Musik auf Vinyl: Die Rückkehr der Schallplatte

Die gute alte Schallplatte aus Vinyl begeistert auch junge Leute. Sie ist zum neuesten Lifestyle-Accessoire geworden.
Lodenice. Die Schallplatte lebt. Wer es nicht glauben will, muss nur einen Blick hinter die Werks-Tore einer kleinen Fabrik bei Prag werfen. Bei einem der größten Hersteller der runden Scheiben weltweit stehen die Maschinen seit fünf Jahren nicht mehr still. „Wir produzieren 24 Stunden täglich, 360 Tage im Jahr“, sagt GZ-Media-Verkaufsdirektor Michal Nemec stolz.
Der typische leichte Plastik-Geruch der Vinyl-Scheibe liegt in der Luft. Arbeiterinnen stehen konzentriert an Dutzenden großen Pressmaschinen. Mit flinker Hand legen sie die beiden Etiketten auf beide Seiten eines kleinen „Kuchens“ aus Kunststoff-Material. Das kleine Päckchen kommt zwischen die Pressmatrizen. Den Rest erledigt ein enormer Druck von 150 Tonnen - fertig ist die Schallplatte.
Dass in dem kleinen Dorf Lodenice überhaupt noch Schallplatten hergestellt werden können, hat auch etwas mit dem Geiz der Fabrikbesitzer zu tun. „Die CD hätte fast den Tod der Schallplatte bedeutet“, sagt Nemec. Doch die Besitzer ließen die alten Maschinen nicht etwa verschrotten. „Es war für sie ein Wert, um den es schade gewesen wäre“, erzählt er. Als dann der Vinyl-Boom begann, riss er die Pressen aus ihrem Märchenschlaf.
Dass die Schallplatte zum neuesten Lifestyle-Accessoire wurde, hat hier alle überrascht. Nemec erklärt sich das Phänomen so: „Immer mehr Menschen suchen einen natürlichen Lebensstil, sie wollen das Leben besser genießen.“ Manche würden wieder selbst kochen. „Und ein Teil der Leute will, wenn sie Musik hören, mehr Gefühl damit verbinden“, sagt er.
Das fange schon bei der Verpackung an, die viel aufwendiger sei als zu den Hochzeiten des Mediums. Auch die Platte selbst ist längst nicht mehr nur rußgeschwärzt. Es gibt sie in allen Farben des Regenbogens oder bunt gesprenkelt.

Dass Geschmack eigentlich gar keine Geschmackssache ist, hat der französische Soziologe Pierre Bourdieu schon 1979 herausgefunden. Er stellte in „Die feinen Unterschiede“ den Zusammenhang von Geschmack und sozialer Herkunft her. Aber sagen die Bands in unserer Playlist auch etwas über unsere Intelligenz aus? Das hat sich der amerikanische Softwareprogrammierer Virgil Griffith gefragt. Auf seiner Internetseite „musicthatmakesyoudumb“ wertet er aus, welche Songs auf den Facebook-Seiten amerikanischer Colleges am meisten Zuspruch bekommen und welche Ergebnisse die Studenten der Colleges bei ihrer Aufnahmeprüfung erreicht haben. Damit will Griffith das Wissen und den Bildungsstand der Studenten bemessen.

Wir haben die Ergebnisse mit einem leichten Augenzwinkern zusammengefasst. Denn auch Griffith ist klar: Aus den Facebook-Favoriten-Songs der Colleges und dem Wissensstand der Studenten kann er keine sicheren Zusammenhänge ableiten, geschweige denn Kausalitäten. Ein Überblick darüber, was die Bildungselite hört, und was die Hänger.

Platz 133 – Lil Wayne
Er hat allen Grund, trübe drein zu blicken: Die Songs des US-Künstlers Lil Wayne hören – folgt man Griffith Ranking – nur Studenten mit geringem Wissensstand. Er landet auf dem letzten Platz in dem Ranking, da an den Colleges mit vielen Lil Wayne-Fans die Studenten bei dem standardisierten Aufnahmetests im Schnitt nur auf 889 von 1600 möglichen Punkten kommen.

Platz 129 – Beyoncé
Sie erreicht mit ihrer Energie und Stimmgewalt offenbar auch eher keine Intelligenzbestien: Die Studenten, die US-Künstlerin Beyoncé Knowles-Carter anhimmeln, erreichen bei den Aufnahmetests im Schnitt nur 932 Punkte. Der so genannte SAT-Test umfasst fast vier Stunden, in denen die angehenden Studenten Mathematikaufgaben lösen, Textverständnis zeigen und einen kritischen Essay schreiben müssen.

Platz 119 - Justin Timberlake
Auch er schneidet nicht besonders gut ab: Während Justin Timberlake sich häufig als gerissener Geschäftsmann und Musiker mit Stil beweist, hören seine Musik offenbar nicht die leistungsfähigsten jungen Amerikaner. Unter den 1352 Colleges, die Griffith in seine Auswertung einbezogen hat, hören vor allem dort Studenten seine Musik, die nur 989 SAT-Punkte im Durchschnitt erreichen. Das wird Timberlake nicht weiter stören, schließlich ist er mit mehr als 50 Millionen verkauften Platten äußerst erfolgreich und wurde vom Forbes-Magazin damit geadelt, dass sie aus seinem Vorgehen sieben Empfehlungen für Erfolg ableiten.

Platz 112 – Nickelback
Chad Kroeger setzt mit seiner Band Nickelback auf krachenden Rocksound. Während an den Hochschulen mit den gebildetsten Studenten – dazu zählen laut der SAT-Rankings das California Institute of Technology, das Franklin Olin College in Needham, Yale, Haward und die Princeton University – auch viele Studenten Rock hören, kann die Musik von Nickelback da nicht mitspielen. Stattdessen hören vor allem an Colleges mit geringem Aufnahmeniveau viele Studierende Songs wie „Somehow“ und „How you Remind me“.

Platz 88 – The Doors
Er war der kreative und intellektuelle Kopf der Band The Doors, die in den 60er Jahren mit ihren oft mystischen Songtexten und eingängigen Rocksound die Massen begeisterte: Jim Morrison. An der University of California dürfte die Musik der US-Band auch deshalb so viele Fans haben, weil Morrison dort vor dem Start der Band Filmwissenschaften studierte. Alles in allem spricht die Musik der Doors jedoch vor allem junge Menschen an Universitäten an, die eher mittelmäßige Aufnahmeergebnisse haben. Die Anwärter erreichen im Schnitt 1033 SAT-Punkte.

Platz 73 – Queen
Dass ihre Songs voller Wortwitz, Gesellschaftskritik und musikalischer Raffinesse stecken, ist wohl unter Musikkritikern unstrittig: Queen und insbesondere Freddie Mercury inspirierten ganze Generationen, ihre Rechte einzufordern und Bedürfnisse offen zu formulieren. Dennoch landet Queen in Griffith Analyse nur im Mittelfeld. Die Studierenden, die laut der Bandvorlieben auf Facebook auf „Bohemian Rapsody“ und „We will Rock you“ stehen, legten mit durchschnittlich 1055 Punkten bei SAT keine so genialen Leistungen hin wie Mercury.

Platz 66 – Johnny Cash
„Walking the Line“ – das Prinzip gilt auch für die amerikanische Uni-Anwärter mit Johnny Cash-Faible. Sie schneiden mit 1064 SAT-Punkten weder extrem gut, noch miserabel ab, sondern bewegen sich im Mittelfeld.

Platz 47 – ACDC
Sie scheinen auf der Bühne nicht gerade auf Stil oder besonderen intellektuellen Anspruch zu setzen: Die britische Altrocker ACDC, hier bei einem Gig 2003 in München, wollen einfach nur Spaß haben. Dennoch sprechen sie laut dem Ranking eher Studierende mit höherem Wissensstand und besseren Lernergebnissen an: Sie schnitten mit durchschnittlich 1091 Punkten beim SAT-Test ab.

Platz 34 – Oasis
Smarte Typen, smarter Rock, smarte Fans? Oasis, die 1991 in Manchester geformte Kombo rund um die Leadsänger Noel und Liam Gallagher, sprechen viele Studierende an, die in den SAT-Tests mit 1104 Punkten an ihren jeweiligen Universitäten gut abgeschnitten haben.

Platz 33 – Bob Marley
Reggaeton und Jamaicafeeling als Begleiter beim Lernen und Abspeichern von Wissen? Dass Bob Marley, der unangefochtene King des Reggae, von vielen leistungsstarken Studenten mit SAT-Schnitt von 1105 gehört wird, überrascht nicht, ruft man sich noch einmal seine hochpolitischen Botschaften in Erinnerung. Mit „Blackman Redemption“ rief er etwa dazu auf, die „Real Situation“ wahrzunehmen: Dass Schwarze noch immer nicht überall gleichberechtigt sind und unter Nachteilen zu leiden haben.

Platz 16 – The Beatles
Bei ihnen ging es weniger um politische Botschaften, denn um eine musikalischen Befreiungsschlag vom Staub der prüden 50er Jahre: The Beatles landen in Griffiths Ranking auf einem der vordersten Ränge. An den Hochschulen, wo ihre Musik gern gehört wird, stiegen die Studierenden im Schnitt mit 1144 Punkten bei der Aufnahmeprüfung ein. Was die Herzensstürmer zusätzlich adelt: An vier der Top Fünf der Hochschulen mit den höchsten SAT-Durchschnitten hörten die Studierenden besonders gern The Beatles.

Platz 8 – Bob Dylan
Er dürfte die Studierenden mit seinen gesellschaftskritischen Texten catchen, auch wenn diese schon etwas älter sind: Bob Dylans zeitlose Musik zieht besonders viele junge Leute mit hohem Wissenstand an, wo er unter den Lieblingskünstlern rangierte, schnitten die Studierenden im Schnitt mit 1197 Punkten bei den Aufnahmetests ab.

Platz 7 - U2
Bei ihnen dürfte es nicht bloß die Musik sein, die junge Leute bewegt. Stattdessen gelten die irischen Jungs von U2 um Bono als Gesamtkunstwerk, inklusive ihres unbefangenen Styles und ihres gesellschaftlichen Engagements, etwa bei Live Aid 1985. Studierende, die besonders gern U2 hören, schnitten bei den Aufnahmetests mit durchschnittlich 1211 Punkten ab.

Platz 5 – Radiohead
Thom Yorke gründete seine erste Band aus der Not heraus: Wegen eines Augenleidens fand er keine Freunde. Später waren die musikalischen Projekte und die Arbeit des Briten alles andere als ein Notkonstrukt. Mit Radiohead formte er eine der proaktivsten Rockbands der 90er Jahre. Viele junge Menschen auf der ganzen Welt verehren Radiohead und ihre Songs wie etwa „Creep“, in denen auch später noch etwas von der verletzten Melancholie aus Yorkes Kinderzeit mitschwang. In den USA hören möglicherweise besonders gebildete Hochschulanwärter die Musik der Engländer, die Universitäten mit vielen Radiohead-Fans hatten Aufnahmetests mit im Schnitt 1220 SAT-Punkten.

Platz 1 – Beethoven
Er ist die unangefochtene Nummer eins: Ludwig van Beethoven, der wohl einflussreichste Komponist und Pianist im Umbruch zwischen Klassik und Romantik, begeistert auch noch junge Leute. Und zwar – wie das Klischee es will – diejenigen mit dem höchsten Bildungs- und Wissensstand. Studierende, die laut ihrer Facebookangaben auf den Uniseiten gern Beethoven hören, erreichten beim SAT-Test durchschnittlich 1371 Punkte und kamen somit sehr nah an das Maximum von 1600 Punkten heran.
Ob die Klangqualität besser als bei einer digitalen CD ist, darüber tobt seit Jahrzehnten ein heftiger Glaubenskrieg. Auf der einen Seite stehen die Liebhaber des warmen Vinyl-Klangs, auf der anderen die Verfechter des technischen Fortschritts. Im Tonstudio DM1 der Plattenfabrik stellt Toningenieur Jiri Zita gerade einen Master her, die Vorlage für die Schallplatte. „Wenn das Ausgangsmaterial gut vorbereitet ist, dann kann die Schallplatte tatsächlich besser klingen als die CD“, sagt er.

Ein Blick in die Produktion der Schallplattenfabrik GZ Media im tschechischen Lodenice: Millionen der schwarzen Scheiben verlassen jährlich in der Nähe von Prag eines der größten Presswerke weltweit.
Viele seiner Kunden lieferten Daten mit höherer Samplingfrequenz und besserer Auflösung als beim CD-Format an. Zudem seien viele CDs schlicht totkomprimiert. „Die CD ist dann ständig laut und brüllt, während die Schallplatte es schafft, eine Stimmung besser herüberzubringen.“ Doch Zita bleibt Realist: „Natürlich hat die Schallplatte ihre Einschränkungen - es ist ein mechanisches Medium, es wirken dort Kräfte und Beschleunigungen.“
Die Gerätschaften, mit denen Zita hantiert, sind Jahrzehnte alt. Eine Maschine der Berliner Firma Neumann schneidet die Rillen mit einem Diamantmesser in die Kupferplatte. Mit einem kleinen Mikroskop sucht Zita nach Unregelmäßigkeiten. Denn Knistern und Knastern darf sein Master nicht.
Er fand über seine eigene Band zu dem Job. Andere seiner Kollegen sind DJs oder Sammler, die zu Hause tausend Schallplatten im Regal stehen haben.
Allein im vorigen Jahr haben 14 Millionen Schallplatten das Werk in Lodenice verlassen. In diesem Jahr sollen es 18 bis 19 Millionen sein. Die meisten gehen in die USA und nach Großbritannien, aber auch Deutschland ist ein wichtiger Markt.
Um die Nachfrage überhaupt noch befriedigen zu können, lässt GZ Media nun sogar neue Pressen bauen - die ersten in über 30 Jahren. Verkaufschef Nemec sagt: „Wenn Sie heute mit einer Super-Aufnahme ihrer Band zu mir kommen, dann müssen Sie bis März kommenden Jahres auf ihre Schallplatte warten.“
In Prag treffen sich Schallplattenfreunde wieder zu Tauschbörsen. Wie überall weltweit wird Ende April der „Record Store Day“ gefeiert. Dabei ist die Schallplatte längst nicht der einzige Retro-Trend, der aktuell durch Tschechien schwappt.
Die Igracek-Spielzeugfiguren aus der einstigen CSSR, quasi das Playmobil des Ostens, feiern eine Wiedergeburt. Und immer mehr Hipster laufen in Prag mit Turnschuhen herum, die ihren Vorgängern aus der Zeit des Sozialismus aufs Haar gleichen.





