Buchtipp: „The Bridge“: Erdgas bestimmt immer mehr das Verhältnis zwischen Russland und Europa

Das Pipeline-Projekt ist in Europa und den USA umstritten.
Darum geht’s: Es gibt wohl nichts, was Europa und Russland über die vergangenen Jahrzehnte mehr aneinander gefesselt hat als ihre gegenseitige Abhängigkeit vom Gas. Immerhin bezieht Europa fast die Hälfte seiner Erdgasimporte aus Russland. Selbst als die Spannungen im Kalten Krieg auf ihrem Höhepunkt waren, floss der Rohstoff weiter von Ost nach West.
Vierzig Jahre später steht genau diese Geschäftsbeziehung in der Kritik. Der Bau der Nordseepipeline Nord Stream 2 ist nicht nur bei einigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union umstritten, sondern ruft sogar die US-Regierung auf den Plan. Die Gas-Connection zwischen Europa und Russland gerät ins Wanken – und könnte die geopolitische Landschaft für immer verändern.
Genau darum geht es in dem neu erschienenen Buch „The Bridge“. „Stabile wirtschaftliche Beziehungen fördern stabile politische Beziehungen und andersherum“, analysiert der Autor Thane Gustafson. „Im Mittelpunkt dieser Geschichte stand lange Zeit das Erdgas. Jetzt wird es ein Teil des Problems.“
Das ist der Autor: Thane Gustafson lehrt Politikwissenschaft an der Georgetown University in Washington. Seine Expertise, die er auch im Analysehaus IHS Markit einbringt, sind Energiethemen rund um Russland.
Das überrascht: Der 76-jährige Gustafson verfolgt über 419 Seiten die ökonomische und politische Rolle von Gas in ganz Europa und Russland durch mehrere Jahrzehnte und Nationen. Von den ersten Gasfunden im niederländischen Groningen der späten 50er-Jahre bis hin zu den aktuellen Spannungen zwischen Russland und dem Westen.
„Gas ist traditionell eine Beziehungswährung: Produzent und Konsument sind über eine Pipeline verbunden, dabei entsteht automatisch eine gegenseitige Abhängigkeit“, erklärt Gustafson.
Dazwischen gebe es noch Transitnationen wie die Ukraine, „es entsteht ein komplexes Dreieck“. Durch den Einsatz von Flüssigerdgas, kurz LNG, das sich per Tanker transportieren lässt, wird Gas auf einmal zu einer globalen Währung. Am anderen Ende dieser „globalen Pipeline“ protestieren die USA im Moment am lautesten gegen die vermeintliche Bevorteilung Moskaus.
Auch Staaten wie die Ukraine sehen in den neuen Gaslieferanten eine Möglichkeit, sich endlich aus der Energieabhängigkeit von Russland zu befreien.
Aber Gustafson wagt auch einen Blick in die Zukunft. Da die Gasproduktion in der EU, in Großbritannien und in Norwegen sinkt, wird die Verbindung zu Russland gerade über Nord Stream 2 weiterhin wichtig sein, prophezeit er.
Das stört: Noch gibt es die ausgiebige Abhandlung der europäisch-russischen Gasgeschichte nur auf Englisch. Weil es ein wirtschaftliches Sachbuch ist, kann es sein, dass der Leser ab und zu das Wörterbuch zurate ziehen muss. Eine deutsche Übersetzung sei zwar in Arbeit, wann und ob diese überhaupt in den Verkauf geht, könne man aber noch nicht sagen, heißt es beim Verlag.
Trotzdem lohnt sich die Lektüre. Gustafson schreibt lebendig, kurzweilig und ohne Umschweife. Wer das Buch „The Prize“ über die Geschichte des Erdöls von Pulitzer-Preisträger Daniel Yergin gern gelesen hat, für den ist sicherlich auch „The Bridge“ ein Must-Read.
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