Simon Sahner und Daniel Stähr: „Sprache schafft Realität und hat einen Einfluss darauf, wie wir leben“

Frankfurt. Wir schlafen, leben und sprechen kapitalistisch. Das sagen zumindest Simon Sahner, 35, und Daniel Stähr, 34, in ihrem Buch „Die Sprache des Kapitalismus“, für das sie den Leserpreis des Deutschen Wirtschaftsbuchpreises gewonnen haben. Eine überwältigende Mehrheit der Leserinnen und Leser hatte sich für ihr Werk entschieden. Am Freitag wurden Sahner und Stähr auf der Gala des Deutschen Wirtschaftsbuchpreises mit dem Sieg in dieser Kategorie überrascht.
Das Konzept zum Buch entstand nicht etwa am Schreibtisch: „Wir saßen zusammen in einem Biergarten in Berlin, als Daniel mit einer Idee ankam“, erzählte Sahner am Rande der Preisverleihung. Stähr hatte den Einfall, über die Sprache und das kapitalistische System zu schreiben. „Eine Woche später schickte mir Simon ein Google Docs mit der Überschrift ‚Pitch‘ zu“, berichtet Stähr.
Die Autoren, der eine Ökonom, der andere Literaturwissenschaftler, lernten sich vor sieben Jahren über die damals noch Twitter heißende Internetplattform kennen. Sahner war Mitbegründer des Onlinemagazins „54books“ und redigierte lange Zeit die Texte von Stähr. „Das ist eine Freundschaft, die dann zu diesem Buch führte“, sagt Stähr.
Im Interview erklären die Gewinner, warum unsere Sprache kapitalistisch ist und welches Ziel sie mit ihrem Buch verfolgen.
Sie sagen, wir alle sprechen die Sprache des Kapitalismus, ohne das überhaupt zu merken. Wie „spricht“ denn der Kapitalismus?
Sahner: Der Kapitalismus spricht vor allem sehr stark in Metaphern. Eine Finanzkrise ist immer sehr gerne ein Erdbeben oder ein Hurrikan. Was dadurch entsteht, ist eine gewisse Hilflosigkeit dem gegenüber, weil wir als Menschen nicht viel gegen ein Erdbeben und gegen einen Hurrikan machen können. Wir können nur versuchen, uns irgendwie davor in Sicherheit zu bringen. Wenn wir diese Sichtweise auf die Wirtschaft übertragen, dann nehmen wir uns selbst die Handlungsmacht weg. Das war unser Kernanliegen in diesem Buch. Die Sprache ist nicht der alleinige Weg zur Handlungsmacht, aber sie ist ein Anfang.

Sie schreiben: „Kapitalismus ist überall, wir arbeiten, schlafen, lieben und sprechen kapitalistisch.“ Wie liebt man denn kapitalistisch?
Stähr: In Beziehungen herrschen Geldfragen, und Beziehungen zerbrechen am Geld, weil eine Person mehr Geld in eine Beziehung bringt als eine andere. Das umgibt uns überall.
Wird die Welt wirklich gerechter, wenn wir weniger kapitalistisch sprechen?
Stähr: Ich muss eine meiner Lieblingsstudien zitieren. Es gibt im Englischen die Unterscheidung zwischen moralischer und finanzieller Schuld. Was im Deutschen ein Wort ist, ist im Englischen „guilt“ und „debt“. Ein Forscherteam aus Deutschland hat sich angeguckt, welchen Einfluss das Sprachsystem hat und ob ich Schuld sowohl als moralisches als auch als finanzielles Wort begreife, oder ob das zwei verschiedene Wörter sind. Wie beeinflusst das Sprachsystem die Wahrscheinlichkeit, dass ich einen Kredit aufnehme? Sie konnten zeigen, dass es einen Unterschied gibt. Und dass im englischen Sprachraum Menschen eher bereit sind, sich zu verschulden. Sprache schafft also Realität und hat einen Einfluss darauf, wie wir leben.
Was sind für Sie die drei wichtigsten Punkte, die wir schnellstmöglich in unserer Sprache ändern sollten?
Stähr: Die gibt es nicht. Es gibt auch nicht das eine Instrument, das man ändern könnte. Es geht darum, sich darüber ihm Klaren zu sein, was man sagt und was man damit auslöst. An uns sind sehr viele Menschen herangetreten, die das Buch gelesen haben, und nun anfangen, im Kopf zu stolpern, wenn sie Nachrichten lesen, Radio hören oder Fernsehen schauen. Wenn das passiert, haben wir genau das erreicht, was wir wollten.
Sahner: Wir wollen, dass Dinge so benannt werden, wie sie sind. Und dass wir genauer in der Sprache sind, weil wir in Zeiten leben, in denen wir uns diese Ungenauigkeit über die ökonomischen Zusammenhänge unseres Seins nicht mehr erlauben können.


Herr Sahner, Herr Stähr, vielen Dank für das Interview.
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