Kolumne: Business Class: Hohe Hierarchie-Strategie
Das Handelsblatt Magazin veröffentlicht einige seiner neuen „Business Class“-Kolumnen exklusiv.
Foto: action press„Noch etwas“, sagt Eckert, der Vice President, gerade, als Schilling, der CEO, das Meeting aufheben will, „Ott ist jetzt Manager.“
„Welcher Ott?“
„Ott von der GLEBAG.“
Die GLEBAG ist einer der wichtigsten Kunden der Stabolen. Schilling sollte eigentlich wissen, wer Ott ist. Der Mann ist seit über drei Jahren, also von Anfang an, der Projektverantwortliche und wichtigste Ansprechpartner des Unternehmens.
„Ach so, dieser Ott“, antwortet Schilling, „Manager wovon?“
„Product Development.“
„Und bisher war er…?“
„Associate.“
Schilling grinst, sagt: „Wahrscheinlich statt Lohnerhöhung“, und erhebt sich. Es ist siebzehn Uhr dreißig, seine Apérozeit. Wer Überstunden macht, ist schlecht organisiert, ist seine Devise. Er nimmt das Jackett von der Stuhllehne und sieht Eckert erwartungsvoll an. Seine Körperfülle ist bei gewissen Bewegungen ein wenig hinderlich.
Während er ihm ins Jackett hilft, sagt Eckert: „Das schafft für uns ein Problem.“
„Lösen Sie es“, sagt Schilling. Er gefällt sich als der coole delegationsfähige Leader. „Lösen Sie es“ ist eine seiner Lieblingsanweisungen.
„Kann ich nicht“, versetzt Eckert, „dazu braucht es schon Sie.“
Noch lieber als der coole Delegierer ist Schilling der widerstrebend Unentbehrliche. Er seufzt tief und sagt: „Was ist denn nun das Problem?“
„Schütz.“
Theodor Schütz ist seinerseits der Ansprechpartner des Ansprechpartners Ott. Ebenfalls seit der Acquisition des Kunden GLEBAG.
„Was ist mit Schütz?“
„Er ist Associate.“
Schlagartig wird Schilling die ganze Tragweite der Situation klar. Er setzt sich wieder und bleibt eine ganze Weile stumm.
Man kann den Product Development Manager eines Kunden natürlich unmöglich von einem Key Account Associate betreuen lassen. Das wäre ein grober Verstoß gegen die Kundenbetreuungs-Hierarchie-Synchronisierung. Ein fataler Fauxpas.
Endlich unterbricht Schilling sein Schweigen: „Sie wissen, was das bedeutet.“
Eckert nickt.
„Und dass das nicht geht, wissen Sie auch.“
Eckert nickt wieder, noch schwerer. Beide verfallen erneut in Schweigen.
Was es bedeutet: Schütz muss zum Key Account Manager befördert werden, um mit Ott hierarchisch wieder auf Augenhöhe zu sein. Warum dies nicht geht: Die Position des Key Account Managers der Stabolen ist bereits besetzt. Und zwar durch Hausmann.
Hausmann ist zwar durchaus ersetzlich – und wie! –, aber er ist der Schwager der Schwester von Ebneter, dem Hauptaktionär der Stabolen, und damit unantastbar.
Schilling blickt auf die Uhr und spricht das Unaussprechliche aus, denn es ist schon acht Minuten über seiner Apérozeit: „Hausmann wird Head of.“
Wären sie katholisch, würden sich jetzt beide bekreuzigen, so beängstigend ist die Vorstellung von Hausmann als Head of Key Accounts.
Schilling tut etwas, was er nur in Notfällen tut. Er ruft seine Personal Assistant an und bestellt zwei Campari Soda. Einen für Eckert! Stumm warten sie auf die PA mit den Drinks. Als sie wieder gegangen ist, sagt Schilling etwas ungehalten: „Jetzt sagen Sie doch auch mal etwas!“
Eckert sagt, was ihm schon länger auf der Zunge liegt: „Sie befördern Hausmann statt einer zwei Stufen höher. Zum Director. Dort kann er weniger Schaden anrichten.“
Schilling verschluckt sich leicht an seinem Campari. „Und er überspringt Schmidt?“ Schmidt ist der aktuelle Head of. Ein allgemein als „guter Mann“ betrachteter Langjähriger.
Eckert hat auch dafür einen Plan: „Sie machen Schmidt ebenfalls zum Director.“
Schilling schüttelt zweifelnd den Kopf. „Dann haben wir zwei Key Accounts Directors?“
„Einen richtigen, Schmidt, und einen Frühstücksdirektor, Hausmann.“
Schilling lässt sich das kurz durch den Kopf gehen. Dann sagt er: „Das merkt der doch.“
Eckert nickt.
„Aber es ist ihm egal? Hauptsache Director?“
Eckert nickt lächelnd.
Schilling bestellt bei der PA eine zweite Runde Campari Soda. Danach fragt er: „Aber dann haben wir keinen Head of Key Accounts.“
„Doch. Schütz.“
„Den mache ich doch zum Key Account Manager?“
„Warum nicht noch eine Stufe höher?“
Schilling nimmt gedankenverloren einen tiefen Schluck. „Dann ist er nicht mehr hierarchisch synchron mit… wie heißt er schon wieder?“
„Ott. Das macht nichts, im Gegenteil. Der Ansprechpartner darf einfach nicht niedriger sein. Höher schon. Höher ist schmeichelhaft für Ott.“
Sie beenden dieses hierarchiestrategische Meeting ausnahmsweise mit einem dritten Campari Soda. Die besprochenen Hierarchie-Maßnahmen werden zügig umgesetzt. Zur Zufriedenheit aller Beteiligten.
Außer der von Ott. Nach vier Monaten wird der Auslöser dieser Umwälzungen freigestellt und in gegenseitigem Einverständnis entlassen.
„Erst befördern, dann entlassen?“, wundert sich Schilling.
Der wie immer gut informierte Eckert klärt ihn auf: „Es heißt, es sei von Anfang an so geplant gewesen. Ott wurde befördert, um ihn zu überfordern.“
Die Management-Kolumne „Business Class“ war Martin Suters Entree in die Karriere als Schriftsteller. Nach 13 Jahren Pause ließ er sie 2019 wieder auferstehen – mit den Mitteln der Jetztzeit: Crowdsourcing, Social Media und Paid Content. Das Handelsblatt Magazin druckt einige der neuen Kolumnen des Bestsellerautors exklusiv ab. Mehr von ihnen und andere Pretiosen finden Sie auf martin-suter.com, wo man sich derzeit auch for free anmelden kann.