Morning Briefing Plus: Die unfassbare Denkwelt des Palantir-Chefs

Liebe Leserinnen und Leser,
in meiner Zeit als USA-Korrespondent habe ich 2012 im Wahlkampf Mitt Romney begleitet, den Herausforderer von Barack Obama. Romneys außenpolitischer Berater hieß Richard Grenell. Er wurde in Donald Trumps erster Amtszeit US-Botschafter in Deutschland.
Grenell war schon damals eine auffällige politische Figur. Nicht nur, weil er – wohl wegen seiner Homosexualität – recht schnell wieder aus dem Team des Mormonen Romney verdrängt wurde. Sondern auch, weil er zwar modern und offen wirkte, zugleich aber streng libertäre, konservative, manchmal ins Extreme neigende Ansichten vertrat. Ansichten, die ihn später wohl zu einem der umstrittensten Botschafter in Berlin machten.
Ich habe mich damals ein paar Mal mit Grenell getroffen, weil ich seine Gedankenwelt verstehen wollte, die später in eine tiefe, unabdingbare Treue zu Trump mündete; weil seine politischen Ansichten nicht so einfach in ein Links-Rechts-Schema einzuordnen waren, vor allem aber, weil sie viel darüber verrieten, welche Politik Trump über die Welt bringen würde. Es war nicht leicht, diese Gedankenwelt zu entschlüsseln, aber es war spannend.

Ähnlich erging es mir, als ich das großartige Interview meiner Kollegen Thomas Jahn und Felix Holtermann mit Alex Karp, dem Gründer des vielleicht geheimnisvollsten Unternehmens der Welt, Palantir, gelesen habe. Auch Karp, erklärter Fan von Helmut Schmidt und Franz-Josef Strauß, lässt sich politisch nicht eindeutig fassen, wenngleich seine Thesen zur Migration bisweilen an jene der AfD erinnern.
Für manche mögen diese Thesen schwer auszuhalten sein, aber es ist die Aufgabe von Journalismus, sich auch mit Menschen – immer kritisch, immer hinterfragend – auseinanderzusetzen, die vielleicht eine ungewöhnliche bis zu extreme Weltsicht haben.
Menschen wie Karp, Elon Musk, Peter Thiel oder Sam Altman prägen unsere Zukunft, nicht nur technologisch. Die Art der Ergebnisse, die ein KI-Sprachmodell liefert, hängt eng damit zusammen, von wem es stammt, wer es geschaffen hat. Um zu verstehen, in welche Gedanken- und Ideologieräume uns das technologische Zeitalter führen wird, ist es hilfreich, die Denkwelt derjenigen zu kennen, die dieses Zeitalter prägen werden – ob sie uns gefällt oder nicht.
Was uns diese Woche sonst beschäftigt hat
1. Sind alle Tech-Unternehmer so wie Alex Karp oder Peter Thiel? Mitnichten. Philipp Alvares de Souza Soares und Felix Holtermann haben mit Eric Yuan gesprochen, dem Gründer des Videokonferenz-Anbieters Zoom, einem Mann, der lernen musste, wie man damit umgeht, wenn nach einem Nachfrage-Boom während der Coronapandemie der jähe Absturz erfolgt. So viel sei verraten: Sie trafen einen Manager, der sehr viel lächelte.
2. Bye bye, Made in Germany? Kein Land ist so stolz, so bekannt für seine Mittelständler wie Deutschland. Doch das Rückgrat der deutschen Wirtschaft leidet unter chronischem Stress: Kostendruck, geringe Arbeitsmoral, Bürokratie. Die Folge: Vorwerk, MAN, Wacker Chemie und Co. schaffen Arbeitsplätze und tätigen Investitionen immer mehr im Ausland, immer weniger zu Hause, wie eine Umfrage zeigt, die meinen Kollegen exklusiv vorliegt. Was den Mittelstand bedroht, lesen Sie hier.

3. Die schlechte Stimmung, die derzeit nicht nur im Mittelstand, sondern auch in der Industrie herrscht, gibt Unternehmer Martin Herrenknecht, einer der Weltmarktführer bei Tunnelvortriebsmaschinen, in recht unmissverständlichen Worten wieder: „Das Ausland lacht über uns“, sagte Herrenknecht im Interview mit Kirsten Ludowig und Martin-W. Buchenau. Und: „Wir müssen wieder raus aus der Softie-Gesellschaft.“ Konkret schlägt er Zölle auf Importe aus China vor und Lockerungen beim Kündigungsschutz. Friedrich Merz hält er für einen guten Kanzler. „Alle Kanzler sind im Amt gewachsen“, sagte Herrenknecht. „Außer Olaf Scholz.“
4. Donald Trumps Wirtschaftspolitik basiert auf der Hoffnung, dass Wachstum im eigenen Land dadurch entsteht, Waren aus anderen Ländern mit Zöllen zu belegen. Geht diese Rechnung auf? Für ein endgültiges Fazit ist es noch zu früh, aber die Zwischenbilanz, die Felix Holtermann, Laurin Meyer und Jens Münchrath ziehen, spricht nicht unbedingt für den US-Präsidenten. „Viel Getöse, wenig Durchdachtes, großer Schaden“, ist ihre Bilanz zur US-Handelsbilanz überschrieben.
5. Mehr Wettbewerb im Weltraum: Am Mittwoch verkündete das Münchener Start-up Helsing seinen Einstieg ins Satellitengeschäft. Hinter der Nachricht steckt ein Trend: Die deutsche Verteidigungsindustrie sieht neue Geschäftschancen im Orbit, die Regierung lockt mit Aufträgen. Auch das Rüstungsunternehmen Hensoldt und die Raketenfirma Isar Aerospace sind am Start. Und bereits im Oktober hatten meine Kollegen berichtet, dass der größte deutsche Rüstungskonzern, Rheinmetall, Satelliten für die Bundeswehr liefert.
6. Wer Krieg hört, denkt oft an Waffen, Panzer, Drohnen. Doch da ist auch die oft unsichtbare Gefahr: ein Cyberkrieg. Unser Brüssel-Korrespondent Carsten Volkerey war für das Handelsblatt dabei, als die Nato im estnischen Tallinn Anfang Dezember den Ernstfall probte. Der Standort ist kein Zufall, denn Estland ist Techpionier und hat im Jahr 2007 eine schwere Cyberattacke überstanden. Wie Nato-Soldaten sich auf Hackerangriffe aus China, Russland und Nordkorea vorbereiten, lesen Sie hier.
7. Europäische Souveränität im All ist das eine, Josefine Fokuhl und Stephan Scheuer haben in die andere Richtung geblickt – nach unten. Amazon, Google und Meta dominieren nicht nur die Datenclouds, sondern auch die Kommunikationsadern der Europäischen Union – in Form von Unterseekabeln am Meeresboden. Die Monopolkommission der Bundesregierung warnt vor einer strukturellen Abhängigkeit. Auch aus Sicherheitsgründen. Mehrere Sabotagefälle sind aus der jüngeren Vergangenheit bekannt.

8. Mit Joachim Nagel und Isabel Schnabel bringen sich gleich zwei Kandidaten für die Nachfolge von Christine Lagarde an der Spitze der EZB in Stellung. Die Ausgangslage ist schwierig, aber die Bundesregierung will an ihren Ambitionen auf den EZB-Chefposten festhalten, wie meine Kollegen aus Regierungs- und Notenbankkreisen erfahren haben. Wie die deutschen Chancen stehen, lesen Sie hier.
9. Zum Schluss noch eine Märchengeschichte. Erzählt wird sie von Kai-Uwe Steck, dem Kronzeugen in der Cum-Ex-Affäre. Der Jurist hat ein Buch geschrieben, das er als „wahre Geschichte“ des Cum-Ex-Skandals bewirbt. Vieles darin stimmt offenbar nicht, haben Volker Votsmeier und Sönke Iwersen nach vielen Gesprächen mit Stecks Weggefährten und dem Studium vieler Akten festgestellt. Ihre Geschichte über den Märchenonkel ist lang, aber sehr spannend geworden.

Ich wünsche Ihnen ein wunderbares drittes Adventswochenende.






Bleiben Sie zuversichtlich!
Ihr
Martin Knobbe





