Jürgens Weinlese: „Online steigen noch viel größere Player ein“

Der Weinhandel steckt in der einer schwierigen Phase. Die Händler müssen ihre Nische finden, meint Weinmarketing-Experte Alexander Schreck.
Weinmarketing-Dozent Alexander Schreck und Fachjournalist Carsten M. Stammen haben sie interviewt: 25 Macher aus der Weinbranche. Beispielsweise Winzer wie Miguel Torres aus Spanien und Roman Niewodniczanski von der Saar, Händler wie Gerd Rindchen und Martin Kössler, Weinkritiker wie Stuart Pigott und Gerd Eichelmann oder Start-up-Vorstand Max Gärtner. Herausgekommen ist das Buch "Wine Entrepreneurs", das schildert, welche Faktoren wichtig sind, um Erfolg in dieser Branche zu haben. Das Interview dazu mit Schreck, selbst Unternehmer, enstand während eines Redaktionsbesuches.
Hallo Herr Schreck, wie sind Sie auf diese Idee gekommen, solch ein Buch zu schreiben?
Während einer Wein-Marketingveranstaltung. Christian Ress, Winzer aus dem Rheingau, erzählte von seinen Ideen. Über seine Winebank, bei der Liebhaber edler Tropfen Plätze zur optimalen Lagerung mieten können. Oder über den Wein, den er im See versenkt hat, damit er dort reift und andere Aromen bekommt. Er hat einen unglaublichen Riecher für Möglichkeiten und besitzt den entsprechenden Geschäftssinn.
Und Sie wollen, dass andere von solchen Ideen profitieren?
Genau, das war meine Idee. Ich hätte Christian Ress drei Stunden lang zuhören können. Und den anderen 70 Personen, mit denen ich in diesem Raum saß, ebenfalls. Ress denkt ein wenig größer als andere, aber der eine oder andere junge Winzer kann von seiner Sichtweise enorm profitieren.
Wenn sie die vielen Interviews zusammenführen: Was muss man mitbringen, um in diesem Business erfolgreich zu sein?
Das Wichtigste: Die absolute Liebe zum Produkt. Wenn man die nicht hat, dann fehlt einem die Grundlage für diesen Job. Wenn man die Leidenschaft nicht hat, dann ist es von vornherein eine Totgeburt. Diese Leidenschaft habe ich bei allen Interviewpartnern gespürt. Alle haben sich gefreut, darüber zu reden. Alle haben funkelnde Augen dabei gehabt, und nur mit diesen funkelnden Augen funktioniert das, um in dieser Branche erfolgreich zu sein.
Man kann dieses Bild von funkelnden Augen auch etwas umdeuten. Nach meinen Kenntnissen verdient man in der Weinbranche eher zu wenig Geld. Hatten die Gesprächspartner eher Tränen in den Augen?
Nein, das war Leidenschaft in den Augen. Obwohl es auch stimmt, dass in der Weinbranche zu wenig Geld verdient wird. Das kann ich so unterschreiben. Es gibt viele, die steigen ins Weingeschäft ein, obwohl sie wissen, dass sie in anderen Branchen mehr verdienen könnten. Der jährliche Gewinn eines durchschnittlichen Weinerzeugers liegt bei nur rund 53000 Euro. Dabei liegt diese Summe noch deutlich über dem EU-Durchschnitt. Mein Fazit: Die Spitze verdient viel Geld, die breite Masse der Weinerzeuger aber nicht.
Und Sie haben die Gutverdiener interviewt?
Von den Personen, die ich für das Buch interviewt habe, sind viele dabei, die gutes Geld verdienen. Aber manche auch nur, weil sie andere Jobs haben. Schauen Sie sich Wolfgang M. Rosam an, Herausgeber des Weinmagazins "Falstaff". Im Hintergrund steht eine große Werbeagentur. Das Weinmagazin ist für ihn eher eine Herzensangelegenheit.
Was machen die, die viel Geld verdienen, anders als diejenigen, die weniger Geld in der Weinbranche verdienen?
Zum einen sind es unterschiedliche Voraussetzungen in den jeweiligen unterschiedlichen Sparten der Weinbranche. Wichtig ist aber die Vermarktung. Wir sehen in der Branche immer stärker, dass sich die Protagonisten selbst als Marke etablieren. Das sieht man geraden bei jungen Winzern immer deutlicher, die teilweise schon kleine Popstars sind.
Ist das die Schlüsselqualifikation für die Branche: Sich selbst als Marke zu etablieren?
Das ist auf jeden Fall eine sehr gute Möglichkeit, um eine starke Position zu erreichen. Die Wein-Hochschule in Geisenheim schätzt, dass drei bis fünf Prozent der Produzenten dazu in der Lage wären, sich als Marke zu etablieren. Da bleiben natürlich viele übrig, die das nicht schaffen. Aber es gibt natürlich noch hundert andere Möglichkeiten, wie ich mich positioniere.

Alexander Schreck, Weinmarketing-Experte.
Haben Sie Beispiele?
Zum Beispiel der Johannes Deppisch, der eine eigene Golf-Linie herausgebracht hat und mit einer Golfanlage kooperiert. Oder Moritz Haidle, ein sehr guter VDP-Winzer, bekennender Rapper und Graffiti-Sprayer. Mittlerweile gibt es auch viele Werbeagenturen wie die Medienagenten, die entwickeln zusammen mit dem Winzer dann eine Story, wie man den Wein verkaufen kann. Denn die Weinliebhaber wollen Geschichten hören.
Kann man mit solchen schönen Geschichten auch schlechten Wein verkaufen?
Die Qualität der Weine ist mittlerweile sehr solide geworden, richtig schlechte Weine gibt es so gut wie nicht mehr. Ich glaube aber, dass man heutzutage einen soliden Wein mit einer guten Vermarktung besser an den Mann oder die Frau bringen kann als einen besseren Wein mit schlechter Vermarktung.

Weimjournalist Carsten M. Stammen.
Beim Durchlesen ihres Buches habe ich festgestellt: Im Weinbereich gibt es viele Quereinsteiger, nicht nur bei den Erzeugern. Ist das gut oder schlecht für die Branche?
Dadurch wird die Branche professioneller. Schauen sie sich doch die vielen Start-ups wie Vicampo, Wine in Black oder Wirwinzer an. Die Personen kommen doch nicht ursprünglich aus dem Weinbereich. Die steigen mit ihrem speziellen Know-how ein und versuchen das auf die Branche umzusetzen. Oder die vielen Marketingfachleute, die sich auf den Weinbereich konzentrieren, weil sie eine hohe Affinität zum Produkt haben. Ein Beispiel ist mein Interviewpartner Gerd Rindchen ein gelernter Versicherungskaufmann. Er hat es mit seinem Weinhandel auf mittlerweile zwölf Filialen gebracht.
Aber der Weinhandel hat doch derzeit mit vielen Problemen zu kämpfen…
Ja, der kleine Weinhändler um die Ecke, den werden wir in zehn Jahren nicht mehr erleben. Die sind oft nicht professionell aufgestellt und müssen jetzt ums Überleben kämpfen. Auch weil jetzt im Online-Markt viele Start-ups mit hohen Summen von Investoren ausgestattet in Märkte drängen. Da wird es auch eine Auslese unter den Weinhändlern geben.
Warum?
Schon alleine aufgrund der Preistransparenz. Man schaut im Restaurant unter dem Tisch nach mit dem Smartphone: Wie teuer ist der Wein im Handel? Das ist doch schon Normalität. Durch diese völlige Preistransparenz haben auch die Erzeuger stark zu kämpfen. Die Winzer stehen aufgrund dieser völligen Preistransparenz vor enormen Problemen. Was machen sie mit ihren Abholkunden? Wie verkaufen sie ihren Wein an den Handel?
Wie kann man dieser Preistransparenz entgegnen?
Es gibt viele Erzeuger, die sagen: ,Wir machen keinen Onlineshop. Wir haben andere Vertriebswege. Wenn wir online gehen würden, würden wir diese Vertriebswege einschränken.‘ Das ist immer noch ein großer Zwiespalt. Die andere Möglichkeit ist, dass man Preise vereinbart, die auch nicht unterschritten werden dürfen.
Dennoch werden viele neue Weinläden eröffnet?
Ja, ich stelle fest, es sind oft Jüngere, die einen Weinladen aufmachen. Es sind Quereinsteiger, teilweise sehr gut ausgebildet. Die wissen schon, was sie tun, und sind verliebt in das Produkt. Wenn sie dann eine Nische finden und ihre Zielgruppe bedienen können, dann kann es noch heute klappen. Aber klar ist: Davon kann man nicht reich werden. Das war aber auch nicht deren Ziel. Ansonsten wären sie auch Unternehmensberater geworden.
Angenommen, ich würde mir überlegen, aus Liebe zum Wein ein Unternehmen in der Branche zu gründen. Was würden Sie mir raten?
Eine Nische suchen. Lieber in der Nische der König als in der Breite der Nobody. Und man sollte sich die Trends in der Branche anschauen. Viele springen derzeit auf den Trend zu Ökoweinen auf. Oder das Thema vegane Weine, da besteht eine sehr gute Nachfrage. Viele Winzer haben sich bereits auf diese Nische spezialisiert. Entscheidend ist auch, wie ich den Zugang zu diesem speziellen Markt finde. Heutzutage einen Weinhandel als so genannten Bauchladen mit einem möglichst kompletten Angebot über alle Rebsorten und Anbauländer zum Erfolg zu führen, das dürfte schwierig werden.
Wird es noch weitere Umwälzungen in der Branche geben?
Im Onlinehandel werden noch größere Player in den Markt einsteigen – wie zum Beispiel Amazon. Und man weiß ja, was passiert, wenn Amazon einsteigt. Wir werden sicherlich auch ein Produkt von Google sehen, die auch Wein verkaufen werden. Und in naher Zukunft wird es eine Innovation bei der Logistik geben. Ich kann mir vorstellen, dass es große zentrale Lager geben wird, von denen Weine von vielen Weingütern verschickt werden. Solch einen Ansatz gibt es schon, und ich kann mir vorstellen, dass das noch größer wird.
Im welchen Bereich hat die Branche die größten Defizite?
Sie muss die Daten in den Griff bekommen. Mancher Weinunternehmer hat diese Daten nur im Kopf oder führt lediglich ein Notizbuch, vielleicht noch eine einfache Adressverwaltung. Aber die meisten können die Daten nicht zusammenführen,und besitzen kein CRM-System (Customer Relation Management), um ihre Daten auswerten zu können. Die können oft nicht feststellen, wann hat mein Kunde zum letzten Mal bestellt. Was hat der letztes Mal getrunken? Wann hat der Geburtstag? Alle solche Fragen, um letztendlich ein spezielles Angebot zu machen, können ohne vernünftige Daten nicht beantwortet werden. Diese Daten dürfen in diesem Generationswechsel, den wir derzeit im Weinbereich erleben, nicht verloren gehen.

Um zurück auf Ihr Buch zu kommen: Welches war Ihr schönstes Interview?
Das mit Miguel Torres auf seinem Weingut in Spanien. Es ist im Prinzip eine kleine Stadt, die autark für sich wirtschaftet. Er hatte sich den ganzen Tag Zeit genommen und mir viele persönliche Dinge erzählt. Erstaunlich ist, wie viel Geld er für wohltätige Zwecke ausgibt, wie zum Beispiel für die Erforschung von Kinderkrankheiten. Er denkt nicht in Dekaden wie die meisten anderen Winzer, sondern in Generationen. Er kauft weltweit Lagen an, auf denen derzeit noch kein Wein angebaut werden kann, die aber später aufgrund des Klimawandels für den Anbau wichtig sein könnten. Da steckt viel Innovationskraft dahinter – und natürlich auch viel Geld.
Vielen Dank für das Interview.








