Interview: Richard David Precht: „Seit Corona erodiert in Deutschland einiges“

„Ich finde, dass die oft durchaus berechtigte Kritik manchmal selbst überzieht und viel eilige Besserwisserei im Spiel ist.“
Düsseldorf. Corona setzt der Gesellschaft zu – nicht nur medizinisch und finanziell, sondern ebenso in puncto Zusammenhalt. „Auch bei uns in Deutschland erodiert seit Corona einiges“, warnt der Philosoph Richard David Precht im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Es gebe eine „steigende Zahl von Menschen in der Grauzone, die ihr wachsendes Misstrauen gegenüber dem Staat an sich artikulieren“. Deshalb schlägt er vor, zwei neue Pflichtjahre für jeden Bundesbürger einzuführen – eines nach der Schulzeit, eines zu Beginn der Rente. Das könne auch eine Antwort sein auf die Frage: „Was kann liberale, moderne Demokratien, in der sich ja auch Minderheiten immer kraftvoller artikulieren, heute noch im Innersten zusammenhalten?“
Solidarität mit der angeschlagenen Wirtschaft hält Precht für nachvollziehbar, aber auch nicht für eine Pflicht: „Als Staatsbürger wird mir hier zunächst mal keine Solidarität abverlangt. Das sind dann alles einzeln zu betrachtende Fälle. Was ich persönlich darüber denke, steht auf einem anderen Blatt.“
Die Rettung des Touristikkonzerns Tui zum Beispiel hält der 56-Jährige für „völlig falsch, weil sein Geschäftsmodell einfach nicht mehr nachhaltig ist“. Es sei „purer Lobbyismus, wenn der Staat sich aufgrund der schieren Größe und Zahl der Arbeitsplätze mancher Konzerne einreden lässt, sie retten zu müssen“, sagt Precht. „Zugleich speist er die kleinen und mittelständischen Betriebe eher ab, auch wenn dort in toto viel mehr Menschen arbeiten.“





