesten Après-Ski-Hütten von ganz Tirol. Wie das Party-Geschäft funktioniert, und was es tatsächlich abwirft, will ich dort heute herausfinden.
Mit Korn hat alles angefangen. Die Geschichte von Hardenberg-Wilthen geht bis ins Jahr 1700 zurück. Damals hieß das Unternehmen „Kornbrennerei Hardenberg“. In der heutigen Form wurde der Spirituosenkonzern im Jahre 1998 gegründet. Neben dem Korn verkauft Hardenberg-Wilthen unter anderem auch den Likor „Original Danziger Goldwasser“ und den Weinbrand „Wilthener“.
Umsatz (2014): 87,4 Millionen Euro
Foto: dpa - picture-alliance1996 ist Brown-Forman in den deutschen Markt eingestiegen. Zum Produktsortiment zählen die Whiskeys „Jack Daniel's“ und „Southern Comfort“, die Vodka-Marke „Finlandia“ und die Tequila-Marke „El Jimador“. In Deutschland beschäftigt der Konzern 100 Mitarbeiter. Weltweit arbeiten 4100 Menschen für Brown-Forman.
Umsatz (2014): 107,4 Millionen Euro
Foto: dpa - picture-allianceZu den Klassikern von Beam Deutschland gehört der Bourbon „Jim Beam“ in all seinen Variationen. Das Portfolio des Unternehmens Beam Suntory beinhaltet unter anderem auch die Whiskeys „Maker's Mark“ und „Canadian Club“. Im vergangenen Jahr belief sich de Deutschland-Umsatz auf über 118 Millionen Euro.
Umsatz (2014): 118,7 Millionen Euro
Foto: apDer Apfelkorn von Berentzen ist das wohl bekannteste Produkt des Unternehmens. Trotz des bekannten Produkts steckte Berentzen 2008 in einer tiefen Krise. Nachdem sich die Eigentümerfamilie zurückgezogen haben, entstand im Geschäftsjahr 2008 ein Verlust von rund 22,5 Millionen Euro. Mittlerweile ist Berentzen aus dem Gröbsten wieder raus.
Umsatz (2014): 153,4 Millionen Euro
Foto: dpaÜber 160 Millionen Euro setzt der Spirituosenkonzern Diversa in Deutschland um. Der Cognac Remy Martin gehört zu den Premiumprodukten des Unternehmens. Auf der Homepage von Diversa wird er für seine verführerische Note reifer Sommerfrüchte gelobt.
Umsatz (2014): 163,5 Millionen Euro
Foto: ReutersIm oberschlesischen Beuthen gegründet und nach den Zweiten Weltkrieg in Rottenburg an der Laaber neu aufgebaut, produziert Rola jährlich 50 Millionen Flaschen für Discounter in Deutschland. Größter Abnehmer der Spirituosen ist Aldi.
Umsatz (2014): 173,6 Millionen Euro
Foto: ScreenshotSemper idem Underberg generiert mit gerade einmal 164 Mitarbeitern einen Umsatz von über 180 Millionen Euro. Bekanntgeworden ist das Unternehmen mit seinem gleichnamigen Magenbitter „Underberg“. Im Lauf der Zeit wurden neue Spirituosen hergestellt und zahlreiche Konkurrenten aufgekauft. 1972 erwarb Underberg das Unternehmen Gürtler sowie die Sektkellerei Schlumberger. Hinter den Produkten „Metaxa“, „Moskovskaya“ und „Pitu“ verbirgt sich ebenfalls Underberg.
Umsatz (2014): 181,1 Millionen Euro
Foto: HandelsblattIn über 100 Ländern verkauft Bacardi seine Produkte. Der weltweite Umsatz beläuft sich auf rund sechs Milliarden. In Deutschland liegt der Umsatz bei über 191 Millionen Euro. Das bekannteste Produkt trägt den Firmennamen selbst. Der Bacardi-Rum gehört zu den meistverkauften Spirituosen der Welt.
Umsatz (2014): 191,3 Millionen Euro
Foto: dpa - picture-allianceItalien, Deutschland und Brasilien sind die wichtigsten Märkte für die Campari-Gruppe. Wie bei Bacardi trägt auch bei Campari das bekannteste Produkt den Firmennamen. Gegründet wurde der Spirituosenkonzern im Jahre 1860 in Mailand durch Gaspare Campari. Seitdem zählen zahlreiche weitere Marken zum Produktportfolio. So vertreibt Campari unter anderem noch „Aperol“, „Ouzo 12“, „Skyy Vodka“ und „Cinzano“.
Umsatz (2014): 220,8 Millionen Euro
Foto: obsIm Nachkriegsdeutschland gründete die Familie Matthiesen den Hamburger Spirituosenkonzern Borco. 1982 baute Borco die Tequila-Marke „Sierra Tequila“ nach nur einem Jahr zum Marktführer auf. Weitere bekannten Marken sind „Loch Lomond“, „Parliament“, „Russian Standard“ und „Żubrówka“.
Umsatz (2014): 253,4 Millionen Euro
Foto: dpa - picture-alliance27.355 Menschen arbeiten weltweit für den Spirituosenkonzern Diageo. Bekannte Marken sind „Gordon's Gin“, „Baileys“, „Smirnoff“ und „Johnnie Walker“. Der Gesamtumsatz des britischen Unternehmens beträgt rund 18 Milliarden Euro. Damit ist Diageo der weltweit größte Spirituosenhersteller. In Deutschland allerdings kommt Diageo nicht über Platz 5 hinaus.
Umsatz (2014): 262,9 Millionen Euro
Foto: ReutersDer hochprozentige Schnaps Absinth hat Pernod bekannt gemacht. 1975 wurde Pernod mit Ricard fusioniert. Im Portfolio des Unternehmens verbergen sich zahlreiche weltweit bekannte Spirituosen. Um nur einige zu nennen: „Ballantine's“, „Jameson“, „Havana Club“, „Absolut“, „Wyborowa“, „Ramazzotti“ und „Malibu“.
Umsazt (2014): 436,7 Millionen Euro
Foto: ReutersZunächst wurde das Unternehmen 1878 von Wilhelm Mast als Essigfabrik und Weinhandlung gegründet. Erst später, 1934, erfand Masts Sohn Curt den legendären „Jägermeister“. Bis heute ist der Kräuterlikör der Hauptumsatzbringer des Konzerns. Mast-Jägermeister befindet sich im Privatbesitz der Familie Findel-Mast.
Umsatz (2014): 441,3 Millionen Euro
Foto: dpaHenkell ist eines der ersten Unternehmen in Deutschland, das die Champagnerherstellung beherrschte. Bereits 1857 wurde in Mainz die erste Fabrik zur Herstellung des edlen Tropfen gebaut. Mittlerweile bietet Henkell nicht nur teure Spirituosen an. Mit „Wodka Gorbatschow“ hat das Unternehmen auch einen Billig-Schnaps im Portfolio.
Umsatz: 700,7 Millionen Euro
Foto: obsDer größte Spirituosenkonzern Deutschlands ist Rotkäppchen-Mumm. Im vergangenen Jahr lag der Umsatz bei fast 900 Millionen Euro. Die Größe des Umsatzes hat das Unternehmen den Übernahmen von Mumm, Jules Mumm und MM Extra zu verdanken. Mit 116 Millionen verkauften Flaschen ist der Rotkäppchen Sekt der Top-Seller des Konzerns.
Umsatz (2014) 897,2 Millionen Euro
Foto: dpaHans von der Thannen weiß, dass ich Reporter bin. Er lässt mich als Aushilfe hinter die Kulissen seines Party-Betriebs blicken. Ich starte in einem großen Raum hinter der Bar im Erdgeschoss. Um kurz nach vier am Nachmittag hält sich der Stress noch in Grenzen, die Betriebsleiterin weist mich in Ruhe ein.
Linker Hahn: Weizenbier. Mittlerer Hahn: Bier. Rechter Hahn: Glühwein. Wichtig: Es soll keine Schaumkrone entstehen. Warum das so ist, werde ich noch erfahren. Es dauert nicht lange, da kommt die erste Bestellung. Ein Bier, ein Weizen. Zwei Mal 0,4 Liter für insgesamt 11,50 Euro. So steht es auf dem Bon, den der schwarze Kasten neben mir soeben ausgeworfen hat.
Seit 1. Januar müssen Wirte in Österreich jeden Umsatz quittieren. Der Staat will wissen, wie viel die Gastronomen einnehmen. Und er will über die 20-prozentige Mehrwertsteuer mitverdienen. Von den ersten beiden Gläsern, die ich zapfe, gehen 9,20 Euro an Herrn von der Thannen und 2,30 Euro ans österreichische Finanzamt, das zudem pro Glas noch ein paar Cent Biersteuern erhält.
Gegen 17 Uhr zieht das Geschäft an. Der schwarze Kasten spuckt jetzt mehrere Bons in der Minute aus. Sechs Bier, ein Radler, zwei Weizen, ein Glühwein. Hin und wieder rennt ein Kellner mit einer Schüssel voll Eis an mir vorbei, in der eine Champagner- oder Wodkaflasche steckt.
Damit es möglichst viele Leute mitbekommen, serviert der Kollege die Pullen mit einer Leuchtfackel, die gelbe Funken sprüht. 0,7 Liter Wodka bekommen die Gäste ab 95 Euro. Ein dreiviertel Liter Schampus kostet mindestens 105 Euro.
Das klingt lukrativ. Das meiste Geld macht die „Trofana Alm“ aber mit dem Getränk, das die Gäste hier inzwischen wie Wasser trinken: Bier. Ein 50-Liter-Fass, das im Einkauf inklusive Steuern 125 Euro kostet, muss nach aktueller Getränkekarte rund 650 Euro Umsatz einspielen.
An Spitzentagen, so erfahre ich, trinkt das Partyvolk 100 Fässer leer. Ein einzelnes Fass würde dann im Schnitt keine fünf Minuten halten. Ist die Hütte brechend voll, darf Betreiber von der Thannen mit über 120.000 Euro Tagesumsatz rechnen. Allerdings sind in der „Trofana Alm“ auch mindestens 40 Mitarbeiter im Einsatz.
Kurz vor halb sechs: Ich kann inzwischen mehrere Biere hintereinander durchzapfen. Damit bin ich startklar für den Einsatz im oberen Stock. Auf einer Empore, die in etwa vier Metern Höhe einmal um die Tanzfläche herum verläuft, drängt sich eine tobende Horde aus schwitzenden Menschen in Skianzügen.
Sie springen und tanzen und kreischen zur donnernden Musik: „Hey! Wir woll‘n die Eisbär‘n sehen! Hohoho-hohoho-hohoho!“ Und sie trinken literweise Bier und Schnaps. Unter der donnernden Musik, die in den Schankraum dringt, zapfe ich ein Glas nach dem anderen. Ohne meine Vorratsstrategie würde ich längst den Betrieb aufhalten.
Die Kellner packen die Biere in graue Plastikkisten, in denen auch dutzendweise Jägermeister-Fläschchen und Birnenschnäpse stecken. Kurz bevor sie sich mit einer Trillerpfeife im Mund auf den Weg in die feiernde Menge machen, sprühen sie aus einem Schlauch den Bierschaum in die Gläser. So sieht der Gerstensaft immer wie frisch gezapft aus.
Geübte Kollegen stemmen mit der linken Hand eine Plastikkiste und mit der rechten noch zwei meterlange Holzlatten, in denen je zehn volle Gläser stecken. Eine solche Lieferung ist mindestens 150 Euro wert. Nach wenigen Minuten kehren die Kellner zurück und holen Nachschub. Ein Knochenjob.
Um einen Eindruck von der Plackerei zu bekommen, mache ich mich selbst auf den Weg in die Party-Hölle. Auf der Schulter balanciere ich eine graue Wanne, so groß wie zwei Getränkekisten. Ich soll zwischen den hüpfenden und schunkelnden Leuten leere Gläser einsammeln. Ich bin fast zwei Meter groß und treibe regelmäßig Sport. Doch schon nach 25 Gläsern, die Wanne ist gerade halb voll, wird es schwer.
Gerade stelle ich eine Ecke auf dem Geländer vor der Empore ab und greife nach einem leeren Schnapsglas, da rutscht die Wanne ab. Gläser klirren, Gäste blicken mich erschrocken an. Im letzten Moment fange ich die Bütte ab. Schweißgebadet stelle ich das graue Ungetüm im Schankraum ab. Die Kollegen lachen.
Ich habe Glück: Heute ist einer der wenigen Tage in der Saison, an denen die Party schon um 20 Uhr endet. Als der DJ das letzte Lied spielt, spüre ich Erleichterung. Ich habe gelernt: Après-Ski mag ein Millionengeschäft sein. Aber Après-Ski ist auch harte Arbeit. Zum Abschluss des Tages darf ich zurück in meine Reporter-Rolle schlüpfen.
Im Bierkeller der „Trofana-Alm“ zeigt sich auf zwei Holzpaletten die Bilanz des Tages: 22 Fässer Bier haben die geschätzt 600 Gäste in vier Stunden getrunken. Das wären im Schnitt 1,8 Liter pro Kopf. Einige dürften einen ordentlichen Rausch haben. Vor allem, wenn man bedenkt, dass dazu noch einige Hundert Jägermeister, Birnenschnäpse und Wodka sowie Wein und Champagner über den Tresen gingen.
Und was hat dieser Montagabend nun eingespielt? Das frage ich Betreiber Hans von der Thannen am nächsten Tag. Einen Euro-Betrag nennt er nicht. Doch er verrät Informationen, die eine gute Schätzung erlauben sollten: Bier macht etwa die Hälfte des Umsatzes aus. Der Rest entfällt etwa gleichermaßen auf Schnaps sowie Wein und Champagner.
Und, auch das kalkulieren Wirte: Etwa fünf Prozent sind Schwund, etwa weil Bier in den Ausguss tropft oder Kellner falsch abrechnen. Also: 22 Fässer à 50 Liter abzüglich Schwund macht 1045 Liter Bier. Bei einem Durchschnittspreis laut Getränkekarte von 13,50 Euro macht das 14.107,50 Euro.
Zusammen mit Schnaps, Wein und Schampus dürfte die vierstündige Party damit 28.215 Euro Umsatz generiert haben. 22.330 Euro für die „Trofana-Alm“ mit den 40 Mitarbeitern und 5885 Euro für das Finanzamt, das neben der Mehrwertsteuer auch noch Biersteuer kassiert. Auf dem Rückweg in die Redaktion fasse ich einen Entschluss: Wenn ich je eines Tages als Reporter aufhören sollte, eröffne ich eine Après-Ski-Hütte.