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Kolumne: Business ClassTrau keinem at home

Kann man sich als Chef darauf verlassen, dass die Mitarbeiter im Homeoffice produktiv sind? Decker meint: definitiv nicht!Martin Suter 06.06.2020 - 14:09 Uhr

Das Handelsblatt Magazin veröffentlicht einige seiner neuen „Business Class“-Kolumnen exklusiv.

Foto: action press

Was Decker am meisten beschäftigt am Homeoffice, ist die Frage: Was machen die at home? Sind die überhaupt at home? Kann man sich bei Leuten wie Klemm oder Hagemann, vor allem bei Hagemann, darauf verlassen, dass die at home sind?

Nein. Kann man definitiv nicht.

Wenn er sich auf Klemm oder Hagemann verlassen könnte, dann wäre in letzter Zeit einiges anders gelaufen. Stichwort Eindhoven, um nur eines zu nennen. Wenn er, Decker, nicht so gutmütig wäre, dann wären die beiden Mitglieder der erweiterten Geschäftsleitung  längst Exmitglieder der erweiterten Geschäftsleitung. Doch bei aller Gutmütigkeit: Wenn er geahnt hätte, dass sie eines Tages gezwungen sein würden, im Homeoffice zu arbeiten, dann hätte er sich vorbeugend von Klemm und Hagemann entlastet.

Wenn er ehrlich ist, funktionieren die beiden nur unter Überwachung. Nicht unter permanenter, aber stichprobemäßiger.

Doch sein zufälliges, überraschendes im vierten Stock Auftauchen und unter einem Vorwand im Büro des einen oder anderen Reinschauen geht in Zeiten des Homeoffice leider nicht mehr.

Decker hat sich in seinem Arbeitszimmer eingerichtet, als wäre es sein richtiges Büro, und tut, als würde er sich auf die beiden verlassen. Versucht es zumindest.

Aber immer wieder sieht er Klemm an seinem Esstisch sitzen und nichts tun. Er kann sich ein sehr genaues Bild von dieser Situation machen. Er und Hanna waren nämlich schon einmal bei Klemms eingeladen. Eine Privatbewirtung, die er mangels Geistesgegenwart angenommen hatte. Und zu der, wie sich herausstellte, als zweites Paar ausgerechnet die Hagemanns eingeladen waren. Offensichtlich ein befreundetes Ehepaar! Die vier duzten sich!

Theoretisch hatte er nichts einzuwenden gegen befreundete Ehepaare. Aber praktisch schon. Bei einer Privatbewirtung bei zwei befreundeten Ehepaaren fühlt man sich nämlich als Vorgesetzter trotz hierarchischer Überlegenheit als Außenseiter. Vor allem dann, wenn man das erste Paar ist, das sich verabschiedet. Dann reden die länger Bleibenden nämlich über einen.

Um das zu vermeiden, haben Deckers, besser gesagt, hat Decker sich angewöhnt, bei Privatbewirtungen als letzter zu gehen. Worüber sich Hanna jedes Mal wundert. „Warum schimpfst du immer über die, und dann müssen wir doch am längsten bleiben?“, ist ihre Standardfrage auf dem Nachhauseweg.

Diesen beiden also soll er nun blindlings vertrauen? Wäre dies nicht ein Vertrauensmissbrauch gegenüber Honegger, seinem CEO? Der verlässt sich doch seinerseits blindlings auf ihn, seine number two. Und zwar zu Recht. Wie würde Honegger darauf reagieren, wenn ihm zu Ohren käme, dass die Leute, für deren Performance er, Decker, verantwortlich ist, die internationale Notlage dazu missbrauchen, ihre Pflichten zu vernachlässigen? Würde das nicht letztlich auf ihn, Decker, zurückfallen?

Er greift zum Telefon und wählt Klemms Mobilnummer. Keine Antwort. Er versucht es mit Hagemanns Mobilnummer. Auch keine Antwort.

Er wählt Klemms Festnetznummer. Besetzt. Er legt auf und ruft Hagemanns Festnetz an. Besetzt. Telefonieren die miteinander?

Er legt auf und ruft Klemm an. Besetzt. Er legt auf und ruft Hagemann an. Besetzt.

Er wird das so lange tun, bis einer von beiden abhebt. Dann wird er wortlos auflegen und den anderen anrufen. Wenn der dann ebenfalls abhebt, ist der Fall klar. Dann haben die miteinander telefoniert. Doch worüber? Die beiden haben im Moment gar kein gemeinsames Projekt. Schon gar nicht eines, über das sie so lange telefonieren müssten.

Das kann nur eines bedeuten: Die beiden quatschen privat! Eventuell über ihn. Die hecheln ihn durch.

Volle zwölf Minuten stellt er abwechselnd die beiden Nummern ein. Besetzt, besetzt, besetzt.

Schlagartig wird ihm klar, was das sonst noch bedeuten kann: Die telefonieren gar nicht. Die haben die Hörer neben den Telefonen liegen und streamen einen Film, womöglich gemeinsam. Oder spielen Karten. Wohnen die nicht ganz in der Nähe voneinander? Gehdistanz?

Lautete Honeggers Weisung nicht unmissverständlich: „Erreichbarkeit während der Bürozeiten“?

Ein letztes Mal wählt Decker die beiden Nummern. Als sie noch immer besetzt sind, holt er den Wagen aus der Garage und fährt los.

Dreimal muss er klingeln, bis ihm Klemms Frau öffnet. „Ist Ihr Mann zu Hause?,“ fragt er barsch.

„Ja“, flüstert sie, „aber ich darf nicht stören. Erweiterte Geschäftsleitungstelefonkonferenz mit Big Boss Honegger.“

„Weshalb weiß ich nichts davon?“, fragt Decker fassungslos.

Sie zuckt mit den Schultern. „Kurzfristig anberaumt. Und soviel ich mitbekommen habe, waren Sie ständig besetzt.“

Die Management-Kolumne „Business Class“ war Martin Suters Entree in die Karriere als Schriftsteller. Nach 13 Jahren Pause ließ er sie 2019 wieder auferstehen – mit den Mitteln der Jetztzeit: Crowdsourcing, Social Media und Paid Content. Das Handelsblatt Magazin druckt einige der neuen Kolumnen des Bestsellerautors exklusiv ab. Mehr von ihnen und andere Pretiosen finden Sie auf martin-suter.com, wo man sich derzeit auch for free anmelden kann.

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