Jürgens Weinlese: Wie einzigartige Weine eine Region verändern können

Blick auf die Weinberge in der Nähe von Meran und Umgebung. Um Vordergrund ist Schloss Lebenberg in Marling.
Düsseldorf. Einzigartige Weine können die Weinwelt nachhaltig verändern. Für die Auswirkungen solcher „Icon-Wines“ gibt es viele Beispiele. Ohne das Weingut Cloudy Bay beispielsweise, das in den 1980er-Jahren für seine Kreation eines Sauvignon Blanc weltweite Anerkennung erhielt, wäre der neuseeländische Weinbau heute wohl bei Weitem nicht so bekannt und beliebt. Und die Australier würden zum Ärger der dortigen Winzer den neuseeländischen Sauvignon Blanc nicht gegenüber dem einheimischen vorziehen.
Ein anderes Beispiel: Im Jahr 1979 legte der damals eher unbekannte 29-jährige Miguel Torres den Grundstein für seinen mittlerweile weltweit bekannten Weinkonzern. Bei einem Weinwettbewerb des Feinschmeckermagazins „Gault Millau“ in Paris ließ sein spanischer Cabernet Sauvignon „Gran Coronas Black Label“ alle großen französischen Mitbewerber hinter sich. Darunter waren die weltweit berühmten Top-Châteaus wie Latour und Lafite.
Bereits drei Jahre vorher veränderte eine internationale Probe in Paris die Weinwelt. Damals gingen die Höchstnoten nicht wie erwartet an die französischen, sondern an die Cabernet-Sauvignon-Weine aus Kalifornien. Diese Weinrevolution wurde in dem Film „Bottle Shock“ ausgiebig erklärt.
Seitdem spielen die Weine von der US-Westküste in der höchsten Weinliga weltweit mit. Top-Cabernet-Sauvignons wie beispielsweise ein „Screaming Eagle“ kosten je nach Jahrgang um die 4000 Euro.
Diese Auflistung zeigt einige Besonderheiten. Solche Icon-Weine werden aus den klassischen Rebsorten der Welt hergestellt. Andere Rebsorten sind unbedeutend und können die in diesem Preissegment gewünschte Geschmackskonzentration offenbar nicht bieten.
Einzigartige Konstellation in Südtirol
Die Icons stehen über den restlichen Weinen, sind führend in ihrem Bereich, beständig in der Qualität, hochgelobt und verfügbar. Dafür sind sie fast immer extrem teuer – aber eine Klasse für sich. Davon profitiert nicht nur der jeweilige Wein, sondern meist die gesamte Weinregion.
Eine weltweit wohl einzigartige Konstellation bei Icon-Wines existiert im Anbaugebiet Südtirol. Dort werden solch einzigartige und teure Produkte von Genossenschaften produziert. Also Weinhersteller, die in anderen Ländern in erster Linie für Quantität und weniger für Qualität stehen. „Die Genossenschaftskellereien sind in Südtirol die Gralshüter der Qualität“, schrieb die Schweizer Zeitung „Blick“.

Mit Stolz und Stirnlampe präsentiert Tramin-Kellermeister Willi Stürz eine Flasche des Gewürztraminers Epokale. Der Wein reift mehrere Jahre im Stollen.
In Südtirol hat die Kellerei Tramin bereits vor einigen Jahren für ihren Gewürztraminer Epokale, Jahrgang 2009, mit 100 Punkten die maximale Bewertung vom weltweit bekanntesten Weinkritiker Robert Parker bekommen. Es war und ist der erste italienische Weißwein, der diese höchste Bewertung bis dato erhielt.
Dabei ist die Geschichte hinter diesem Wein kurios: Tramin-Kellermeister Willi Stürz hat aus der Not eine Tugend gemacht. Weil die Genossenschaft in ihrem Gebäude keinen Platz zum Lagern hatte, wurden die Weine in ein stillgelegtes Bergwerk gebracht. Dort gibt es einen Stollen, der konstant eine Temperatur von elf Grad Celsius und eine gute Feuchtigkeit hält.
Dadurch kann der Wein konstant und langsam reifen. Für Stürz „hat das den Wein besser gemacht“ als eine Lagerung mit schwankenden Temperaturen. Der „Epokale“ 2009 lag sieben Jahre im Bergwerk, ehe er verkostet werden durfte. Vom aktuellen Jahrgang 2015 wurden 2500 Flaschen hergestellt.
Eine Flasche kostet rund 500 Euro am Sekundärmarkt, ist aber schnell ausverkauft, obwohl der Verkauf streng limitiert ist. Ab Kellerei sind es rund 150 Euro – aber dieses Schnäppchen ist sehr schwer erhältlich.

Insgesamt gibt es derzeit in Südtirol zwölf Kellereigenossenschaften.
Die sehr aromatische Rebsorte Gewürztraminer ist eine der ältesten überhaupt und weltweit anerkannt, genießt aber bei vielen deutschen Weinkritikern keinen hohen Stellenwert. Das ist in vielen Ländern anders. „Ich mag Gewürztraminer, weil die Rebsorte zu vielen Speisen passt“, meint beispielsweise Fiona Beckett, Weinkolumnistin der britischen Tageszeitung „Guardian“ und Mitarbeiterin des Fachmagazins „Decanter“.
Das sehen die Italiener wohl ähnlich, denn dort ist die Rebsorte ebenfalls beliebt. Die Genossenschaft Tramin verkauft von ihren vier verschiedenen Gewürztraminer-Weinen 90 Prozent an italienische Restaurants.
Insgesamt gibt es derzeit in Südtirol zwölf Kellereigenossenschaften mit 360 Mitarbeitern und knapp 3300 Mitgliedsbetrieben, die 3332 Hektar Weinbaufläche bearbeiten. Sie stellen rund 70 Prozent aller Weine aus der Region her. Dazu kommen 32 private Weingüter (25 Prozent) und 116 freie Weinbauern (fünf Prozent).
Teilweise über 30 Jahre lang gereift
Mit nur rund 5600 Hektar Rebfläche ist Südtirol eines der kleinsten, aber feinsten Weinanbaugebiete Italiens, und über 98 Prozent der gesamten Fläche sind als DOC klassifiziert. Die Abkürzung DOC steht auf italienischen Weinflaschen für „Denominazione di Origine Controllata“ – eine Bezeichnung für herkunftskontrollierte Weine. Damit nimmt Südtirol in dieser Hinsicht einen unangefochtenen Spitzenplatz ein.
Die Südtiroler Genossenschaften setzen stark auf Qualität. So produziert und vermarktet beispielsweise die Kellerei Terlan auch spezielle Lagen von einzelnen Winzern.
Terlan hat auch begonnen, die Weine länger auf der Feinhefe reifen zu lassen. Die Raritätenweine herausragender Jahrgänge werden zunächst ein Jahr lang im Holzfass ausgebaut, danach kommen sie zehn bis 30 Jahre lang in kleine Stahlfässer mit 2500 Liter Inhalt. Ihre vollendete Trinkreife erreichen sie nach weiteren vier bis fünf Jahren Flaschenlagerung.
Derzeit lagern 16 Jahrgänge dieser Ausbaumethode in kleinen Stahlfässern, zurückreichend bis in das Jahr 1979. Jährlich ist vom Raritätenwein eine Stückzahl von nur 3330 Flaschen verfügbar.
„Wir können uns Mittelmäßigkeit nicht mehr leisten“

37 Millionen Euro hat das Gebäude in der Landeshauptstadt von Südtirol gekostet.
Die Kellerei Bozen, die vor allem durch ihre exzellenten Weine mit der eigenen Südtiroler Rebsorte Lagrein bekannt ist, hat einen 37 Millionen Euro teuren Neubau in der Landeshauptstadt gebaut. Und wie in Südtirol mittlerweile bei den Genossenschaftskellereien üblich, konnte sich auch hier ein Architekt verwirklichen.
Und die Region hat noch viel vor. Das neueste Projekt ist eine Klassifizierung von Einzellagen, für die bestimmte Rebsorten definiert wurden. Die Lage darf auf dem Etikett nur dann genannt werden, wenn der Wein aus einer der ausgewählten und passenden Rebsorten erzeugt wurde. Die Umstellung hat die italienische Zentralregierung in Rom bereits genehmigt.

2019 wurde das Gebäude eröffnet. in der die Trauben der 224 Mitglieder der Bozner Kellerei zu einigen der besten Weine Südtirols verarbeitet werden. Die 20 .000 Quadratmeter Produktionsfläche sind vorwiegend unterirdisch angelegt.
„Dann entscheidet nicht mehr der Geldbeutel, welche Rebsorte auf der jeweiligen Einzellage angebaut wird, sondern das Terroir in Verbindung mit der Rebsorte“, erläutert Martin Foradori, Vizepräsident des seit 2007 gegründeten Konsortiums Südtiroler Weine. Für ihn bildet das Projekt die Grundlage für weitere erfolgreiche 30 bis 40 Jahre in dieser Weinregion. Seine Maxime angesichts einer sich verändernden Weinwelt: „Wir können uns Mittelmäßigkeit nicht mehr leisten.“

Natürlich hoffen die Südtiroler Winzer, dass auf diesen neuen Einzellagen weitere Icon-Weine entstehen, die das positive Image der Region weiter fördern und auch entsprechend teuer verkauft werden können. Doch eine Preisempfehlung für die neuen Weine wird das Konsortium nicht geben. „Das ist kartellrechtlich nicht möglich. Unabhängig davon ist die Qualität dieser Weine ausschlaggebend für den Preis“, meint Foradori, der gleichzeitig das Weingut Hofstätter leitet.
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