Cornelia Poletto: „Es gibt viel zu viele Kochshows“

„Kochsendungen helfen am Ende der ganzen Branche.“
Hamburg. Einerseits boomen die Discounter, andererseits jagt ein Lebensmitteltrend den nächsten – ein schwieriges Terrain für jene Topköche, die dank des neuen Gastrokults auch im TV Karriere machen. Mit Cornelia Poletto diskutierten Thomas Tuma, Vizechefredakteur des Handelsblatts, und eine große Schar unserer Leser nun in Hamburg im Rahmen des Wirtschaftsclubs über die Exzesse der Branche.
Frau Poletto, Sie entstammen einer Familie voller Mediziner und Pharmazeuten. Schluckten Ihre Eltern, als Sie sagten, Sie wollten Köchin werden?
Man muss der Wahrheit ins Gesicht blicken: Ich war viel zu faul, um an Abitur auch nur zu denken. Und weil ich auch keine Sprechstundenhilfe werden wollte, landete ich in der Gastronomie. Aber natürlich hatte ich schon früh Spaß am Backen und Kochen. So entstand mein Interesse an besonderer Küche – Fasan nach einem Rezept von Eckart Witzigmann zum Beispiel. Der Vogel war leider pupstrocken, aber die Soße grandios!
Wie hat sich das Image Ihrer Zunft verändert?
Vor 15 Jahren hätte ich mich als Köchin nicht getraut, hier mit Ihnen vor großem Publikum über meinen Job zu diskutieren, und das auch noch in hohen Schuhen. Damals herrschte noch das Bild der dicken Kaltmamsell vor. Da hat sich auch durch eine Vielzahl von TV-Shows enorm viel verändert.
Gilt das auch für die Berufsrealität?
Früher war allein das Produkt, die Kochkunst maßgebend. Heute will der Gast auch unterhalten werden. Als Sterne-Koch müssen Sie mindestens einmal am Abend bei Ihren Gästen vorbeischauen und plaudern. Es sind enorm viele Managementaufgaben dazugekommen.
Wir Deutschen haben die meisten Brot- und Wurstsorten der Welt und die teuersten Küchen, in denen wir dann gar nicht kochen. Zugleich sind wir das Land der Lebensmittel-Discounter. Wie passt das zusammen?
Deutschland ist hier wie in vielen anderen Fragen sehr gespalten: Für manche Freaks ist Ernährung heute ein echter Lebensmittelpunkt geworden. Für das Gros geht es mehr denn je um den Preis. Das hilft Discountern mit ihrem vermeintlichen Premium-Angebot zu Spottpreisen. Und Küchen sind tatsächlich Statussymbole geworden – viel zu teuer, um dann auch noch darin zu kochen. (lacht)
Ihr Berliner Kollege Tim Raue hat sich uns gegenüber mal beklagt über all die Unverträglichkeiten und Sonderwünsche der Gäste, die normales Kochen mittlerweile fast unmöglich machen. Erleben Sie das auch?
Ganz schwierige Sache, ja. Einerseits machen wir Köche uns gern mal lustig über die Zutatenlisten, mit denen manche Gäste heute erscheinen. Andererseits kann eine echte Unverträglichkeit natürlich böse enden. Ich selbst habe zum Beispiel einen Gast, bei dem alles nur in Wasser gekocht und ungesalzen sein darf. Eine Katastrophe für jeden Koch.
Sind wir zu hysterisch?
Mitunter, aber das ist auch die Folge einer Industrie, die uns in ihren Produkten unglaublich viel Zucker, Hefeextrakte und andere Geschmacksverstärker unterjubelt. Irgendwann rächt sich der Körper – und der Geist. Die Folge ist großes Misstrauen.
Was muss man von all den Esstrends halten wie vegane Ernährung, Low Carb oder Paleo?
Ein Fünkchen Wahrheit steckt sicher in all diesen Trends, sonst wären sie nicht so erfolgreich. Aber alles, was extrem betrieben wird, hilft nicht. Es kann indes nicht verkehrt sein, sich ein bisschen über die eigene Ernährung Gedanken zu machen.
Sie haben sich mit Ihrem ersten Restaurant einst schnell einen Michelin-Stern erkocht – und dann auch viele Jahre verteidigt, bevor Sie Location und Konzept veränderten – auch um dem Druck im Kampf um Sterne zu entfliehen?
Dieser Druck hat schon zu Selbstmorden geführt. Und auch wenn ich selbst ihn nie derart brutal empfunden habe, war es doch an der Zeit abzubiegen.

„Das Speiseangebot in den Zügen ließe sich noch erweitern.“
Kann man generell sagen: Je besser die Küche, umso schwieriger ist es, davon leben zu können?
Ich glaube schon, ja. Allein der Wareneinsatz liegt bei Sterne-Restaurants mit über 30 Prozent deutlich höher als bei normalen. Dazu kommen: viel Personal, hohe Investitionen in Weinkeller und Ambiente, enge arbeitsrechtliche Grenzen. Deshalb sind die meisten Top-Etablissements mittlerweile nicht mehr inhabergeführt, sondern werden von großen Hotelketten oder finanzstarken Mäzenen betrieben.
Zu Ihrem Imperium gehört neben einem gutbesuchten Bistro heute eine Kochschule, die Produktion von Kochbüchern, Werbung, TV-Aufritte... was bringt die Prominenz?
Jeden TV-Auftritt können Sie sofort an den Reservierungen ablesen. Das hilft schon sehr, weil es eine Art Fundament schafft und die Gäste sich freuen, die Fernsehnase mal live zu sehen.
Wenn das Restaurant dann brummt, ist allerdings der Chef oft nicht da, weil er gerade eine neue Kochshow aufzeichnet, oder?
Böse Journalistenfrage! Aber da kann ich nur mit Paul Bocuse antworten, der übrigens im Gegensatz zu mir Journalisten gehasst hat. Einmal wurde er gefragt, wer denn koche, wenn er nicht da sei. Er sagte: Die, die eh immer kochen. Es gibt tolle Köche wie Harald Wohlfahrt...
... Chef des Drei-Sterne-Hauses „Traube Tonbach“ in Baiersbronn…
... der einfach nicht vor die Kamera will. Trotzdem glaube ich, dass er unsere Kochsendungen gut findet, weil sie am Ende der ganzen Branche helfen. Auch wenn ich zugebe: Es gibt viel zu viele Kochshows.
Gerade ging Ihre Sat.1-Show „The Taste“ zu Ende. Wie wird man eigentlich TV-Koch?
Ich bekomme mittlerweile schon Bewerbungen von jungen Menschen, die denken, TV-Koch sei ein Ausbildungsberuf. Aber es bleibt ein Zufall – beziehungsweise Glücksfall. Bei mir ging es mit einem Kochkurs los, über den ich dann bei „Kerners Köche“ landete. So was muss einem auch Spaß machen.
All die Hensslers, Lafers, Rosins, Rachs und Mälzers – muss man sich das als große Familie vorstellen. Oder ist sich da jeder selbst der Nächste?
Na ja, das sind eben Jungs. Ich gehe mal davon aus, dass es zwischen denen durchaus eine gewisse Konkurrenz gibt. Als eine von wenigen Köchinnen habe ich das Glück, von Revierkämpfen verschont zu bleiben. Eigentlich ist Platz für uns alle.
Warum ist Spitzenküche noch immer so ein Männer-Ding?
Ich kriege schon relativ viele Bewerbungen von jungen Frauen. Aber der Job ist einfach nicht familienkompatibel. Noch schlimmer: Generell tun wir uns alle schwer damit, Nachwuchs zu begeistern. Ein junger Koch bekommt nach seiner dreijährigen Ausbildung gerade mal 1 200 Euro brutto. Damit können Sie niemanden mehr locken.
Haben Sie schon mal Speisen für die Bord-Bistros Ihres Mannes, Bahn-Chef Rüdiger Grube, kreiert?
Das habe ich tatsächlich schon gemacht – als er und ich uns noch gar nicht kannten. Heute wäre das schon aus Compliance-Gründen kein Thema mehr. Ich finde aber, dass sich das Speisenangebot in den Zügen durchaus noch erweitern ließe.



Rüdiger Grube sitzt ganz hinten im Saal. Er war am Abend noch aus Stuttgart von einem Termin gekommen. Selbst seine Frau hatte nicht mehr mit ihm gerechnet.
Und, Herr Grube: Zufrieden mit dem Angebot in Ihren Speisewagen?
Grube: Auf jeden Fall, auch wenn wir dort weiter besser werden müssen. Zurzeit habe ich den Eindruck, dass die eher schlichten Gerichte am besten laufen. Es ist auch nicht so leicht, in den winzigen Küchen wirklich zu zaubern. Insofern haben Köche wirklich meinen vollen Respekt: Sie müssen ja nicht nur ihr Handwerk beherrschen, sondern sind längst auch Manager, Controller und und …
Frau Poletto, Herr Grube, vielen Dank für das Interview.





