Psychologie: Warum Sturheit leicht mit Resilienz verwechselt wird
Villabella del Maestrat. Die Ortsmarke dieses Artikels ist einerseits falsch, weil ich diesen Text in Düsseldorf geschrieben habe, andererseits der Ort, an dem in meiner sportlichen Laufbahn am meisten innere Widerstandskraft gefordert war. Gut 15 Stunden nach dem Schwimmstart im spanischen Peniscola verirrte ich mich in der Nacht beim finalen Marathon des Hispamans 2019.
Es war dunkel, keine Läufer in Sicht, der letzte Verpflegungspunkt lag ein paar Hundert Meter hinter mir. Die reflektierenden Wegmarkierungen sah ich nicht, folgte stattdessen dem Glitzern des Gesteins im Schein meiner Stirnlampe:
Nach einigem Zickzack und Hin und Her entschied ich mich, zu dem letzten Posten zurückzulaufen und nach dem Weg zu fragen. Ich sah Athleten im Bus, die aufgegeben hatten, holte mir Instruktionen und fand gut 30 Minuten später auf die Strecke zurück. Gut vier Stunden später erreichte ich, nach 19 Stunden und 38 Minuten, das Ziel in ebenjenem Villabella del Maestrat. Nicht ohne eine weitere Orientierungslosigkeit samt Anruf bei der Rennleitung, wo ich überhaupt wäre. Ein GPS-Sender in meinem Rucksack verriet es den Veranstaltern.
Was mir damals alles durch den Kopf ging? Dass ich vielleicht scheitern und den Langdistanztriathlon nicht beenden könnte. Dass ich das schlimmstenfalls akzeptieren müsste. Aber dass ich erst aufhöre, wenn man mich stoppt. Nur dann wüsste ich: Ich habe alles versucht, dann ist das okay.
Aber eines war mir damals klar – und war es mir mehrfach danach in meinem Leben: Ich lasse mich nicht von den Umständen unterkriegen. Ich lasse mir weder vom Starkregen die Freude an einer Wanderung versauen noch von einem hartnäckig festsitzenden Korken den Genuss einer Flasche Wein. Was ich tun kann, werde ich tun.
Dickkopf, Dickschädel, unbelehrbar – für diese Diagnose benötige ich kein Umfeld, das weiß ich selbst. Für mich ist das nichts anderes als die meist kopfschüttelnd bewertete Sturheit.
Was ist denn Sturheit überhaupt? Der unanfechtbare Wille, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Wenn ein Kind sich in den Kopf setzt, Rockstar zu werden, dann wird es dafür vielleicht zu Beginn wenig Applaus bei den Eltern ernten. Wenn es dann aber eines Tages seinen Traum verwirklicht hat, dann jubeln alle.
Rückschläge, Probleme, Katastrophen – all das kann einen dazu bringen aufzugeben. Wer aber unbeirrbar weitertrottet, so wie ich im Dunkel von Spanien, der wird maximal aufgehalten, aber selten gestoppt.
Im Ausdauersport wird diese Fähigkeit bei wettbewerbsorientierten Menschen öfter gefordert als in anderen Hobbys. Denn an der Grenze der eigenen physischen Leistungsfähigkeit bedarf es des Willens, der Kraft, Probleme zu überwinden, oder schlicht der Sturheit, um den Körper zu überreden, sich weiter zu schinden.
Sie schleppen alles an Knochen und Gewebe mit, wenn es unbedingt sein muss. Was sein muss, das entscheiden wir am Ende selbst. Dies ist eine Sportkolumne, keine psychotherapeutische Beratung. Und Experten raten zu vielen Dingen, wenn es darum geht, in harten Zeiten Resilienz zu zeigen.
Auf dem Trail eines Rennens, in dem gefühlt jeder andere Athlet einen schon abgehängt hat und Sie drohen, das Ziel zu spät zu erreichen, nützen einem Übungen zur Achtsamkeit nur wenig. Da muss es stumpf vorangehen. Wie eine Maschine, taub für Argumente, blind für Hindernisse.
Das war nicht anders, als ich 2022 beim Ironman Wales mit gut 50 Kilometern pro Stunde auf dem Fahrrad in einer Kurve zu spät den Bordstein wahrnahm, stürzte und nach Bewusstlosigkeit und den ersten Untersuchungen im Rettungswagen die Sanitäter fragte, ob ich nicht eventuell wenigstens noch den abschließenden Marathon laufen dürfte.
Aufhören ja, aufgeben nein
Als ich im Krankenwagen saß, kam ein Athlet auf mich zu und fragte, ob er von meinen Radschuhen die Pedal-Cleats haben dürfte, seine waren defekt. Natürlich stimmte ich zu – aber erst nach einer endgültigen Entscheidung der Sanitäter, dass ich zumindest keinesfalls weiter Fahrrad fahren dürfe. Ich hätte mich wohl wieder daraufgesetzt, wenn man mich nicht gestoppt hätte.
Das ist natürlich nicht sonderlich vernünftig. Doch so, wie der Baumstumpf oben im Bild Triebe ausschlägt, weil er nur eines will: weiterwachsen –, so klammere ich mich an meine Vorhaben. Die Verkehrsschilder sagen, da käme man zu Fuß oder mit dem Rad nicht durch? Das will ich sehen.
Die problematischen Phasen, die es durchaus wie in jedem Leben gab, habe ich mit der gleichen Haltung durchlebt: Das sind meine Prioritäten, denen ordne ich alles unter, das ist, was zählt, das bestimmt den Weg. Denn die entscheidende Voraussetzung für erfolgreiche Sturheit (und ihr feineres Geschwisterchen Resilienz) ist eine absolut klare Vorstellung von dem Warum.
Wenn Sie genau sagen können, warum Sie etwas machen wollen, dann können die Widerstände Sie vielleicht bremsen, aber kaum aufhalten. Ob resiliente Menschen im Ausdauersport ihre Veranlagung ausnutzen oder ob Ausdauersportler Resilienz erlernen und übertragen, das sollen andere entscheiden.
Noch tut sich die Wissenschaft schwer. Eine klassische Henne-Ei-Frage, mahnt ChatGPT, bei der die Studien darauf hindeuten, dass charakterlich angelegte Resilienz dazu verleitet, Ausdauersport zu beginnen, der dann wieder die vorhandene Resilienz verstärkt.
Ich selbst bin einfach faul, wollte nie schnell sein und war folgerichtig als Kind lieber auf 1000 Meter Dauerlauf unterwegs als auf 100 Meter Sprint. Noch heute bevorzuge ich den Langdistanztriathlon gegenüber den kürzeren Versionen, weil ich mich da nicht so hetzen und beeilen muss. Mit Resilienz hat das nix zu tun. Wenn doch, soll mir erst mal einer das Gegenteil beweisen. Solange bleib' ich stur bei meiner Meinung.
Dieser Artikel erschien bereits im August 2025. Der Artikel wurde am 06.11.2025 erneut geprüft und mit leichten Anpassungen aktualisiert.
