Mädchen in Pakistan: Erst zwangskonvertiert, dann versklavt

Jeevti, das Foto ist vom 1. Dezember 2016, war gerade einmal 14, als es geschah. Die junge Frau ist jetzt die Ehefrau eines islamischen Hausbesitzers in Pyaro Lundh, Pakistan. Die Familie schlief im Freien, um der brutalen Hitze der Nacht zu entgehen und am Morgen war sie verschwunden. Der Vermieter hatte sie entführt, um 1000 Dollar Schulden einzutreiben. Sie ist nur eines von 1000 christlichen oder hinduistischen Mädchen, die jedes Jahr aus ihren Familien verschwinden. Die meisten von ihnen enden, so wie Jeevti, als Zweit- oder Drittfrauen islamischer Männer, nachdem sie "freiwillig" zum Islam konvertierten. Viele enden auch in der Prostitution.
Karachi. Jeevti war erst 14 Jahre alt, als sie eines Nachts aus ihrem Elternhaus verschwand. Sie wurde mit einem Mann verheiratet, bei dem die Familie des pakistanischen Mädchens 100.000 Rupien (knapp 960 Euro) Schulden gehabt haben soll. Jeevtis Mutter Ameri Kashi Kohli sagt allerdings, dass sie und ihr Ehemann sich nur die Hälfte dieser Summe geliehen und diese auch längst zurückgezahlt hätten. Sie ist überzeugt davon, dass ihre Tochter nun den Preis zahlt für ein endloses Schuldverhältnis.
Die Geschichte der Kohlis folgt einem bekannten Muster in Pakistan: Kleine Kreditbeträge schießen in unrealistische Höhen, Rechnungen vervielfachen sich, Rückzahlungen werden nicht angerechnet. Frauen wie Ameri und ihre Tochter werden in dieser Welt wie Eigentum behandelt: um Schulden zu begleichen, Streitigkeiten beizulegen oder als Rache, wenn ein Grundbesitzer seine Arbeiter bestrafen möchte. Manchmal bieten sogar Eltern unter der Last erdrückender Schulden ihre Töchter als Zahlungsmittel an.
Viele Männer behandeln die jungen Frauen wie Trophäen. Sie suchen sich die hübschesten, jüngsten und gefügigsten unter ihnen aus. Manche nutzen sie als Zweitfrauen und Haushälterinnen aus, manche zwingen sie in die Prostitution. Und manchmal geht es auch einfach nur um Macht.
„Ich bin zur Polizei und vor Gericht gegangen“, sagt Ameri, eine gläubige Hindu. „Aber niemand hört auf uns.“ Der Gläubiger, ein Landbesitzer, habe ihre Tochter gezwungen, zum Islam zu konvertieren, und das Mädchen zur Zweitfrau genommen. „Sie haben uns gesagt: 'Ihre Tochter ist zum Islam konvertiert, und Sie können sie nicht zurückbekommen.'“
Damit gehört Jeevti zu mehr als zwei Millionen modernen Sklaven, die laut dem Global Slavery Index in Pakistan leben. Das Land ist eines der drei größten weltweit, in denen noch Menschen zur Arbeit auf Farmen, in Ziegelhütten oder Privathaushalten gezwungen werden. Immer wieder gibt es Fälle, in denen Arbeiter verprügelt oder in Ketten gelegt werden, damit sie nicht fliehen können.
„Sie haben keine Rechte, und ihre Frauen und Mädchen sind am schutzlosesten“, sagt Ghulam Hayder, dessen Organisation Green Rural Development sich für die Befreiung von Zwangsarbeitern in Pakistan einsetzt. Nach Schätzung der Organisation South Asia Partnership werden in dem südasiatischen Land jedes Jahr 1000 meist minderjährige und verarmte Mädchen aus christlichen und hinduistischen Familien verschleppt, zum Islam zwangskonvertiert und verheiratet.
Die Nacht, in der Jeevti verschwand, verbrachte ihre Familie aus der südlichen Provinz Sindh wegen extremer Sommerhitze im Freien. Am Morgen war der Schlafplatz des Mädchens leer. Niemand hatte etwas gehört, wie die Mutter sagt. Die Eltern wandten sich hilfesuchend an die Aktivistin Veero Kohli, die mit der Familie nicht verwandt ist.
Kohli wurde in Knechtschaft geboren. Seit der Flucht vor ihrem Besitzer im Jahr 1999 widmet sie sich dem Kampf gegen die mächtigen Grundbesitzer in Pakistan und verhalf seitdem Tausenden versklavten Familien zur Freiheit. Ihr Einsatz stößt bei vielen Männern in der jahrhundertealten patriarchalen Kultur auf Widerstand und Zorn. „Ich weiß, dass sie mich gerne umbringen würden, aber ich werde den Kampf zur Befreiung dieser Menschen niemals aufgeben“, sagt die Aktivistin.
Vor fünf Monaten suchte sie zusammen mit Ameri die Polizeiwache in der Stadt Piyaro Lundh auf, um Jeevti zu finden. Doch die Beamten sagten ihnen, das Mädchen habe die Familie freiwillig verlassen. „Ich habe ihnen gesagt: 'Lassen Sie mich mit ihr reden. Lassen Sie ihre Mutter mit ihr reden und sie fragen, ob sie freiwillig weggegangen ist'.“ Doch die Polizisten verweigerten die Bitte.
Stattdessen luden sie den Mann vor, der nach Angaben von Ameri ihre Tochter mitnahm. Hamid Brohi erschien alleine auf der Wache, ohne das Mädchen. „Er hat gesagt: 'Wie auch immer, sie ist die Bezahlung für 100.000 Rupien, die sie mir schulden',“ erklärte Kohli.
Nun kehrte Kohli erneut auf dieselbe Polizeistation zurück, wo der Beamte Aqueel Ahmed seinen Ärger über die Aktivistin kaum verhehlt, während er Dutzende Akten durchblättert. Schließlich zieht er eine eidesstaatliche Erklärung hervor. Darin versichert Jeevti, die nun als Fatima bezeichnet wird, sie sei freiwillig zum Islam konvertiert und habe Brohi aus ebenso freien Stücken geheiratet. Sie erklärte weiter, sie könne ihre Mutter nicht treffen, da sie nun Muslimin sei und ihre Familie Hindu.
Nach Angaben von Hindu-Aktivisten werden viele Mädchen von der Außenwelt isoliert, bis sie zur Konvertierung gezwungen und verheiratet werden. Danach sei es meist zu spät, um noch etwas dagegen zu unternehmen.

In Jeevtis Fall bringen unter Druck schließlich schwer bewaffnete Polizisten die Aktivistin Kohli und einen ausländischen Reporter zu dem Mädchen. Die Mutter wagte sich aus Angst vor der Polizei nicht mitzukommen. Brohi begrüßt die Polizisten mit einer Umarmung und bestreitet entgegen seiner früheren Aussagen, Jeevti als Ausgleich für die Schulden der Familie mitgenommen zu haben.
Das stark geschminkte Mädchen sitzt im Haus auf einer Matratze auf dem Boden und beteuert, sie sei die Ehe mit Brohi freiwillig eingegangen und habe die Heirat sogar selbst vorgeschlagen. Fatima wirkt zwar nicht ängstlich, lässt ihren Ehemann aber nicht aus den Augen.
Am nächsten Tag kehren die Besucher zurück – diesmal ohne Polizeieskorte. Auf dem Gelände halten sich nur Frauen auf, und keine von ihnen kennt eine Fatima. Der Raum, in dem das Mädchen am Vortag saß, ist mit einem Vorhängeschloss verriegelt.






