Biver glaubt fest an den Onlinehandel

„Die Zukunft unserer Uhren liegt klar im Netz.“

(Foto: Gian Marco Castelberg / 13 Photo)

Schweizer Uhrmacher Jean-Claude Biver „Wir verkaufen nicht nur Uhren, sondern Kunst, also eine Ahnung von Ewigkeit“

Dem Unternehmer wird nachgesagt, die gesamte Schweizer Uhrenindustrie gerettet zu haben. Im Interview spricht er über erfolgreiche Markenführung und sein fröhliches Hippietum.
17.03.2018 - 08:00 Uhr Kommentieren

Um die Bedeutung von Jean-Claude Biver für die Schweizer Uhrenindustrie zu verstehen, muss man ein bisschen zurückgehen – in die siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Damals kamen billige asiatische Quarzuhren auf und rissen die ebenso ehrwürdige wie verschlafene Branche an den Rand des Abgrunds. Teure „Swiss Made“-Mechanik schien plötzlich nichts mehr wert zu sein.

Auch Blancpain – 1735 gegründet und damit die älteste Uhrenmarke der Schweiz – musste den Betrieb in der Quarzkrise einstellen. 1982 kaufte der junge Biver mit seinem Freund Jacques Piguet die Markenrechte für 22.000 Schweizer Franken und begann, aus der Not eine Tugend zu machen: Er glaubte an komplexe mechanische Armbanduhren als Schmuckstück, Wertanlage und kunstvolles Objekt der Begierde – und hatte unglaublichen Erfolg damit. Keine zehn Jahre später verkaufte Biver Blancpain für 60 Millionen Franken an die Swatch Group, wo der zweite Retter der eidgenössischen Uhrenindustrie saß: Nicolas Hayek.

Während Hayek zunächst das Billigsegment mit der modischen Plastikuhr Swatch zurückeroberte, gab Biver den Luxusuhren-Machern den Glauben an ihr Handwerk zurück. So baute er – mal als Topangestellter, mal als Unternehmer – auch Omega um und später Hublot, dessen Umsatz er ebenfalls vervielfachte, bevor der französische Luxusgüterkonzern LVMH die Marke übernahm.

Seither gilt Biver in der Branche als geradezu magischer Regenmacher. Bei LVMH verantwortet er mittlerweile die komplette Uhrensparte. Dazu gehört neben Hublot auch Tag Heuer und Zenith.

Klar, dass der umtriebige Biver ständig zwischen den Firmenstandorten und seinem Haus bei Montreux hin und her pendelt. Über 300 Kilometer habe er da jeden Tag auf dem Tacho zwischen Le Locle (Zenith), La Chaux-de-Fonds (TAG Heuer) und Nyon, wo Hublot in zwei schwarzen Neubau-Monolithen am Stadtrand mit Blick auf den Genfer See residiert. Dort treffen wir ihn auch zum Gespräch.

Also los geht’s … Zeit ist Geld. Und über Geld spricht man eigentlich nicht in der verschwiegenen Zunft. Wer wüsste das besser als der 68-Jährige? Versuchen wir mal, eine Ausnahme zu machen.

Monsieur Biver, bald startet in Basel wieder die weltgrößte Uhrenmesse, auf der auch Sie mit Ihren drei Marken vertreten sein werden. Viele Unternehmen treiben dort einen unglaublichen Aufwand mit Ständen, die eher Schlössern ähneln. Was kostet so ein Auftritt?
Drei bis fünf Millionen Schweizer Franken müssen Sie dafür veranschlagen. Geht nicht anders. Es muss einfach gut aussehen.

Und das lohnt sich? Immerhin heißt es, dass dieses Jahr erneut weniger Aussteller zur Baselworld kommen wegen der Absatzkrise der vergangenen beiden Jahre.
Das mit dem Ausstellerschwund stimmt und stimmt auch nicht. Viele kleinere Anbieter können sich die Reise nach Basel aktuell nicht mehr leisten. Aber die Hauptmarken und damit sicher 75 Prozent des Umsatzes bleiben Basel treu: von Rolex bis Patek Philippe und von der Swatch Group bis Chopard.

Wie geht es Ihrer Branche generell?
Wieder besser. Und der Aufschwung hat gerade erst begonnen.

Was macht Sie so sicher?
Luxus, also das Geschäft mit teils irrationalen, weil sehr emotionalen Gütern, hängt sehr stark von der Einkaufslaune unserer Kunden ab. Die wiederum ist natürlich an die wirtschaftliche Entwicklung ihrer eigenen Heimatländer, aber auch der Weltwirtschaft geknüpft. Und all diese Stimmungsfaktoren entwickeln sich gerade nach oben. Die Konjunktur in den USA zum Beispiel brummt wieder, ebenso in Japan und Europa. Selbst in Frankreich gehen die Arbeitslosenzahlen zurück. Ich bin also sehr optimistisch für 2018 und darüber hinaus.

Die jüngste Uhren-Krise brach auch deshalb aus, weil die chinesische Regierung verstärkt gegen Korruption vorgehen wollte – und teure Uhren bis dahin in China beliebte „Geschenke“ waren.
Tatsächlich brach das Geschäft ab 2015 teils dramatisch ein. Über 35 Prozent der gesamten Umsätze verdankt meine Branche den Chinesen. Die kauften all die Uhren ja nicht nur zu Hause, sondern gern auch im Urlaub oder auf Geschäftsreisen. Wenn also die Lokomotive abstürzt, reißt sie den ganzen Zug der Luxusgüter-Industrie mit sich. Diese Krise erlebte übrigens auch das Modegeschäft. Jetzt aber kehren die Chinesen zurück, weil ihre Wirtschaft boomt und sie mehr denn je Spaß haben an unseren Produkten. Wir verkaufen ja nicht nur Uhren …

… sondern?
Kunst, also eine Ahnung von Ewigkeit.

Wagen Sie eine Prognose, wie weit sich diese Kunst monetarisieren lässt?
Die Uhrenindustrie wird dieses Jahr zwischen fünf und sieben Prozent wachsen.

Und Ihre eigenen Marken …
… sollen dann natürlich mindestens um zehn Prozent zulegen. Klar, oder? So viel Ehrgeiz habe ich schon. Sonst gewinne ich ja keine Marktanteile.

„Wir verkaufen nicht nur Uhren, sondern Kunst, also eine Ahnung von Ewigkeit.“ Quelle: Gian Marco Castelberg / 13 Photo
Jean-Claude Biver

„Wir verkaufen nicht nur Uhren, sondern Kunst, also eine Ahnung von Ewigkeit.“

(Foto: Gian Marco Castelberg / 13 Photo)

Verraten Sie uns das Rezept, aus jeder Uhrenmarke einen Erfolg zu machen?
Es gibt mehrere wichtige Zutaten. Man muss das Glück haben, dass alle Faktoren am Ende auch zusammenpassen. Das Allerwichtigste ist, dass man die Geschichte und Botschaft, also die DNA einer Marke, richtig versteht und dann konsequent erklärt.

Ein Beispiel bitte!
Die Botschaft der noch jungen Marke Hublot war Fusion.

Also Dinge verheiraten, die auf den ersten Blick nicht zusammengehören?
Genau: Tradition und Hightech, Karbon und Gold, modern und alt. Nicht Harmonie, sondern Gegensätze erzeugen hier Spannungen und Stärke. Was aber auch zu jeder erfolgreichen Sanierung gehört: die früheren Fehler eines Unternehmens. Man kann sich als neuer Chef nicht hinstellen und sagen: „Das war ich nicht, damit hab ich nichts zu tun.“ Wenn ich das Erbe meines Vaters antrete, sind darin vielleicht auch noch Schulden versteckt, für die ich geradezustehen habe. Nur diese Ehrlichkeit schafft Glaubwürdigkeit nach außen wie nach innen.

Wieso hilft das intern?
Sie brauchen die Unterstützung der Belegschaft. Menschen sind wie Spiegel: Sie geben Ihnen das zurück, was Sie selbst anbieten. Man muss offen auf Leute zugehen: Mitarbeiter, Journalisten, Kunden. So habe ich bei Zenith einfach mal via Internet die Öffentlichkeit gefragt: Was sollen wir tun? Ich wusste es nämlich selbst nicht so genau, als ich dort mit den Aufräumarbeiten begann. Da kamen Hunderte von Mails zurück mit einigen durchaus hilfreichen Ideen.

Wirkt alles wahnsinnig harmonisch.
Sollte es auch sein. Mit einer Ausnahme: Wenn Sie eine Marke übernehmen, müssen Sie schnell herausfinden, wer künftig im Team mitspielen kann und will – und wer nicht. Von denen, die das nicht schaffen, sollte man sich schnell trennen. Und die Nachfolger sollten Sie nach Möglichkeit nicht irgendwo in einer anderen Firma suchen, sondern in der eigenen.

Warum ist das so wichtig?
Sie müssen Ihren Leuten, die ja eh die meiste Ahnung von ihrer Arbeit haben, zeigen, dass sie eine Chance haben, nach oben aufzurücken. Das schafft eine ganz neue Dynamik.

Der Unternehmer  wurde 1949 in Luxemburg geboren, wuchs aber in der Schweiz auf, wo er nach der Schule auch Betriebswirtschaft studierte. Im Vallée de Joux lernte er den Uhrmacher Jacques Piguet kennen. Gemeinsam übernahmen sie 1982 die Rechte an der längst verblassten Marke Blancpain, die sie zu neuer Blüte führten. Später war Biver mal selbstständig, mal für Konzerne wie Swatch Group oder LVMH tätig. In der Haute Horlogerie gilt der 68-Jährige längst als echter „Regenmacher“. Quelle: Gian Marco Castelberg / 13 Photo
Jean-Claude Biver

Der Unternehmer wurde 1949 in Luxemburg geboren, wuchs aber in der Schweiz auf, wo er nach der Schule auch Betriebswirtschaft studierte. Im Vallée de Joux lernte er den Uhrmacher Jacques Piguet kennen. Gemeinsam übernahmen sie 1982 die Rechte an der längst verblassten Marke Blancpain, die sie zu neuer Blüte führten. Später war Biver mal selbstständig, mal für Konzerne wie Swatch Group oder LVMH tätig. In der Haute Horlogerie gilt der 68-Jährige längst als echter „Regenmacher“.

(Foto: Gian Marco Castelberg / 13 Photo)

Klingt wie Machiavelli für Uhrmacher. Gibt es eine Umsatzgrenze, unter die eine Uhrenmarke nie rutschen sollte?
Nein, auch kleine Firmen können rentabel arbeiten. Wichtiger ist die Grenze nach oben. Bei Hublot zum Beispiel bremsen wir das Wachstum aktuell sogar, weil wir Angst haben, mit der Produktion nicht mehr nachzukommen. Wir machen da heute in einem Monat mehr Umsatz als in den beiden kompletten Jahren 2004 und 2005. Das muss verdaut und konsolidiert werden. Es ist ein Wahnsinn … aber ein wunderbarer!

Wie hart ist die Konkurrenz zwischen den Uhrenfirmen?
Ach, für Konkurrenzkämpfe haben wir gar keine Zeit. Jeder von uns hat ja genug in den eigenen Firmen zu tun. Da müssen wir uns nicht noch um die anderen kümmern.

Trotzdem haben Sie auch für den Konkurrenten Breitling geboten, als der zum Verkauf stand. Wie viel?
Das kann ich nicht mal Ihnen sagen. Aber wir haben einen fairen Preis aufgerufen, auch wenn es gar nicht so leicht gewesen wäre, Breitling dann zwischen TAG Heuer und Zenith zu etablieren.

Am Ende schnappte der Private-Equity-Fonds CVC Ihnen das Unternehmen vor der Nase weg – für angeblich rund 850 Millionen Schweizer Franken. Sind Risikokapitalgeber die Zukunft der doch so traditionellen Uhrenbranche?
Von Zeit zu Zeit kann Private Equity für einzelne Firmen die richtige Lösung sein. Für die ganze Industrie wird das sicher nie der Fall sein. Dazu sind die Kulturen und Strategien doch viel zu unterschiedlich.

Der frühere Breitling-Eigentümer Theodore Schneider wird nicht so begeistert davon sein, was aus seiner Marke wird: Die CVC-Profis wollen die Renditen erhöhen und die Kosten drücken. Dazu haben sie den konzernerfahrenen Georges Kern bei Richemont abgeworben und als CEO installiert.
Schneider hätte ja nicht verkaufen müssen. Nicht umsonst heißt es: Take the money and run!

Auch online soll Breitling künftig mehr Umsatz machen. Wann werden die digitalen Vertriebswege für Ihre Branche endlich wichtig?
Die Zukunft unserer Uhren liegt klar im Netz. Heute verkaufen die meisten Marken zwischen drei und zehn Prozent online. Ich wage die Prognose, dass es in fünf Jahren schon 20, 30 Prozent sein werden. Die älteren Herrschaften der Branche in Europa haben das noch immer nicht verstanden. Aber die jüngeren Kunden und obendrein riesige Märkte wie China oder Indien zeigen ihnen allmählich, wohin die Reise geht.

Es heißt dann gern von Ihren Kollegen, Uhren seien ein viel zu emotionales Produkt fürs nüchterne Internet.
Dazu kann ich Ihnen eine nette Geschichte erzählen: Eine chinesische Onlineplattform hat am 11. November ...

… dem chinesischen Kaufrausch-Tag „Singlesʼ Day“ …
… 100 Lamborghinis zu je 300.000 Dollar verkauft – innerhalb weniger Minuten. Klick und weg! Man kann ja wohl kaum sagen, dass hier keine Emotionen bei den Käufern im Spiel waren oder keine Begehrlichkeiten geschaffen wurden. Und so wird in der Zukunft eingekauft werden.

Schnell und ohne großes Gelaber?
Meine Generation dürfte die letzte sein, die etwa beim Kauf eines Autos noch unbedingt die Ledersitze testen oder am Außenspiegel spielen will. Aber das haben noch längst nicht alle meine Schweizer Kollegen verstanden.

Wie ist es um die deutsche Uhrenindustrie bestellt?
Sehr gut. In Glashütte sind – teils unter dem Dach der großen Konzerne, teils unabhängig – wieder etliche Marken von Weltruf zu Hause. Man spürt die deutsche Mentalität im besten Sinne, für die es durchaus einen internationalen Markt gibt. Das Understatement, die Technikliebe, das Weniger-ist-mehr – etwa bei Nomos.

„Ein Wahnsinn ... aber ein wunderbarer!“ Quelle: Gian Marco Castelberg / 13 Photo
Bivers neue Hublot-Preziosen

„Ein Wahnsinn ... aber ein wunderbarer!“

(Foto: Gian Marco Castelberg / 13 Photo)

Eine sehr offensive Marke wie Ihre Hublot wäre in Deutschland wohl nie erfunden worden, oder?
Wohl kaum. Obwohl wir bei Ihnen sogar mehr verkaufen als in Frankreich oder Italien.

Es gibt Uhren, die gern von Rappern und Halbweltgrößen zur Schau gestellt werden. Würden Sie sich Ihre Kunden manchmal gern aussuchen?
Das fände ich sehr elitär und arrogant. Klar, wenn Sie plötzlich 90 Prozent Ihrer Umsätze mit dem Underground machen, läuft vielleicht was falsch. Aber es ist doch schön, wenn vom Vorstandschef bis zum Musikstar alle meine Uhren wollen. Ist doch toll, wenn ich in meinem Kundenkreis letztlich die ganze Gesellschaft abbilde. Und Sie dürfen nicht vergessen, welchen Einfluss gerade Musiker oder Sportler heute auf den Nachwuchs haben. Mein jüngster Sohn ist 17 und sagte mir gerade erst: „Papa, ihr braucht mehr Rapper als ‚Markenbotschafter‘!“

Welche Ihrer Marken gönnt sich die meisten prominenten Werbeträger?
TAG Heuer. Da sind es acht bis zehn.

Warum so viele?
Das hat einen einfachen Grund: Wir haben zunehmend Schwierigkeiten, den einen Star zu finden, der wirklich global bekannt sind.

TAG Heuer wirbt unter anderem mit dem britischen It-Girl Cara Delevingne …
… die vielleicht in Mumbai oder Schanghai schon relativ wenig bekannt ist, wenn wir ehrlich sind. Cindy Crawford oder George Clooney sind fast weltweit bekannt – aber schon bei anderen Marken unter Vertrag. Also müssen wir mit eher regionalen Stars arbeiten.

Kann man errechnen, was so eine Partnerschaft an Umsatz bringt?
Nein, am Ende sind das sehr weiche Faktoren. Man merkt allenfalls, ob er oder sie die Bekanntheit der Marke erhöht. Aber was dabei auch gern unterschätzt wird: Der „Botschafter“ muss die Marke lieben. Die Menschen merken nämlich, ob jemand eine Uhr nur trägt, weil er dafür Geld bekommt. Am schlimmsten sind Stars, die bei jeder Viertelstunde mehr auf ihre Verträge pochen und sagen: „Aber das Schminken gehört schon zu meinem Auftritt.“ Mit solchen Leuten kann ich nicht arbeiten – Weltruhm hin oder her.

Stimmt es, dass Sie auch Product  Placement erfunden haben?
Sagen wir mal, dass ich es zu einer gewissen Blüte entwickelt habe.

Mit James Bond?
Mit James Bond für Omega, ja. Vor uns hat man eine Marke vielleicht mal in einem Film kurz aufblitzen sehen. Das hilft aber niemandem. Wer schaut James Bond aufs Handgelenk? Also haben wir angefangen, diese Partnerschaft wirklich radikal auszuschlachten, indem wir schon ein halbes Jahr vor dem Filmstart damit – und ja auch dafür – geworben haben. Eine Bond-Uhren-Sonderedition ist da noch der kleinste Kostenfaktor. Von Anfang an habe ich zu den Bond-Produzenten gesagt: „Ich will keine 60.000 für ein bisschen Product-Placement bezahlen, sondern viel mehr – aber dann auch für breite Rechte.“

Wie lange laufen solche Verträge?
Mindestens fünf Jahre. Für Hublot haben wir uns im Fußballbereich bis zur WM 2022 in Katar mit der Fifa committet. Solche Engagements muss man längerfristig denken.

Wie viel muss eine Uhrenmarke für Marketing generell ausgeben?
Wenn das Unternehmen unter einer Milliarde Umsatz liegt, würde ich sagen: 15 bis 20 Prozent. Darüber kann es auch ein kleinerer Anteil sein.

Wie hat sich das Luxusgeschäft generell verändert – Industrie und Kundschaft?
Früher war Luxus etwas sehr Braves … Gold, Krokoleder, Perlen, klassisches Auftreten. Heute orientiert sich der Luxus viel mehr an der Straße – und wurde dabei disruptiver, härter, frecher. Luxus ist auch jünger geworden. Vermögende in Asien zum Beispiel wollen nicht mehr die Produkte ihrer Eltern, sondern ihr eigenes Ding. So gehört auch Sport heute zum Luxus-Business. Auch Boxen oder Fußball.

Aktuelle Modelle der von Biver verantworteten Marken TAG Heuer und Zenith. Quelle: Gian Marco Castelberg / 13 Photo
Schweizer Präzision

Aktuelle Modelle der von Biver verantworteten Marken TAG Heuer und Zenith.

(Foto: Gian Marco Castelberg / 13 Photo)

Welche Uhren trägt eigentlich die nachwachsende Generation der Millennials?
Leider immer öfter gar keine mehr.

Wie bitte?
In den achtziger Jahren hatte jeder Zwölfjährige eine Swatch oder Flik Flak am Handgelenk. Nur so kann ich es schaffen, dass die Kids später auch was Kostbareres kaufen. Die entscheidendste Frage unserer Industrie wird deshalb sein: Wie schaffen wir das heute wieder, Menschen früh für unsere Produkte zu begeistern? Selbst bei TAG Heuer ist das Durchschnittsalter weit höher, als man denkt angesichts des sportlichen Images der Marke.

Stimmt es, dass Sie jede Woche Tausende von Schweizer Franken ausgeben, um Ihre eigenen Firmen mit Blumen auszustatten?
Ja, weil Farben Hoffnung bedeuten, Hoffnung Optimismus schafft und der wiederum die Freude am Arbeiten fördert. Warum soll ich nur meiner Frau Blumen schenken?

Sie haben sich immer als Spross der Flower-Power-Bewegung gesehen und in der Schulzeit sogar mal einen Streik organisiert. Ein echter Rebell!
Das hat mir allerdings die Augen geöffnet, denn deswegen musste ich ein ganzes Schuljahr wiederholen. Da habe ich auch gelernt, dass einen Niederlagen viel weiter bringen als manche Erfolge, die einen nur selbstzufrieden werden lassen. Niederlagen machen nachdenklich.

Was lernten Sie?
Dass ich einen Plan brauche für mein Leben.

Wie viel Anarchie steckt noch in Ihnen?
Das war ja bei uns eher Romantik und „All you need is love“. Dem fühle ich mich bis heute verbunden – der Liebe zur Natur, zu den Menschen, zu meiner Arbeit. Im Herzen bin ich immer ein Hippie geblieben, auch wenn Sie sich meine langen Haare heute vielleicht nicht mehr vorstellen können.

Ihre Dynamik steckt an. In Deutschland und Europa wirken dagegen viele so erschöpft, müde, kraftlos. Auch Ihr Eindruck?
Da sind wir ein schlechtes Beispiel für den Rest der Welt – und deshalb kein Vorbild mehr. Schauen Sie sich China an, wie dynamisch in Asien alles ist! Und wir müssen übrigens auch stärker lernen zu teilen. Je mehr wir teilen, umso weniger Flüchtlinge werden hier ankommen.

Wieso das denn?
Wenn wir die armen Länder stärker unterstützen, gibt es weniger Gründe, von dort zu fliehen. Aber was machen wir? Kämpfen für die 28-Stunden-Woche. Das ist doch kein Vorbild!

Wo stehen Sie selbst politisch heute?
Rechts und links zugleich.

Aha!
Ich habe zum Beispiel die Partei von Emmanuel Macron unterstützt, obwohl ich als Luxemburger, der in der Schweiz lebt, in Frankreich nur ein Ferienhaus habe. Aber Macron ist für mich die Zukunft der Politik: Er sammelt Ideen und führt sein Land fast wie eine Firma. Heute muss man Ideen verkaufen, nicht Parteien, die für mich nur noch für Erstarrung und Gestrigkeit stehen. Ich finde zum Beispiel, dass es nicht die Aufgabe des Staates, sondern von uns Unternehmen ist, Kindergärten zu bauen, wenn wir die Frauen als Arbeitskräfte gewinnen wollen. Das dürfte eine eher linke Position sein.

Und wo sind Sie rechts?
Bei Steuerfragen. Hahaha!

Ihr eigenes Vermögen wird nach manchen Quellen auf eine Viertelmilliarde Schweizer Franken geschätzt. Was haben Sie zuletzt gewählt?
Keine Ahnung. In der Schweiz wird ja dauernd irgendwas gewählt. Meistens überlasse ich es meiner Frau, online irgendwo ein Kreuz für mich zu machen.

Sie waren in Ihrem Leben mal Unternehmer, mal Angestellter – bei der Swatch Group wie jetzt bei LVMH. Was sind die Vorteile solcher Konzerne?
Da dürfen Sie mich nicht fragen, weil ich mich nicht als Angestellter, sondern als Berater verstehe. Das war bei Nicolas Hayek so, bei dem ich mithelfen sollte, Omega zur Luxusmarke aufzubauen. Und das ist heute bei LVMH so, wo es generell nicht allzu viel Erfahrung mit dem Uhrengeschäft generell gibt.

Ihr Vertrag mit den Franzosen läuft bis zu Ihrem 70. Geburtstag. Was kommt dann? Wollen Sie im Alleingang noch mal eine Uhrenmarke sanieren?
Ich möchte mit 75 aufhören. LVMH ist meine Endstation.

Monsieur Biver, vielen Dank für das Interview.

Dieser Text ist entnommen aus dem Handelsblatt Magazin N°2/2018. Das komplette Handelsblatt Magazin als PDF downloaden – oder gedruckt mit dem Handelsblatt vom 16. März 2018 am Kiosk erwerben.

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