Weihnachtsgeschenke: Diese Romane sollten Sie dieses Jahr verschenken

Weihnachtszeit ist Bücherzeit: Fast jeder zweite Deutsche möchte laut Gesellschaft für Konsumforschung Bücher verschenken. Der Wert ist seit Jahren konstant hoch. Doch welche Werke eignen sich unter dem Weihnachtsbaum? Die Handelsblatt-Redaktion hat sich durch die Roman-Neuerscheinungen des Jahres geblättert – und hier ihre zehn Empfehlungen. Nächste Woche folgen dann zehn empfehlenswerte Wirtschaftsbücher. Ein Hof in der Lüneburger Heide: Hier lebt der 19-jährige Jannes mit Familie und Schafherde. Seit Generationen hüten und pflegen sie die Heide, ein Idyll, das plötzlich in Gefahr ist: Ein Wolf wird gesichtet. Jannes muss Verantwortung übernehmen, erwachsen werden – diese Coming-of-age-Story ist die eine Erzählebene des Romans. Die zweite behandelt die großen Fragen und Widersprüche deutscher Geschichte in der historisch so aufgeladenen Region. Wenige Kilometer entfernt vom Hof betrieb das NS-Regime ein Konzentrationslager. Opa Wilhelm hat damals alles und doch nichts mitbekommen. Jannes entdeckt Familiengeheimnisse, die Jahrzehnte verborgen geblieben waren. Gleichzeitig ziehen völkische Siedler in die Nachbarschaft und Papa Friedrich freundet sich an. Die Neuen haben auch Angst vor dem Wolf, wollen sich wehren. Dabei gehört das Tier seit Jahrhunderten zu Deutschland – wie die Flüchtlinge, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die Region kamen und die es in den 2010er-Jahren, in denen das Buch spielt, wieder ins Land zieht. Das Raubtier als Metapher für Veränderung und Überforderung damit: Markus Thielemann verwebt all das zu einem Roman über eine Heimat, wie sie nie war – und wie sie sein könnte. Es scheint so leicht, die Kugel unter dem richtigen Hütchen zu finden und sein Geld zu vermehren. Doch wer das Spiel wagt, verliert. So geht es auch Thyl Osterholz. Schockiert stellt der Protagonist fest, „dass ich trotz des Wissens, dass es um Betrug ging, mich betrügen ließ“. Diese Anekdote wird zum Leitmotiv. Es geht ums Verführtwerden, Betrügen, Machtausüben – in der Wirtschaft, der Weltpolitik, im Privaten. Auch wenn der Titel „Das Institut“ an Justizthriller von John Grisham erinnert: Diese Erwartung löst Christian Haller nicht ein. Der Schweizer Buchpreisträger versprüht mehr Intellektualität, ist weniger Sensationsautor. Ausgangspunkt sind die 70er-Jahre und das Ende des Wirtschaftsbooms nach dem Zweiten Weltkrieg. Detailreich und teils mit metaphorischer Exzellenz lässt Haller seine Hauptfigur Thyl im Institut für Soziales als Aushilfe aufsteigen – zum Organisator des wichtigsten Jahrestreffens der Elite. Am mondänen Bergort muss er die besten Köpfe zusammenbringen, um die globale Wirtschaftskrise zu bewältigen. In der fein filtrierten Erzählung zeigt sich die Ambivalenz, Mächtige bekämpfen zu wollen und damit selbst mächtig zu werden. Aus der Verführung wird ein Rausch bis zur Ernüchterung. Am Ende steht die Frage: Wer ist in einer solchen Gesellschaft eigentlich der Betrogene? Jedem Neuanfang wohnt ein Zauber inne, schrieb einst Hermann Hesse. Jedem Fortschritt wohnt Verlust inne, beklagt nun Lin Hierse in ihrem zweiten Roman „Das Verschwinden der Welt“. Protagonistin Marta, Mitte 30, hat ihre Mutter gleich zwei Mal verloren: erst an Demenz, dann an den Tod. Der Umzug in eine andere Stadt soll einen Neuanfang ermöglichen. Außer Marta gibt es nur noch wenige Bewohner in dem baufälligen Gebäude: Herrn Yi, eine Dichterin und Lu. Schon bald beobachtet Marta, wie ältere Gebäude in der Nachbarschaft abgerissen werden. Als auch sie selbst einen Räumungsbescheid der Stadtverwaltung erhält, beschließt sie, für den Erhalt des Hauses zu kämpfen. Obwohl Hierses Roman eine Parabel auf Themen wie Klimakrise und Gentrifizierung ist, ist er nicht politisch. Im Zentrum steht das individuelle Erleben und Martas innerer Konflikt, Veränderung zu akzeptieren. Dabei ist die poetische Sprache zugleich die größte Stärke und Schwäche des Romans. So präzise Hierse auch die Zerrissenheit zu beschreiben vermag, ist es doch gerade die Schönheit ihrer Sprache, die inhaltliche Tiefe vermissen lässt. Wohlklingende Worte stehen brutalen Umwälzungen entgegen. Der zentrale Konflikt von Hierses Roman bleibt damit ungelöst. In „Zeitlang“ wiederholt sich die Geschichte, von König Ludwig II. bis zur Coronapandemie, und dabei bleibt eine Botschaft: Demagogen und Populisten waren in Deutschland nicht nur wegen Mitläufern erfolgreich, sondern weil es genügend Profiteure gab – wie die Männer der Familie Maurer. Im Mittelpunkt des Aufstieg-und-Fall-Wälzers steht ihr Betrieb, eine Fischerei samt Freibad an einem See unweit von München. Das lukrative Grundstück ist geerbt, genau wie die Verhaltensweisen, die über Generationen fortbestehen. Fischer Ludwig Maurer ist trotz aller Lügen ein glühender Verehrer des wirren Sonnenkönigs, sein Sohn Leonhard überlebt den Ersten Weltkrieg und schließt sich danach den Nazis an. Nach dem Zweiten Weltkrieg freuen sich die Maurers über Frieden und Wirtschaftswunder. Leonhards Tochter Anna erbt den Betrieb, sie zieht die Töchter Edith und Brigitte pazifistisch groß – doch nur eine Generation später rebelliert Ediths Sohn Benedikt: Er arbeitet als Social-Media-Stratege und verhilft einem neurechten Politiker zum Durchbruch. Konflikte und Hang zum Opportunismus überall. Statt nun endlich einmal über Schuld, Gerechtigkeit, Erblast zu sprechen und sich mit ihrer Geschichte auszusöhnen, zerstreiten sich die Maurers immer weiter. Die NAP hat Irland in einen totalitären Staat umgebaut. Sie lässt Kritiker einsperren und töten. Ein Bürgerkrieg bricht aus. Eilish Stack, Frau des inhaftierten Gewerkschafters Larry und Mutter von vier Kindern, bleibt in Dublin, obwohl sie zu ihrer Schwester nach Kanada hätte auswandern können. Sie hofft, dass ihr Mann freikommt, ihre Söhne – der eine kämpft im Untergrund, der andere sitzt im Gefängnis – zurückkehren und alles wird wie früher. Wem die Story zu sehr nach dystopischer Fiktion klingt, sollte nach Orbáns Ungarn oder zu Donald Trump in die USA blicken. Auch bei uns sind kurz vor der Bundestagswahl diejenigen erstarkt, die demokratische Prozesse aushöhlen wollen. Aufwachen und handeln, bevor es zu spät ist, appelliert Paul Lynch. Das Leben der Protagonistin Eilish lässt der Autor um die Frage kreisen, wie richtiges Handeln aussieht, während um einen herum alles zusammenbricht. Ist sie eine Heldin, weil sie bleibt, oder naiv, weil sie die Kinder der Eskalation aussetzt? Und zwangsläufig fragt sich der Leser irgendwann selbst: (Wann) hätte ich dieses Land verlassen? Zumindest Eilish wird die schwierige Antwort darauf abgenommen: Am Ende wird sie zur Flucht ins Ungewisse gezwungen. „Die Spielerin“ von Isabelle Lehn ist eine faszinierende Darstellung einer unscheinbaren Frau, die aus der niedersächsischen Provinz nach Zürich zieht, um dort als Investmentbankerin Karriere zu machen. Jenseits der Legalität investiert sie später als Buchhalterin der italienischen Mafia Millionen. Der Roman gibt Einblicke in die Abgründe der Finanzindustrie und zeigt die Strategie einer starken Frau, die das System durchschaut und für sich nutzt. „A.“ – ihren vollständigen Namen erfährt der Leser nicht – wird unterschätzt und arbeitet als Bankerin härter als ihre männlichen Kollegen. Sie nutzt ihre Unscheinbarkeit aus und weiß ihre Gegenüber zu manipulieren. Bei den großen Deals kommt sie zum Einsatz. Längst der Macht verfallen, neigt sich ihre Karriere in Zürich dem Ende zu. „A.“ kommt mit der Mafia ins Geschäft. In ihrem ausgeklügelten Kriminalroman entscheidet sich Lehn für einen sachlich-nüchternen Erzählstil. Statt ein Bild von „A.“ vorzugeben, beschreiben die Männer in ihrem Umfeld die Protagonistin. „A. hatte es vermutlich durchschaut, was die Sache umso reizvoller machte: Sie war eine Spielerin und hatte Spaß an der Sache“, heißt es über ein Bankgeschäft, das „A.“ im Auftrag der Mafia tätigt. Bei aller Faszination für die tragische Heldin bleibt sie aber vor allem eins: eine Betrügerin. Es hat einige Sachbücher zu dem Thema gegeben – die Mieles, Bahlsens, Quandts, sie alle haben so ihre Rolle im Nationalsozialismus aufgearbeitet. Nun legt Monika Zeiner mit „Villa Sternbald oder Die Unschärfe der Jahre“ einen Roman vor über eine fiktive Dynastie, eine fränkische Unternehmerfamilie, die mit Schulmöbeln – und ihren Verstrickungen in der Nazizeit – zu Reichtum gekommen ist. Nikolas Finck, Sohn des Schulmöbelfabrikanten, kommt aus Berlin zurück nach Hause. Der Großvater feiert seinen 103. Geburtstag. Dies ist Ausgangspunkt einer Reise in die Familienvergangenheit. Aus einem Wochenende wird ein Jahr. Niki, wie ihn alle nennen, zieht ins Dachgeschoss, sichtet Fotos, nähert sich so dem Gründer Ferdinand, dessen Sohn Jean, Großvater Henry, seinem eigenen Vater und Bruder. Und sich selbst. Er sieht den Urgroßvater im Ersten Weltkrieg brechen, den Großvater über den Zweiten Weltkrieg schweigen, hinterfragt den Erfolg der populärsten Schulbank der Firma und steht nun hier im Jahr 2014, wo Ereignisse kommen und gehen, Bilder verschwimmen – „als existierten alle abgebildeten Personen zugleich“. Die Anleihen an Thomas Mann wählt Zeiner bewusst, streut sie stetig, aber sensibel ein. Zeiner hat einen großen, tiefsinnigen, manchmal betrüblichen, aber oft humoristischen Roman geschrieben. Nach dem Tod ihrer Mutter flüchtet sich Durga in ein Arbeitsprojekt: Gemeinsam mit anderen Autoren soll sie das Drehbuch eines neuen Films nach einem Roman von Agatha Christie entwickeln, der möglichst kritisch, antirassistisch und feministisch sein soll. Darf Christies Detektiv Hercule Poirot etwa von einem Schwarzen gespielt werden? Das Pech der Autoren: Der Tod der Queen veranlasst die Briten, gegen den Film und die angebliche Auslöschung der britischen Kultur zu demonstrieren. Eine Botschaft aus dem Jenseits erreicht Durga – und löst eine unerwartete Reise in die Vergangenheit aus. Plötzlich findet sich die 50-Jährige im Jahr 1906 wieder, allerdings als junger indischer Mann. Damit wird „Antichristie“ auch zu einem Krimi im Stile von Christie. Mithu Sanyal ist es bereits mit ihrem Debüt „Identitti“ gelungen, das Denken ihrer Leserinnen und Leser über Identitätspolitik auf den Kopf zu stellen. In ihrem zweiten Roman fragt sie nach dem Kolonialismus und der Gewalt in uns allen. Erneut lässt die Autorin uns klug und aberwitzig darüber nachdenken, warum wir welche Überzeugungen haben – und deckt unverblümt unsere Doppelmoral auf. Nach der Lektüre ihrer Bücher ist es fast unmöglich, nicht mindestens einen seiner Glaubenssätze zu verändern. Caroline Peters, eine der bekanntesten deutschen Schauspielerinnen („Mord mit Aussicht“, „Der Vorname“, Wiener Burgtheater) hat ihr Debüt veröffentlicht. In „Ein anderes Leben“ geht es um Töchter, Väter, Nachkriegsdeutschland, Mittagessen-Zeremonien, aber vor allem: um die Mutter, Hanna. Peters’ Roman ist eine autofiktionale Erzählung über ihre eigene Mutter Johanne Peters, die Literaturwissenschaftlerin war. Literatur spielt auch im Buch eine große Rolle. Hanna zitiert russische Schriftsteller, sinniert über Jamben und Trochäen und das richtige Wort für eine Übersetzung. Die Flasche Sekt dazu steht sonntags neben dem Bett. Im Familienleben mit ihren drei Töchtern von drei Vätern erfüllt sie ihre Rolle jedoch oft nur mit Widerwillen. Unter dem Dach des Architektenhauses von Mann Nummer drei soll sie zwar eine moderne und intellektuelle Frau sein – aber doch bitte immer noch eine Mutter, die pünktlich das Essen auf den Tisch stellt. Aus diesem Kreislauf muss Hanna irgendwann unweigerlich ausbrechen – und „Ein anderes Leben“ beginnen. Peters erzählt in feiner Sprache von einer Boheme, die es so in Deutschland kaum noch gibt, und von den komplexen Beziehungen zwischen Müttern, Töchtern und Geschwistern. Das Genre des ungeschminkten aber klischeefreien Provinzromans hat in letzter Zeit eine Reihe junger Autorinnen zu faszinierenden Debutromanen gebracht. Johanna Seebauers Nincshof, das in Österreich spielt, ist sicher das leuchtendste Beispiel. Zumindest bis Sommer des Jahres gewesen. Denn da stieg Ruth Maria Thomas mit „Die schönste Version“ nicht nur ins Belletristik-Geschäft sondern auch in die Bestsellerlisten ein. Der poetische Titel steht dabei in einem gewissen Gegensatz zum Inhalt. Der zwar immer nahezu poetisch durchaus aber auch verstörend daherkommt. Was am Schauplatz des Geschehens und seinen Akteuren liegt. Dabei stellt die gefeierte Jungautorin sich einem Thema, das auf den vorderen Bestsellerplätzen zuletzt eher im Sachbuchsegment bespielt wurde: Das Nachwendeleben in den ostdeutschen Bundesländern. Wie fühlt es sich an, als junge Frau dort aufzuwachsen und eine Zukunft zu planen, wo eigentlich alle nur wegwollen? Thomas‘ Figur Jella erlebt in ihrer ersten Beziehung Gewalt und kehrt schließlich in ihr Elternhaus in der Lausitz zurück. Dort reflektiert sie eine Jugend geprägt von patriarchalen Strukturen, weiblicher Zurichtung, Gangsterrap, Glitzerlipgloss und dem ständigen Gefühl des Abgehängtsein. Mehr: Was passiert mit dem Gehirn, wenn man keine Bücher mehr liest? Ein Selbstversuch Erstpublikation: 12.12.2024, 15:52 Uhr.