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Kolumne: Business ClassBusiness Class im Homeoffice

Dr. Kopp schließt von Nebensächlichkeiten schnell mal auf den Charakter eines Mitarbeiters. Für die Teilnehmer seiner Videokonferenz heißt das: aufgeräumt sein. Martin Suter 30.05.2020 - 11:33 Uhr

Das Handelsblatt Magazin veröffentlicht einige seiner neuen „Business Class“-Kolumnen exklusiv.

Foto: action press

Jeden Montag zwischen zehn und zwölf ist das Wohnzimmer der Gebhardts für die Familie tabu. Dann hält nämlich Dr. Klaus Kopp seine Videokonferenz ab. Alle Bereichsleiter finden sich jeweils vor ihren Bildschirmen ein, rekapitulieren die vergangene Woche und liefern eine knappe Vorausschau auf die kommende.

Es herrscht jedes Mal eine gewisse Nervosität. Man erkennt sie an einer übertriebenen Aufgeräumtheit. Nicht nur im übertragenen Sinn: Die Bildausschnitte, in denen die Teilnehmer sitzen, sind tadellos aufgeräumt. Denn Dr. Kopp ist einer, der zum Beispiel Bewerber nach dem Zustand ihrer Schuhabsätze beurteilt. Ein wenig abgelatscht, und schon ist einer chancenlos. Oder nach dem Knopf am Hemdsärmel, mit dem man den Schlitz über der Manschette verschließt. Wenn der geöffnet ist, betrachtet Dr. Kopp es als Beweis für einen generellen Hang zur Nachlässigkeit.

Seine Art, von nebensächlichen Kleinigkeiten auf den Charakter zu schließen, ist nur eine von Kopps gefürchteten Eigenschaften. Seine Gewohnheit, Leute vor allen anderen zusammenzustauchen, ist eine andere. Oder sie öffentlich bloßzustellen eine dritte. Kopp ist ein gefürchteter Chef. Wie gefürchtet, erkennt man allein schon an seinem Spitznamen: Doofkopp.

Welches Detail der Wohnungseinrichtung für Kopp das verräterische sein könnte, weiß niemand. Noch nie hatte man davon gehört, dass der Chef die Wohnräume eines Mitglieds der Belegschaft betreten hätte. Sein digitales Eindringen in deren Homeoffice ist eine Verletzung ihrer Intimsphäre, mit der sie nicht umzugehen wissen.

Deswegen richten sie den sichtbaren Teil des Settings möglichst neutral ein. Als hätten sie sich abgesprochen, sind die Ausschnitte auf dem Bildschirm von austauschbarer Monotonie. Kein Gegenstand, der irgendwelche Rückschlüsse auf eine Charaktereigenschaft des Besitzers zulassen würde, nichts.

Gebhardts Schreibtisch steht in diesen Homeoffice-Tagen normalerweise zwischen Blumenfenster und Bücherregal. Dort stört er das Familienleben am wenigsten. Aber sowohl die Pflanzen als auch die Bücher wären bei einer Videokonferenz im Bild und könnten womöglich Rückschlüsse auf Gebhardts Charakter erlauben. Deshalb stellt er mit Hilfe seiner Frau Monika das Wohnzimmer jeden Sonntagabend nach der Spätausgabe der Tagesschau um.

Sie schieben das schwere sechsplätzige Sofa in die Mitte des Raumes und nehmen die Bilder, die darüber hängen, von der Wand: den Miró-Druck, das Montreux-Festival-Plakat 1983 von Keith Haring und ein Wolkenbild von einer Cordelia Hatlermann, das sie einst an einer Vernissage bei Monikas Kosmetikerin erstanden hatten. Die Bilderhaken werden sorgfältig entfernt und die Löcher mit Zahnpasta ausgebessert. Außer einem. An diesen hängen sie den Kalender 2020, das traditionelle Weihnachtsgeschenk für die Kunden der Koppag. Monika ist zwar der Meinung, dass Dr. Kopp dies als arschkriecherisch auslegen könnte, aber Gebhardt hält dem entgegen, dass Dr. Kopp nichts gegen arschkriecherisch habe.

Vor diese jetzt bis auf den Koppag-Kalender schneeweiße Wand stemmen sie dann jeweils den Schreibtisch.

Montags um acht sitzt Gebhardt jeweils sorgfältig rasiert und gekämmt in Anzug und Krawatte am Schreibtisch und arbeitet. Um neun Uhr dreißig hängt er das Schild „Nicht stören! Videokonferenz!“ außen an die Türklinke. Das ist auch der Zeitpunkt, zu dem Linus und Sophie ihr Homeschooling und Julian, der Nachzügler, die Diskussion mit seinen Plüschtieren mit gedämpfter Stimme fortführen müssen.

Punkt zehn Uhr ertönt jeweils das Video-Konferenz-Signal, und die nervösen Bereichsleiter erscheinen auf dem Bildschirm und werden formell begrüßt vom betont entspannten Dr. Klaus Kopp. In willkürlicher Reihenfolge erteilt er den Konferenzteilnehmern das Wort und hört sich gelangweilt oder gereizt deren Ausführungen an.

An diesem Montag ist Gebhardt der zweitletzte. Alles geht gut. Dr. Kopp quittiert dessen Ausführungen mit ein paar beinahe anerkennenden Worten. Da betritt der vierjährige Julian leise das Homeoffice, stellt sich neben Gebhardt ins Bild und flüstert hörbar: „Papa, ist das jetzt dein Doofkopp?“

Die Management-Kolumne „Business Class“ war Martin Suters Entree in die Karriere als Schriftsteller. Nach 13 Jahren Pause ließ er sie 2019 wieder auferstehen – mit den Mitteln der Jetztzeit: Crowdsourcing, Social Media und Paid Content. Das Handelsblatt Magazin druckt einige der neuen Kolumnen des Bestsellerautors exklusiv ab. Mehr von ihnen und andere Pretiosen finden Sie auf martin-suter.com, wo man sich derzeit auch for free anmelden kann.

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