Rezension: Klimawandel: Auch eine Krise der globalen Ungerechtigkeit
Düsseldorf. Das abgelaufene Jahr war das heißeste seit Beginn der Wetteraufzeichnung – und dieser Tage ist es klirrend kalt. Nun sind nicht alle Wetterphänomene eine Ursache des Klimawandels. Doch die zunehmende Erderwärmung führt dazu, dass Extremwetterereignisse wie Hitzewellen, Dürren und Fluten immer häufiger vorkommen und oft intensiver ausfallen.
Das erklärt Klimawissenschaftlerin Friederike Otto in ihrem neuen Buch „Klimaungerechtigkeit“. Otto, 41, gehört zu den wichtigsten Stimmen der Klimawissenschaft. Mit der von ihr mitentwickelten Attributionsforschung lässt sich bestimmen, wie groß der Anteil des Klimawandels an Extremwettern ist.
Dass die gebürtige Kielerin, die heute am Imperial College in London lehrt, nicht nur Physik, sondern auch Philosophie studiert hat, wird in ihrem neuen Werk deutlich. Den Schwerpunkt legt sie darauf, warum der Klimawandel auch eine Krise der globalen Ungerechtigkeit ist: „Der Klimawandel ist ein Symptom der globalen Krise der Ungleichheit und Ungerechtigkeit, nicht ihre Ursache“, schreibt sie.
Mit dem Buch will sie nach eigenem Bekunden zeigen, dass der Klimawandel nicht allein ein naturwissenschaftliches Problem ist. Es geht dabei auch um die Bevölkerungsdichte, sozioökonomische Strukturen und politische Machtverhältnisse.
Dieser Ansatz macht das Buch zu einer spannenden Lektüre. Viel wurde schon über den Klimawandel an sich geschrieben, die gesellschaftliche Perspektive dürfte für viele Leser gewinnbringend sein, denn Otto nennt viele Beispiele und Zahlen, die das gesellschaftliche Ausmaß der Klimakrise beschreiben.
„Wer am wenigsten hat, leidet am meisten“
Die Wissenschaftlerin betrachtet Klimakatastrophen an acht verschiedenen Orten. Sie nennt deren Ursachen und Auswirkungen – zeigt aber vor allem auf, dass diese die Ungleichheit einer Gesellschaft verstärken.
Friederike Otto: Klimaungerechtigkeit.
Ullstein Hardcover,
Berlin 2023,
337 Seiten,
22,99 Euro
Der Klimawandel trifft Arme härter als Vermögende und die Menschen im globalen Süden stärker als jene in Mitteleuropa. „Wer am wenigsten hat, leidet am meisten an den Folgen des Klimawandels“, schreibt Otto.
Dabei hätten diese den geringsten Einfluss, den Klimawandel zu bremsen. Betroffen seien vor allem Menschen mit wenig Geld, argumentiert die Autorin. Sie leben in schlecht isolierten Häusern, die weniger vor Hitzewellen schützen, können sich schlechter Versicherungen leisten oder haben schlechteren Zugang zu Informationen.
Dass der Klimawandel die Ungleichheit verstärke, sei eine „wirklich gefährliche Folge“, warnte die Wissenschaftlerin zuletzt auch im Podcast Handelsblatt Green & Energy. Dass sie das wütend macht, wird auch beim Lesen des Buches deutlich.
Ist das noch Wetter – oder schon der Klimawandel?
Weil Wetterkatastrophen oft als Unglück wahrgenommen würden, führe das dazu, dass sich viele Gesellschaften nicht besser an die Unwettergefahr anpassten. Otto plädiert dafür, dem Klimawandel nicht nur mit einer Schockstarre zu begegnen, sondern sich klarzumachen, dass sinnvolle Maßnahmen dagegen auch Lebensqualität und Gesundheit erhöhen – seien es Städte mit mehr Pflanzen und Abkühlmöglichkeiten oder dass in Neubauten nur noch Thermofenster eingebaut werden.
Otto kritisiert, dass die Schäden durch den Klimawandel oft heruntergespielt werden. „Es gibt weder global vereinbarte Standards zur Messung von Schäden noch eine systematische Erfassung. Beweise, wie ich sie in diesem Buch vorgelegt habe, sind immer noch Einzelfälle.“
Doch allein die Erkenntnisse der Wissenschaft, glaubt Otto, werden an den Ungerechtigkeiten des Klimawandels nichts ändern. Zu lange halte die Menschheit an fossilen Energieträgern und einem globalen Wachstumsfetischismus fest. „Was es zu retten gilt, ist nicht das Klima. Es geht schlicht darum, die Würde und Rechte der Menschen – und zwar aller Menschen – zu retten.“