Memoiren des Ex-US-Präsidenten: Obamas Regeln für den perfekten Bestseller

Es sind vor allem fünf Regeln, die Obama im Buch anwendet und die zusammengenommen das Rezept für den perfekten Bestseller ergeben.
Hamburg. Barack Obama weiß, wie man Menschen in den Bann schlägt. Vor allem diesem Talent verdankt er seinen beispiellosen politischen Aufstieg: Innerhalb von nur fünf Jahren schaffte er es vom Provinzabgeordneten im US-Bundesstaat Illinois in den US-Senat und von dort als Präsident ins Weiße Haus. Im Vorwahlkampf der demokratischen Partei schlug er 2008 die ungleich erfahrenere Favoritin Hillary Clinton aus dem Feld. Anders als die kühle und rationale Clinton vermochte es Obama, die Menschen emotional anzusprechen und mitzureißen.
Am heutigen Dienstag erscheint der erste Band der Memoiren von Barack Obama. Unter dem Titel „Ein verheißenes Land“ schildert er darin seine Jugend auf Hawaii, seinen Aufstieg in die Politik und seine erste Amtszeit als Präsident. Es ist ein Buch der Superlative, das da bei der Bertelsmann-Tochter Random House erscheint: Über 1000 Seiten dick, begleitet mit weltweiten Vorabdrucken und strengsten Geheimhaltungsklauseln für die Exemplare, die vorab an Journalisten gingen.
Das Buch ist als globaler Bestseller angelegt und die Chancen stehen gut, dass es diesen Anspruch auch einlösen wird. Nicht wegen irgendwelcher inhaltlicher Sensationen. Sondern weil Obama als Autor ebenso begnadet ist wie als Rhetoriker. Wie schon in seinen Reden nutzt er bestimmte dramaturgische und stilistische Kniffe, die den Leser in ihren Bann ziehen und zugleich Sympathie für den Protagonisten wecken – in diesem Fall Obama selbst.
Es sind vor allem fünf Regeln, die Obama im Buch anwendet und die zusammen genommen das Rezept für den perfekten Bestseller ergeben. Diese Regeln zu kennen, ist nicht nur für potenzielle Buchautoren nützlich. Sie helfen jedem, der eine packende Geschichte erzählen möchte: Sei es in einem Sachbuch, einem Roman, einer Hochzeits- oder Geburtstagsansprache, einem Bewerbungsinterview oder einer Projektpräsentation.
„Ein verheißenes Land“: Barack Obamas fünf Regeln im Überblick
1. Schildere deinen Weg als Heldenreise
Jede große Geschichte handelt von Schwierigkeiten, die überwunden werden. Idealtypisch gelingt das in der so genannten „Heldenreise“, bei der ein Protagonist verschiedene Aufgaben bewältigen muss, an denen er beinahe scheitert – bevor er am Ende doch sein Ziel erreicht. Von der „Odyssee“ bis zu den „Tributen von Panem“ fußen fast alle erfolgreichen Geschichten auf solch einer Heldenreise.

Das Buch ist der erste Teil von Obamas Memoiren.
In Autobiografien hingegen scheuen sich viele Politiker, die Momente zu benennen, in denen sie an ihrer Aufgabe zu scheitern drohten. Stattdessen lassen sie ihr Leben als wohltemperierte Abfolge von Erfolgen dahinplätschern. Nichts ist für den Leser langweiliger.
Obama weiß das und macht es besser. Obwohl sein Leben nun wirklich ziemlich erfolgreich verlief, hebt er mehrere persönliche Krisen hervor. So seine Orientierungslosigkeit als Student im New York der 80er-Jahre. Oder, besonders eindringlich, seine Reise zum demokratischen Nominierungsparteitag im Jahr 2000: Obama war mit seiner Bewerbung für einen Sitz im Repräsentantenhaus gescheitert und überlegt ernsthaft, aus der Politik auszusteigen. Er ist so pleite, dass der Mietwagenschalter am Flughafen seine Kreditkarte ablehnt. Am Ende lässt man ihn nicht einmal in die Parteitagshalle.
Nur acht Jahre später wird Obama auf ebendiesem Parteitag selbst zum Präsidentschaftskandidaten der Demokraten nominiert – und zieht als erster Schwarzer ins Weiße Haus ein. Mehr Heldenreise geht nicht.
2. Leite aus deiner Herkunft ab, wofür du stehst
Obama schildert seine Jugend als Phase der Orientierungslosigkeit. Als Sohn eines schwarzen Vaters, den er kaum kennt, und einer hochgebildeten, aber nahezu mittellosen Mutter fühlt sich der junge Obama keiner sozialen Schicht und keiner Clique wirklich zugehörig. Er ist ein mittelmäßiger Schüler, probiert Drogen aus und versucht vergeblich, Eindruck auf Frauen zu machen. Die meisten Teenager fühlen sich verloren, und viele erinnern sich als Erwachsene noch sehr gut an dieses Gefühl.
Indem er seine Probleme als Jugendlicher schildert, macht es Obama den Lesern leicht, sich mit ihm zu identifizieren. Zugleich verknüpft er geschickt seine Herkunft mit seiner Mission als Präsident: Gerade weil Obama nicht eindeutig zu einer Ethnie oder einem Milieu gehört, fühlt er sich zum Präsidenten aller Amerikaner berufen. Im Wahlkampf ist er so erfolgreich, weil er mit jeder Art von Wählern gut kann.
Hier spiegelt sich ein klassisches Motiv vieler großer Epen wider: Eine vermeintliche Schwäche des jugendlichen Helden stellt sich als seine wahre Stärke heraus und definiert seine Bestimmung. Obama spannt einen Bogen vom Ausgangspunkt seiner Heldenreise zu ihrem Ziel: dem Weißen Haus. Das verleiht seinen Memoiren eine für den Leser befriedigende innere Logik. Dass es ihm als Präsident dann leider nicht gelingt, die Amerikaner miteinander zu versöhnen, dass er als schwarzer Präsident eine Provokation für viele rechte US-Bürger blieb: Das steht auf einem anderen Blatt.
3. Mach dich normaler, als du wirklich bist
Nicht nur in der Schilderung seiner Teenagerzeit, sondern im Verlauf des gesamten Buchs macht es Obama seinen Lesern immer wieder leicht, sich mit ihm zu identifizieren: Er bekommt Krach mit seiner Frau Michelle wegen seiner chronischen Unordnung. Als Präsident versucht er vergeblich, mit dem Rauchen aufzuhören.
In einer Passage ärgert sich Obama über das schlechte W-Lan in der Air Force One. In einer anderen schildert er seine Langeweile während ausufernder Gipfeltreffen. Der Leser muss gedanklich lediglich „Gipfeltreffen“ durch „Abteilungsleiterrunde“ und „Air Force One“ durch „ICE“ ersetzen – schon fühlt er sich ganz nah bei Obama.
Auf diese Weise erscheint der Präsidentenalltag normaler, als er vermutlich wirklich ist. Umso mehr kann der Leser dann in jenen Momenten mitfiebern, die weit über den Alltag des Durchschnittsbürgers hinauswachsen. Etwa in der Finanzkrise, als Obama versucht, unter Zeitdruck ein Rettungspaket für die US-Wirtschaft zu schnüren.
Auch das ein Motiv vieler erfolgreicher Geschichten: Der Held als ganz normaler Mensch, der in der Krise über sich hinauswächst. Aus dem kleinen Angestellten Clark Kent wird „Superman“. Aus dem noch kleineren Hobbit Frodo im „Herr der Ringe“ der Retter von Mittelerde.
4. Wechsle zwischen Nähe und Distanz
Nicht nur inhaltlich, sondern auch stilistisch spielt Obama mit Kontrasten. So schildert er weite Passagen seines Lebens nur in groben Umrissen, um dann einzelne Schlüsselszenen um so detailreicher hervortreten zu lassen. Diese Abwechslung macht Geschichten spannend. Obama hakt zum Beispiel seinen legendären Wahlkampfauftritt vor der Berliner Siegessäule in einem einzigen Satz ab – als deutscher Leser ist man da fast ein bisschen enttäuscht.
Dafür schildert er wenige Seiten darauf den Tag der Präsidentschaftswahl 2008 bis ins kleinste Detail: Die seltsame Ruhe, die nach dem letzten Wahlkampfauftritt einkehrt. Die gespenstische Leere der Straßen von Chicago bei der Fahrt im vom Secret Service gesicherten Konvoi.
5. Sei humorvoll, dann kannst du auch pathetisch sein
Geschichten, in denen auf jeder Seite Witze gerissen werden, wirken albern. Geht es hingegen immer nur um die Rettung der Welt, klingt eine Erzählung schnell pathetisch und hohl. Gerade die Autobiografie eines Präsidenten kommt nicht ohne ernsthafte Passagen aus. Natürlich will man wissen, wie Obama als Präsident die vielen Krisen seiner Amtszeit empfunden hat, wie sich sein Weltbild verändert hat.

An der deutschen Kanzlerin fallen Obama vor allem die strahlend blauen Augen auf.
Auch hier liegt die Kunst in der Abwechslung zwischen Ernsthaftigkeit und Humor. „Comic Relief“ nennen es Autoren, wenn eine ernsthafte Szene mit einem Scherz kontrastiert wird. Obama zieht diese „komische Entspannung“ mustergültig durch seine gesamten Memoiren. So geht es bei seinem Besuch beim G20-Gipfel in London lange um die anwesenden Staatsmänner, ihre Haltung zu den USA und Obamas Einschätzung von ihnen (an Angela Merkel fallen ihm vor allem die strahlend blauen Augen auf).
Michelle Obama hat derweil andere Sorgen. Nach ihrem Empfang im Buckingham Palace wird sie in der britischen Presse für ihre angeblich zu saloppe Kleidung (Cardigan überm Kleid) kritisiert. Barack Obama fragt seine Frau: Warum Michelle denn nicht auf ihn gehört und nach Art der Queen ein kleines Hütchen und eine Handtasche getragen habe? Michelle gibt ihrem Mann einen Kuss auf die Wange und antwortet lächelnd: „Und ich hoffe, du genießt es, auf der Couch zu schlafen, wenn du wieder zu Hause bist.“




Und wenn es nicht wahr ist, so ist es gut erfunden. Sehr gut sogar.
Mehr: Obama fordert Trump auf, seine Wahlniederlage einzugestehen





