Jürgens Weinlese: Weinverkauf à la Loriot
Es ist einer der unvergesslichen Fernsehauftritte des mittlerweile verstorbenen Loriot alias Vicco von Bülow: Als Weinvertreter Blümel besucht er Mutter Hoppenstedt, nimmt auf dem Sofa im Wohnzimmer Platz und will ihr verschiedene Weine von zweifelhafter Qualität verkaufen. Und zwar die Oberföhringer Vogelspinne, das Hupfheimer Jungferngärtchen und den Klöbener Krötenpfuhl - „abgezapft und original verkorkt von Pahlgruber & Söhne“ – und schlägt dabei mit der flachen Hand auf die Faust. Und der kommt von „deutschen Sonnenhügeln frisch auf den Tisch!“ Bereits nach einigen Probierschlucken („jeder schmeckt wie der andere – das ist Qualität“) hat der Alkoholgenuss Folgen: Mittlerweile wurde alles schon „abgezapft und original verkorkst“.
Doch diese Satire hat mit der Realität wenig zu tun. „Unsere Vertriebsmitarbeiter dürfen nicht mittrinken“, meint Sandra Beck von der WIV Wein International AG. Das Unternehmen ist der weltweit größte Wein-Direktvertrieb mit mehr als 1,9 Millionen Kunden, 57 Millionen verkauften Flaschen bei einem gesamten Umsatz von rund 545 Millionen Euro. Rund die Hälfte des Umsatzes erzielt WIV durch den Direktvertrieb. Weitere Sparten sind die Einzelhandelskette Vinos24, Wein-Großhandelsfirmen sowie Messebau und Logistik.
„Wir wollen mit unseren Hausweinproben Weintrinkern, die mit der Vielfalt des Angebotes in Lebensmittelgeschäften überfordert sind, eine praktische Orientierungshilfe geben“, beschreibt Sandra Beck. Die Weinberater der WIV nehmen sich Zeit für eine persönliche Beratung ihrer Kunden. So ermitteln sie die individuellen Bedürfnisse und können genau die richtigen Weine für den jeweiligen Geschmack und Anlass anbieten.
Oft werden eher halbtrockene, gefälligere Weine verkostet sowie später verkauft. Die Höhe des Preises überrascht: Der Verkaufspreis einer Flasche Wein im Direktvertrieb liegt nach Angaben von WIV bei neun Euro brutto. „Viele Kunden honorieren die persönliche Betreuung durch den Weinberater mit langjähriger Treue und sind bereit, für die Beratungsleistung und die bequeme Bestellung und Lieferung auch höhere Preise als bei Discountern oder Versandhändlern zu bezahlen“, erklärt Sandra Beck.
Dieser Preis liegt deutlich über denen, die der Lebensmittelhandel erzielen kann. Dort werden durchschnittlich 2,89 Euro pro Liter gezahlt. Sogar der Fachhandel erzielt mit deutschen Weinen keine höheren Preise: Pro Liter zahlen Weinliebhaber dem Fachhändler 6,24 Euro. Auch in der eigenen Kette Vino 24 erlöst WIV nur ungefähr die Hälfte des Wertes, der im Direktvertrieb erreicht wird.
Experten halten diesen Verkaufskanal für lukrativ. „Die Strukturvertriebler sind oft große Unternehmen, die weltweit preiswerte Weine einkaufen“, meint Michael Jansen, Geschäftsführer von Macrom Marketingreserach & Consult, einer Beratungsfirma, die seit 20 Jahren den deutschen Weinmarkt und seine Entwicklungen analysiert. „Meist werden über diesen Vertriebskanal unbekannte, sehr preiswerte Weine verkauft, die aber nach mehr schmecken als sie kosten“, sagt er. Einige Unternehmen in dieser Branche würden nach Macrom-Untersuchungen beim Verhältnis von Einkaufs- zu Verkaufspreisen mit einem Kalkulationsfaktor von bis zu fünf arbeiten.
Beck wehrt sich gegen den Vorwurf des Billig-Image: WIV habe ein vielfältiges Angebot in den unterschiedlichsten Preisklassen und führe auch die Weine namhafter Weingüter und Châteaus.
WIV ist mit seinen knapp 4.900 Mitarbeitern in 19 Ländern aktiv, rund 1.000 Mitarbeiter davon sind es allein in Deutschland. „Noch besetzt der Direktvertrieb im Gesamtmarkt und selbst in den etablierten Märkten nur eine kleine Nische. Weltweit verfügt diese serviceorientierte Form des Vertriebs aber über ein enormes Wachstumspotenzial“, meint Beck. So boome sie beispielsweise in Japan. Im Reich der Sonne habe man bereits neun Weinbars eröffnet, verkaufe Wein in Shopping Malls und bei Veranstaltungen. WIV gehört in Japan zu den führenden Importeuren von Bordeauxweinen.
Den Grundstein für den internationalen Erfolg legten die Gründer – die Brüder Elmar und Kuno Pieroth – im Jahr 1953 mit ihrer Idee einer Hausweinprobe. 1985 gab es einen Rückschlag, als das Unternehmen mit Frostschutz gepanschte Weine aus Österreich kaufte und mit anderen Weinen verschnitt.
„An unserem Grundprinzip, nämlich dem persönlichen Kontakt mit unseren Kunden, haben wir dabei nichts verändert. Lediglich der Ort der Begegnung hat sich verändert“, erläutert Sandra Beck. Standen früher die Weinproben im Haus der Kunden im Mittelpunkt der Kundengewinnung, so sind es heute Konzepte wie die World Wine Bar oder der Einsatz kleiner mobiler Präsentationstheken bei Kooperationspartnern, die erfolgreich für Kundenzuwachs sorgen.
Zumal sich die Regeln für den Strukturvertrieb allgemein geändert haben. „Die Rahmenbedingungen für den klassischen Wein-Strukturvertrieb sind schwieriger geworden“, bestätigt Matthias Richter, Direktor Marktforschung bei Macrom. Zum Beispiel seien die Möglichkeiten Wein per Telefon zu verkaufen eingeschränkt worden. Dies sei auf jeden Fall ein Hindernis für diesen Vertriebskanal. Allerdings bediene der Strukturvertrieb auf der anderen Seite seine Kunden sehr lange und oft mit großen Mengen.
Zurückgezogen hat sich WIV aus dem Onlinegeschäft. Die Mehrheitsbeteiligung an Naked Wines, wurde im April 2015 an das börsennotierte Unternehmen Majestic Wine verkauft, den größten britischen Weinhändler. Der Verkauf hatte in der Weinbranche schon eine große Dimension: 2014 erwirtschaftete Naked Wines einen Umsatz von 74 Millionen Pfund, rund 105 Millionen Euro.
„Es war unsere Entscheidung, sich verstärkt auf den Direktvertrieb zu konzentrieren“, meint Beck. „Dieser Vertriebsweg hat uns stark gemacht und er hat – trotz des Vormarschs der Discount- und Versandhändler, weiterhin Zukunft.“ Bei keinem anderen Verkaufskanal könne man nach Ansicht von Beck engere Kundenbeziehungen aufbauen und den Konsumenten besser beraten.
Die Marktmacht der Supermärkte und Discounter in Deutschland wächst ungebremst bzw. stagniert auf hohem Niveau: Von vier Flaschen Wein, die in Deutschland verkauft werden, gehen drei über die Theken von Discountern, SB-Warenhäusern und Einzelhändlern. Bei der Verkaufsmenge beträgt der Marktanteil von Aldie 22 Prozent, zusammen mit den anderen Discountern beläuft sich dieser Anteil 49 Prozent. Doch auf diesen Zahlen will sich die Branche nicht ausruhen und will vor allem den Umsatz durch den Verkauf von teureren Weinen erhöhen.
Nachgefragt werden im WIV-Direktvertrieb vor allem Weine aus den traditionellen Anbauländern wie Frankreich, Italien und Deutschland. Aber auch leckere Tropfen aus Südafrika sind im Programm. „Wir gehörten zu den ersten, die nach dem Ende der Apartheid Weine aus Südafrika importiert haben“, erläutert Beck.




Den Kontakt zu den Kunden, um eine Weinprobe bei ihnen zu veranstalten, bekommen die WIV-Mitarbeiter über die üblichen Wege: Briefwerbung, Werbung per Mail oder bei anderen Veranstaltungen wie Messen. Die Verkaufsorganisation ist flexibel: Ein Katalog muss nicht gedruckt werden.
Übrigens, um auf Loriot zurückzukommen: Seit zwei Jahren können Liebhaber auch die Weine Oberföhringer Vogelspinne, das Hupfheimer Jungferngärtchen und den Klöbener Krötenpfuhl kaufen. Der DRK-Kreisverband Bremen hat in Zusammenarbeit mit der Loriot Design GmbH und dem DRK-Sozialwerk Bernkastel-Wittlich diese Weine zum Leben erweckt, abgezapft und original verkork(s)t. Mit dem Kauf jeder Flasche werden die ehrenamtliche Arbeit des DRK-Kreisverbands Bremen,sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Werkstatt für behinderte Menschen des DRK-Sozialwerks unterstützt.







