Buchrezension Die Sucht der Macht: Peter Tauber über die Schattenseiten der Politik

„Politik lässt nahezu keinen Raum für private Kontakte oder Freundschaften“, sagt der CDU-Politiker.
München Wie einsam macht Politik? Diese Frage stellt sich sofort, wenn man Peter Tauber liest. Über das Ringen des einstigen CDU-Generalsekretärs mit den Strukturen einer Partei, mit den Umfragewerten, den Erwartungen, den Zielzeiten des Marathons, den spätabendlichen Pizza-Fressattacken und schließlich mit dem eigenen Körper.
Erst in Lebensgefahr pfeift Tauber auf das „Morgenmagazin“-TV-Interview am nächsten Morgen. Allerheiligen, er wählt den Notruf und lässt sich um halb drei in der Nacht wegen seiner Darmentzündung ins Krankenhaus einliefern.
Es ist der Beginn eines monatelangen Kampfs um Leben und Tod, mit zwölf Tage Intensivstation und Reha. Und mit einem prompten Comeback im März 2018 als Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium.
Ihm sei bei der Arbeit zum Buch noch einmal bewusst geworden, „wie wichtig Kooperation mit anderen Menschen ist“, gibt Tauber zu Protokoll: „Man kommt so schneller zum Ziel. Dieses Bild habe ich mir früher nicht gestattet. Man musste sich ja vielmehr permanent selbst etwas beweisen und zumuten. Vielleicht aus falschem Stolz denken Menschen, alles allein machen zu müssen.“
Aber so funktioniert Politik zumeist. Die Einsamkeit des Langstreckenläufers. Der sich fortwährend einredet: „Ich werde doch gebraucht.“
Mit einer Mischung aus Selbsterkenntnis, Beichte und Reue liefert der 45-jährige Christdemokrat ein Opus ab, das so ganz aus der Reihe üblicher Politiker-Druckwerke herausfällt. Es ist ein Anti-Heldenbuch. Über ihm könnte auch „Mein langer Lauf zu mir selbst“ stehen.

Peter Tauber: Du musst kein Held sein. Spitzenpolitiker, Marathonläufer, aber nicht unverwundbar.
bene!
224 Seiten
18 Euro
Sein Verleger sei auf ihn aufmerksam geworden, als er in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz über sein Schicksal redete, erzählt Tauber. Überzeugt hat den Politiker dann in langen Gesprächen, dass der Verlag nichts Reißerisches wollte, sondern Ermutigendes für Menschen mit Brüchen im Leben. Für Leser, die Angst vor dem Scheitern haben.
Was für eine Anreicherung. In diesem Genre wimmelt es zum einen von Memoiren im historischen Vorzugslicht, von Gerhard Schröder bis Theo Waigel. Das ist oft nur dann erkenntnisreich, wenn – wie im Fall Helmut Kohl – der Ghostwriter einmal vertragswidrig darüber auspackt, wie lästerlich der Held der Geschichte tatsächlich über Zeitgenossen dachte.
Zum anderen ist dieses literarische Genre vollgestopft mit Debattenbüchern, die meist daran scheitern, dass der Autor die Agenda bestimmen will, aus Rücksicht auf seinen größten Feind, den Parteifreund, aber alles Markante glatt hobelt. Am Ende bleibt häufig nur etwas Gravitas, Polit-Marketing und eine Auflage von einigen Tausend Exemplaren.
Immer Weitermachen, bloß nicht durch Schwäche auffallen, präsent bleiben in den Medien, das hatte schon dem CSU-Politiker Horst Seehofer im Januar 2002 fast das Leben gekostet. Mit einer lebensgefährlichen Myokarditis, einer Herzerkrankung, kam er ins Krankenhaus. Er habe sich wegen seiner Arbeitsbelastung zu spät behandeln lassen, gestand Seehofer später. Seitdem glaubt er, das Junkie-Wesen des Politiklebens durchschaut und die Sucht im Griff zu haben.

Jürgen Leinemann: Höhenrausch. Die wirklichkeitsleere Welt der Politiker.
Blessing
496 Seiten
8,99 Euro
Der langjährige „Spiegel“-Reporter Jürgen Leinemann (1937–2013) hat solche Fälle extremer Abhängigkeiten vor 16 Jahren in seinem beeindruckenden Buch „Höhenrausch“ seziert. Er beschreibt eine Kultur der Machtgeilheit, in der man sich selbst am wichtigsten ist und an anderen nur interessiert, ob sie nützen oder schaden. Leinemann zitiert den früheren hessischen Ministerpräsidenten Holger Börner mit dem Satz, fehlende Menschenkenntnis sei eine der wichtigsten Führungsvoraussetzungen in der Politik.
Mit nötiger Schärfe beschreibt Leinemann, wie der Politikbetrieb alles töte, was ein normales Leben erfüllt: Familie, Liebesbeziehung, Freunde, Kunst, Literatur, Hobbys. Alles drehe sich nur um Politik – „die der Politiker irgendwann mit der Wirklichkeit verwechselt, so wie sich selbst mit seiner öffentlichen Rolle“. Besser kann man es nicht formulieren.
Digitaler Druck
Peter Tauber hat das Leinemann-Buch nicht gelesen, kennt aber dessen Suchtthesen. Sie beschreiben präzise auch sein Dilemma als Generalsekretär. Er lebte mit einem Schutzpanzer und musste immer zuspitzen, denn wer zu soft formuliert, den hört keiner.
Beim permanenten Twittern haute er etwa in einem Streit über Arbeitsmarktpolitik den mehr als fragwürdigen Satz heraus, dass jemand, der „etwas Ordentliches gelernt“ habe, keine Minijobs brauche. Aber der gläubige Protestant Tauber ist in Wahrheit ein Suchender, kein Polterer. Die Minijob-Replik – damals nachts auf dem Weg ins Bett im Zorn entstanden – hält er seit Langem für einen Fehler.
Als Generalsekretär hat Parteichefin Angela Merkel den früheren hessischen Vorsitzenden der Jungen Union im Bundestagswahlkampfjahr 2013 geholt, weil sie sich Ruhe rechts von der Mitte der CDU erhoffte. Schließlich war der Abgeordnete aus Gelnhausen ein Zögling von Alfred Dregger, der Ikone der Konservativen. „Peter, mach du das doch!“ oder „Alles klar, dann macht er das“ – so war Tauber zu seinen Ämtern gekommen.
Wenn Sie was ordentliches gelernt haben, dann brauchen Sie keine drei Minijobs.
— Peter Tauber (@petertauber) July 3, 2017
Doch im Generalsamt wollte der Neue seine Partei dann sehr forsch „jünger, weiblicher, bunter“ machen, verteidigte die Flüchtlingspolitik und brachte das digitale Zeitalter in die vorher internet-technisch doch sehr verstaubte CDU. Eine solche Rolle als „Disruptor“ macht erst recht einsam. Die einen fanden seinen moderierenden Stil gut, die anderen ätzten: „Wir brauchen wieder solche Generalsekretäre wie Geißler oder Biedenkopf.“
Er sei da „nicht sensibel genug“ gewesen, urteilt Tauber heute, und habe in der Partei einige verletzt, die sich nicht mehr wertgeschätzt fühlten. Da fragten sich alte Parteimitglieder schon einmal: „Der redet nur über die, die er holen will. Sind wir nicht mehr gut genug?“
Aber scheitern? So etwas ist im Berliner „Spreebogen“ tabu. Hier funktioniert man, selbst unter größter Anspannung. Bloß kein Kontrollverlust. Wenig Schlaf, unregelmäßiges Essen, Termine im ganzen Land, Freunde und Familie sind weit weg. Man kompensiert mit Alkohol und Drogen. „Ich habe eine Aufgabe, die muss erfüllt werden“, sagte Peter Tauber sich immer wieder.
Herr Tauber, waren Sie ein Süchtiger?
„Man kann in der Politik süchtig werden nach Aufmerksamkeit, nach Wahrnehmung. Dieses ,Stattfinden-Müssen‘ und der daraus entstehende Druck waren sicherlich auch ein Grund für meine gesundheitlichen Probleme. Durch meine Krankheit und die Reha hatte ich dazu zunächst einen gewissen Abstand gewonnen. Zunächst wollte ich zum Beispiel gar nicht mehr mit Journalisten reden, obwohl Medien in der Gesellschaft wichtige Mittler sind. Heute sage ich mir: Man muss sich keine eigene Wichtigkeit suggerieren, die es vielleicht gar nicht gibt.“
Man kann in der Politik süchtig werden nach Aufmerksamkeit, nach Wahrnehmung. Peter Tauber (Ehemaliger Generalsekretär der CDU)
Was ging in der Lebenskrise vor allem verloren?
„Wenn man immer zwanghaft in der Öffentlichkeit stattfinden muss, frisst das so viel Zeit, die dann für menschliche Beziehungen fehlt. Politik lässt nahezu keinen Raum für private Kontakte oder Freundschaften. Die dafür notwendige Zeit muss man sich nehmen. Man kann aber auch in der Politik Freundschaften knüpfen.“
Neues Buch schon in Planung
Heute sagt Tauber, er sei mit sich selbst im Reinen: „Ich wirke sehr gern als Abgeordneter für meine Heimat. Es gibt keinen Druck, irgendeiner Agenda zu folgen und Karriere zu machen. Vor allem bin ich froh, wieder gesund geworden zu sein.“ Der Verteidigungs-Staatssekretär und Hauptmann der Reserve hält sich jetzt den Sonntag frei, ernährt sich gesünder, fordert mehr Respekt in der Politik ein und redet offen über Zweifel und Schwächen. Sein christlicher Glaube ist reaktiviert.
Viele Menschen, die Krisen durchmachten, hätten ihn zuletzt begeistert angesprochen, berichtet der Christdemokrat. Sein Buch sei „kein politisches Manifest oder eine politische Rückschau, sondern eine Betrachtung zum Thema Zusammenhalt“. Er fühle sich, entgegen mancher Behauptung, durch die Offenheit des Buchs „nicht angreifbarer, eher im Gegenteil – gerade auch, weil ich über Dinge schreibe, bei denen ich nicht geglänzt habe“.
Sein Learning: „Wenn man nicht auf sich selbst Acht gibt, wie will man dann auf andere Acht geben?“ Als einziges männliches Vorbild fällt ihm nur „Wickie, der Wikinger“ ein, die Kinderbuch- und Cartoonfigur. Wickie hat viel Angst, löst Probleme mit guten Ideen und mit der Hilfe der ganzen Wikingerbande.
Darüber redet der promovierte Historiker derzeit auf Leserreisen, auch in der CDU-Zentrale in Berlin. Sein „Du musst kein Held sein“-Buch bietet seltene, ehrliche Einblicke in einen brutalen Machtapparat. Das nächste Tauber-Werk ist schon in Planung: Es geht um die Frage, ob die alten Preußen uns nicht viel mehr zu sagen hätten, als wir denken. Immerhin haben sie beispielsweise eine gezielte Einwanderungspolitik betrieben und die Schuldenbremse eingeführt.
Von wegen „Pickelhaube“. Preußische Tugenden gehen für den Autor auf christliche Kardinaltugenden zurück.
Der Mann, der mit dem Tod rang, setzt seine Politik mit anderen Mitteln fort. Er schreibt, Ruhe und Gelassenheit gefunden zu haben, bewusst im Moment zu leben und empathischer zu sein. Peter Tauber ist nicht mehr einsam.
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