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Jürgens Weinlese„Wir wollen den besten Wein der Welt“

Der Weinexperte von Handelsblatt Online hat in der Toskana einige der besten Weine der Welt gekostet und erfahren, warum der Allianz-Konzern dort Weine herstellt, die komplexer als eine Lebensversicherung sind.Jürgen Röder 02.12.2012 - 12:55 Uhr Artikel anhören

Weinliebhaber Jürgen Röder.

Foto: Handelsblatt

Düsseldorf. Chianti, Brunello oder Vino Nobile aus Montepulciano: Diese großen Weine stehen für die Toskana, die neben Piemont Italiens berühmteste Weinregion ist. Fast nirgendwo hat der Weinbau eine längere Tradition. Doch das Image der Weine hat sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gewandelt. In den 50er und 60er Jahren hatte der Chianti ein Billig-Image, schmeckte dünn und säuerlich. Ich kann mich noch an die typischen, billigen Chianti-Korbflaschen erinnern. Heutzutage braucht sich dieser Wein nicht mehr zu verstecken. Dementsprechend sind auch die Preise gestiegen. Trotz der zahlreichen Touristen in der Region gibt es dort noch vieles ursprüngliches zu entdecken (das hatte ich so nicht vermutet), und Weingüter, die unterschiedlicher nicht sein können. Einige davon habe ich während  meiner Reise durch die Toskana besichtigt.

San Felice: Ein Wein fürs Leben

„Unter den deutschen Großunternehmen, die ihren wahren Wert grundsätzlich vor der Öffentlichkeit verbergen, hat es die Allianz zu zweifellos besonderer Meisterschaft im Verstecken ihrer Reserven gebracht“, schrieb einst der Spiegel über den deutschen Versicherungskonzern. Solch eine versteckte „Reserve“ im positiven Sinne ist das Weingut San Felice in der Toskana, das mit der milliardenschweren Übernahme des Versicherungskonzerns Riunione Adriatica di Sicurta (RAS) an die Münchner fiel. Es liegt im Süden des Chianti Classico, in der Gemeinde Castelnuovo. Das an ein Wellnesshotel angegliederte Weingut ist anerkannt, liegt idyllisch und produziert Weine, die auch dem Anspruch genügen dürften, nach einer Allianz-Vorstandssitzung entkorkt zu werden.

Toskana-Weine
Vino Santo
Vernaccia di San Gimignano
Brunello di Montalcino
Vino Nobile di Montepulciano
Chianti
Sangiovese

Zwei Weine sind mir besonders in Erinnerung geblieben: Zum einen der Pugnitello-Wein bestehend aus der Rebsorte Pugnitello, die lange als ausgestorben galt, aber an der Universität in Florenz wiederentdeckt und von San Felice zum Leben erweckt wurde. Der Pugnitello-Wein wird 18 bis20 Monate reinsortig im Holz ausgebaut und reift anschließend acht Monate in der Flasche. Der etwas ungestüme Wein duftet fruchtig würzig nach roten Kirschen und Wachholderbeeren – und ist mit fast 30 Euro auch nicht ganz billig.

Zum anderen war auch der Brunello di Moltacino Campogiovanni sehr außergewöhnlich. Bisher war mir der Brunello, neben Barolo und Amarone der berühmteste Wein Italiens, einfach zu teuer und die Preise ab 30 Euro aufwärts pro Flasche meines Erachtens für die gelieferte Qualität zu hoch. Anders beim Brunello Jahrgang 2007 von San Felice. Der Wein ist nach seiner dreijährigen Reife im Holzfass komplexer als es eine Allianz-Lebensversicherung je sein kann – was in diesem Fall ein Kompliment ist. Die Geschmackseindrücke des Weins mit vielen verschiedenen Beerenfruchtnoten und Gewürzen blieben mir sehr lange auf der Zunge. Kein Wunder, dass Kritiker exzellente Noten verteilten. Das angesehene Magazin Wine Spectator kürte den Jahrgang 2006 gar zum viertbesten Wein überhaupt in seiner Top-100-Liste. Da relativiert sich auch der Preis von rund 30 Euro pro Flasche, die auf dem Weingut zu zahlen sind. Warum ich später diesen Wein in einem Weinhandel in Neapel für 25 Euro kaufen konnte, habe ich aber auch nicht verstanden.

Tolaini: Ein 18-Millionen-Euro-Investment

Altehrwürdige Weine nach alten Chianti-Classico-Regeln produzieren – nein, das ist nicht die Art des Weingutes Tolaini in der Kommune Castelnuova Berardenga (Provinz Siena). Mit dem Weingut erfüllte sich Pierluigi Tolaini seinen Traum. Als italienischer Auswanderer in Nordamerika gründete er das Transportunternehmen TransX und kam zu Reichtum. Nun hat er in der Toskana 18 Millionen Euro investiert: Für mehr 100 Hektar Land und den Kauf und Umbau eines Weingutes. „Wir wollen den besten Wein der Welt produzieren“, verkündet stolz Diego Bonato, Generaldirektor und Weinmacher des Gutes. Dieser Plan wurde generalstabsmäßig umgesetzt: Die Weinstöcke auf der ehemaligen Anbaufläche für Gemüse stehen so exakt in einer Reihe, so dass die Arbeiter auf kleinen Traktoren sitzend die Reben per Hand ernten können. Diese Traktoren haben mich beeindruckt, da sie den Arbeitern ein gesundheitsverträgliches Arbeiten ermöglicht. Und die hochmoderne Anlage zur Weinerzeugung ist so konzipiert, dass für viele Arbeitsschritte keine Muskelkraft erforderlich ist, sondern vieles per Schwerkraft geschieht.

Winzer

Wein, der auf Chemie und Zusätze verzichtet

Um diesen höchsten Ansprüchen zu genügen, orientieren sich Tolaini-Weine eher am Bordeaux- als am Chianti-Stil. Vor allem das Flagschiff Picconeri, ein Blend aus Merlot, Cabernet Sauvignon und Petit Verdot könnte glatt als hochklassiger französischer Wein durchgehen. Sämtliche Weine des Gutes sind wuchtig und in erster Linie für den Export außerhalb von Europa bestimmt.

Am besten geschmeckt hat mir der wuchtige und opulente Valdisante, eine Cuvée aus Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc und Sangiovese. Da es auf dem Weingut keinen Direktverkauf gibt, konnte ich die Preise erst im Internet recherchieren: Die Spanne beträgt 17-18 Euro für den „Einsteigerwein“ Al Passo bis 55 Euro für den Picconere. Man kann zu solch einem „Weingut aus der Retorte“ stehen wie man will: Von den Tolaini-Weinen wird man in den nächsten Jahren – wenn die noch jungen Rebstöcke älter geworden sind - bestimmt noch viele positive Kritiken der Experten hören. Zumal Pierluigi Tolaini vorläufig kein „Return on Investment“ erwartet. Hoffentlich werden die Weine dann für „Normalsterbliche“ bezahlbar sein.

Ginori Lisci: Eine alternatives Energieprojekt

Der Gegensatz dazu war das Weingut Ginori Lisci im nördlichen Teil der toskanischen Maremma.  Bei diesem historischem, über 2000 Hektar großem Gut mit ausgedehnten Wäldern und Feldern, Olivenhainen und Weinbergen steckt ein spannendes Projekt alternativer Energiegewinnung. Angebaute Rohstoffe wie Hirse und Mais sowie andere sonst verlorengehende landwirtschaftliche Nebenprodukte werden in Biogas umgewandelt, und versorgen den gesamten Komplex mit Energie; noch weitere 1300 Familien könnten ebenfalls mit dieser sauberen Energie versorgt werden.

Zudem wird das Weingut unter Winemaker Ken Lenzi gerade auf Biowein umgestellt – und dürfte dann auch bei deutschen Biowein-Importeuren wieder zu finden sein. Neben dem reinsortigen Cabernet Sauvignon (Macchion del Lupo) hat mir vor allem die Cuvée Castello Ginori (Hälfte Merlot, Hälfte Cabernet Sauvignon) gefallen. Der Wein schmeckt nicht nur weich und rund, sondern hat auch ein gutes Finale.

Zwei weitere Vorzeige-Weingüter sind mir noch im Chianti-Classico-Gebiet aufgefallen: Fonterutoli und San Michele a Torri. Die Weine von Fonterutoli gibt es bei zahlreichen Weinhändlern in Deutschland. Der Chianti Classico wird von Experten stets gelobt und zählt mit zu den besten seiner Art – ist aber mit Preisen zwischen 15 und 19 Euro kein Alltagswein mehr - dies sollte aber eigentlich der Chianti sein.

Für den Chianti-Kauf bin ich anschließend bei der Fattoria San Michele a Torri, einem Bio-Weingut in der Nähe von Florenz, fündig geworden. Hier erfuhr ich mal wieder, was italienische Gastfreundschaft bedeutet. Obwohl der Direktverkauf eigentlich während der „Siesta“ geschlossen war, wurde er für uns geöffnet. Natürlich mit anschließender Besichtigung des Weinkellers. Und uns wurden nicht nur die Weine kredenzt, sondern wir mussten auch die selbst produzierten Lebensmittel wie Äpfel, Salami und Lado (italienischer Speck) probieren.

Die Fattoria befindet sich fast exakt an der Grenze der beiden Chiantigebiete Chianti Colli Fiorentini und Chianti Classico, und produziert somit einen Chianti Classico als auch einen Chianti Colli. Die Chiantis von den „Colli-Weinbergen“ sind etwas preiswerter, und haben mir ebenso gut geschmeckt. Der „einfache“ Chianti Classico kostete nur neun Euro. Ein weicher fruchtiger Chianti mit weichen Tanninen und einer angenehmen Säure. Ganz im Gegensatz zu manchen Chiantis, die mir zu stark nach Sauerkirschen schmeckten. Auch die beiden exzellenten Riservas von San Michele (Classico und Colli) für 14 bzw. 17 Eurowaren ein Kauf wert. Zumal die aktuellen Jahrgänge 2008 – 2010 vier bis sechs Jahre gelagert werden können.

Ungeliebter „Super-Toskaner“

Wenn der beste Marketing-Begriff für einen Wein gewählt werden sollte, „Super-Toskaner“ hat ihn verdient. Der Begriff wurde in Amerika gekürt („Super Tuscany“) und dann einfach ins Deutsche übernommen. Dies sind italienische Rotweine, die nicht nach den alten Regeln des italienischen Weingesetzes hergestellt wurden, sondern eher modische Designerweine für den internationalen Geschmack.

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Der erste dieser Winzer, der 1970 einen solchen toskanischen Rotwein auf den Markt brachte, war Marchese Piero Antinori mit seinem Tignanello, der nicht als Chianti Classico deklariert werden durfte, da er mit einer nicht traditionellen Traube (Cabernet Sauvignon) verschnitten wurde. Diesem Beispiel folgten viele weitere Winzer. Die Preise für solche Super-Toskaner sind höher als bei den Chiantis, doch beliebt sind die modernen Weine bei den Winzern nicht. Denn ein noch so kunstvoller Blend wird vom Weinliebhaber nicht sosehr mit der Region verbunden, als es letztendlich von einem Wein aus der Toskana erwartet wird.

Der Autor ist Wein-Liebhaber und freut sich über Leser-Reaktionen. Mail: roeder@handelsblatt.com

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