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Sonderleistungen an KirchenDie Kollekte beim Staat

Neben 10,7 Milliarden Euro Kirchensteuer im Jahr 2015 flossen 510 Millionen Euro aus dem Staatshaushalt an den Klerus – als Entschädigung für Enteignungen im 19. Jahrhundert. Die Politik müht sich wenig, das zu ändern.Ozan Demircan 27.03.2016 - 12:12 Uhr Artikel anhören

Die Länder überweisen lieber jedes Jahr Millionen an die Kirche, anstatt über eine Ablösung der Staatsleistungen zu sprechen.

Foto: Christine Wawra/Schapowalow/Schapowalow

Düsseldorf. Generalvikar Clemens Stroppel ist Herr über 357,9 Millionen Euro. Der Prälat leitet in der Diözese Rottenburg-Stuttgart die Finanzen und hat seine gesamten Einnahmen ausgegeben für Personal, Seelsorge, den Betrieb von Krankenhäusern und Investitionen. Dass am Ende ein kleines Plus blieb, hat er vor allem einem zu verdanken: dem deutschen Staat.

28 Millionen Euro erhielt Stroppel 2014 vom Land Baden-Württemberg. Das war keine Kirchensteuer, sondern eine Zugabe, in der Bilanz unter „Staatsleistungen“ nachzulesen. Die seien pauschalisiert, berichtet Stroppel. Der Vikar muss um das Geld also nicht bitten. Es wird einfach überwiesen.

Stroppel ist nicht der einzige Kirchenbuchhalter, der ein solches Arrangement mit dem Fiskus hat. Das machen fast alle so. Neben der Kirchensteuer von rund 10,7 Milliarden Euro, die der deutsche Staat jährlich für die Kirche einsammelt, gießt der Fiskus dreistellige Millionenbeträge in einen Topf, aus dem sich der Klerus bedient. 2015 waren 510 Millionen Euro darin.

Offiziell sind Kirche und Staat seit fast 100 Jahren getrennt. So steht es auch im Grundgesetz. Wie kann es also sein, dass der Staat neben der Kirchensteuer regelmäßig Geld aus seinem Haushalt an die Kirchen überweist?

Wer die Erklärung sucht, muss sich ins Jahr 1803 zurückversetzen. Damals, im Zuge der Säkularisierung, mussten viele Kirchen ihre Klöster und Ländereien an den Staat abgeben. Um den Schock abzufedern, flossen Ausgleichszahlungen von den weltlichen in die heiligen Kassen. „Der Staat wollte damals sicherstellen, dass die Seelsorge für die Gläubigen aufrechterhalten werden konnte und die Ausbildung und Versorgung der Seelsorger gewährleistet waren“, erzählt Stroppel.

Die Regelung hielt immerhin 116 Jahre, bevor sie jemand auf den Verhandlungstisch brachte. 1919 übernahm die Verfassung der Weimarer Republik mehrere Rechtsvorschriften aus dem Kaiserreich, unter anderem die zur Finanzierung der Kirche. Die Entschädigungen für die Enteignung von 1803 sollten aber neu verhandelt werden.

Das Gesetz aus der Vergangenheit hatte zwar noch Bestand. Gleichzeitig wurde aber ein zusätzliches Gesetz für die Zukunft eingeführt. Darin hieß es, das Reich solle neue Grundsätze für den Kirchenobolus formulieren. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland übernahm diesen Passus. Auch die Bundesrepublik ist daher weiterhin dazu verpflichtet, die Staatsleistungen an die Kirche zu überdenken.

Doch solche Gedanken sind nie gereift. Die gesetzliche Anweisung wird seit fast 100 Jahren ignoriert.

Die Kirche fährt damit gut. Neben Kirchensteuern von 10,7 Milliarden Euro überwies laut einer Auflistung der „Humanistischen Union“, eines Vereins von Kirchenkritikern, alleine Baden-Württemberg 114 Millionen Euro zusätzlich. Dahinter kamen Bayern mit 93 Millionen und Rheinland-Pfalz mit 55 Millionen Euro. Pro Bürger zahlten die Länder im Schnitt 6,28 Euro. In Nordrhein-Westfalen waren es 1,27 Euro, in Bayern 7,35 Euro und in Sachsen-Anhalt sogar 14,53 Euro. Die Staatsrente wird sogar verzinst: Seit 2007 seien die Staatsleistungen an seine Diözese im Schnitt um 1,66 Prozent gestiegen, berichtet Generalvikar Stroppel aus Rottenburg.

KD-Finanzchef Thomas Begrich

„Staatsleistung in keiner dominierender Größenordnung“

In Baden-Württemberg würden vergleichsweise hohe Summen an die Kirchen überwiesen, ergänzt Stroppel, weil es „hier vor 200 Jahren besonders viele Enteignungen gab“. Welchen Wert die hatten, weiß er nicht. Eines dagegen schon: Ein Wegfall der Staatsleistungen wäre ein Problem. Die 28 Millionen Euro entsprechen rund acht Prozent seines Haushalts.

Wie am Neckar, so im Rheinland. Das Erzbistum Köln erhielt laut Finanzbericht allein 2014 Staatsdotationen in Höhe von 2,9 Millionen Euro. Das Geld wurde nicht zweckgebunden überwiesen. Die Gemeinden konnten damit zum Beispiel die Gehälter ihrer hohen Geistlichen zahlen.

Deren Besoldung orientiert sich an der deutscher Spitzenbeamter. So beginnt ein Bischof in der Regel in der Besoldungsgruppe B6 (monatliches Grundgehalt 9 167,62 Euro) bis hin zu B 10 (12 649,78 Euro). Das sind Summen, die sonst Staatssekretäre oder Sternegenerale erreichen. Hinzu kommen von Fall zu Fall Zuschüsse für Ausbildung und Versorgung, Dienstwagen und Dienstwohnung. Einer Auflistung des Kirchenkritikers Carsten Frerk zufolge zahlten die christlichen Kirchen in Bayern 2010 die Gehälter von fünf Bischöfen und zwei Erzbischöfen, zwölf Weihbischöfen, 60 Kanonikern und 33 erzieherischen Angestellten an den bischöflichen Priester- und Knabenseminaren. Das kostete 65 Millionen Euro. Zum Vergleich: Die empfangenen Staatsleistungen lagen im selben Jahr bei 87,2 Millionen Euro.

Wer für höhere Weihen vorgesehen ist, verdient unter Umständen doppelt: Wird ein Bischof in den Vatikan berufen, erhält er sein Gehalt fortan vom Heiligen Stuhl - und dazu Ruhestandsgelder vom deutschen Steuerzahler. Die richten sich nach seinem letzten Gehalt, in der Regel sind es mehr als zwei Drittel davon. Beim umstrittenen Ex-Bischof von Limburg, Franz-Peter Tebartz-van Elst, sind das Berichten zufolge monatlich 6 800 Euro.

Wird sich an der staatlichen Übernahme der Luxusgehälter für Kirchenmänner jemals etwas ändern? Das kann schon sein, sagt die Evangelische Kirche Deutschland (EKD). Doch Änderung bedeute nicht Verzicht. „Diese Zahlungen sind kein Geschenk, sondern durch Verträge zwischen Staat und Kirche so vereinbart“, heißt es beim Kirchenverband. Die Staatsleistungen seien nicht rechtlich kraftlos, bloß weil die Gründe dafür so lange zurückliegen. Kurzum: Wenn der Staat diese Zahlungen an die Kirchen einstellen möchte, dann müsste er der Kirche etwas dafür geben.

Paderborn

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„Sollte der Staat dem Auftrag des Grundgesetzes folgen wollen, diese Leistungen abzulösen, würde die evangelische Kirche das begrüßen“, argumentiert die EKD. Auch bei der Deutschen Bischofskonferenz, in der die katholischen Würdenträger organisiert sind, hört man von einer grundsätzlichen Gesprächsbereitschaft. Gespräche allerdings gibt es nicht.

Nur ganz selten in der deutschen Historie stand das Thema überhaupt zur Debatte. 1990 zum Beispiel, bei der Wiedervereinigung. Die neuen Bundesländer schauten sich die Paragrafen für die Staatszahlungen an die Kirche an und wunderten sich. Aber dann übernahmen sie deren Wortlaut in ihre eigenen Landesverfassungen. Erst gut 15 Jahre später erörterte der Landtag in Magdeburg die Möglichkeit, die Rechtsansprüche abzulösen, etwa durch eine Einmalzahlung. Die Landesregierung verfolgte das Thema aber nicht.

Später schlug der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki vor, eine Kommission einzurichten. Sie sollte den Schaden der Kirche durch die Enteignung 1803 beziffern und nachrechnen, wie viel der Staat der Kirche seitdem überwiesen hat. Doch zu einer solchen Aufrechnung kam es nie, Kubickis Kommission wurde gar nicht erst eingerichtet.

2007 empfahl der Landesrechnungshof des damals hochverschuldeten Bundeslandes Schleswig-Holstein, die Kirchenverträge an die geänderten Verhältnisse anzupassen. „In diesem Fall könnten die Landesleistungen von zwölf Millionen Euro auf bis zu vier Millionen Euro pro Jahr gesenkt werden.“ Das wurden sie aber nicht.

2011 verdutzten die Staatszuwendungen dann EKD-Chef Heinrich Bedford-Strohm. Der ehemalige Professor aus Bamberg übernahm das Amt des Bischofs der evangelischen Landeskirche in Bayern und merkte, dass der Freistaat für seine Bezüge aufkam. Als er nachfragte, war er nicht zufrieden.

„Ich möchte für jene Staatsleistungen mal endlich Argumente hören, bei denen nicht einfach Vertragsfolgen des 19. Jahrhunderts genannt werden“, argumentierte Bedford-Strohm. Schließlich gebe es ja auch historisches Unrecht, für das keine Entschädigungen gezahlt würden, etwa im Zusammenhang mit der europäischen Kolonialherrschaft. Warum solle dann für Kloster-Auflösungen vor 200 Jahren gezahlt werden?

Eine gute Frage. Doch eine andere Antwort als die aus 1803 bekam Bedford-Strohm nicht. Damit hat er sich offenbar abgefunden. Auf Anfrage teilt sein Pressesprecher mit, die Evangelische Kirche in Deutschland habe „gegen eine Ablösung der Staatsleistungen keinerlei Einwände, diese Haltung teilt auch der Ratsvorsitzende“. Die EKD könne jedoch diesbezüglich nicht selbst aktiv werden. Fast klingt es wie: Schlafende Hunde soll man nicht wecken.

2014 war es dann die Partei die Linke, die die Ruhe noch einmal störte. Von der Bundesregierung wollte sie wissen, warum die Gesetzgebung nicht mit der Realität übereinstimme. Stand nicht spätestens seit 1919 eine Neuregelung der staatlichen Zahlungen an die Kirche aus? Die Bundesregierung antwortete, es bestehe „kein Handlungsbedarf“. Die Begründung: Nicht der Bund sei Schuldner, sondern die Länder.

Doch auch auf Landesebene herrscht offenbar kein Interesse, das Thema einmal anzusprechen. So berichtet Generalvikar Stroppel aus Baden-Württemberg, seine Diözese sei in regelmäßigem Kontakt mit der Landespolitik. „Eine mögliche Ablösung der Staatsleistungen ist jedoch bislang nicht zum Thema gemacht worden.“

Ein möglicher Grund: Die Länder fürchten sich vor dem, was die Kirchen fordern könnten, wenn sie der Staat denn einmal auf den Verzicht der Zahlungen anspräche. „Die Ablösung eines Rechtsanspruchs ohne Entschädigung wirkt wie eine erneute Enteignung“, sagte jüngst etwa Thomas Begrich, Finanzchef der EKD. Seiner Kirche schwebt deshalb vor, es müsse, „wie im Grundgesetz vorgesehen, eine angemessene Abschlusszahlung vereinbart werden“. Wie hoch soll eine solche Zahlung ausfallen? Das weiß derzeit niemand. Die „Humanistische Union“ glaubt, es stünden Abfindungen vom 25-Fachen der jährlichen Ausgleichszahlungen im Raum. Bezogen auf die Leistungen in diesem Jahr, wären das 12,5 Milliarden Euro - auf einen Schlag.

Das sind Aussichten, die jeden Politiker abschrecken. Kerstin Griese, die religionspolitische Expertin der SPD-Fraktion im Bundestag, deklariert das Problem zur Ländersache. Und von dort seien ihr keine Signale bekannt, "mit Gesprächen über eine Ablösung der Staatskirchenleistung zu beginnen". Franz Josef Jung, in der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag mit Kirchenthemen betraut, sieht ebenfalls „keinen Handlungsbedarf“. Die Bundesländer hätten doch die Möglichkeit, die Staatsleistungen im Wege des vertraglichen Einvernehmens mit den Kirchen umzugestalten und aufzuheben. Aber: „Voraussetzung ist, dass auch die betroffenen Diözesen und Landeskirchen ein konkretes Interesse an einer Ablösung der Staatsleistungen beim jeweiligen Land vortragen.“

Die Antwort gibt Rätsel auf. Warum sollte ausgerechnet der Empfänger einer regelmäßigen Zahlung von 500 Millionen Euro ein Interesse daran haben, an dieser Zahlung etwas zu ändern? Müsste dem Zahlenden dies nicht ein dringenderes Bedürfnis sein?

Gezwungen zu einer Abfindung ist der Staat jedenfalls nicht, meint der Düsseldorfer Anwalt Michael Terwiesche. „Für den Beschluss einer Abfindungsleistung reicht ein Landesgesetz, dafür braucht es keine Zustimmung der Kirchen“, sagt der Experte für Verwaltungsrecht. Die Höhe der Abfindung bestimme allein der Gesetzgeber. Die einzige Bedingung dabei sei, dass die Neufassung der Regelung keine erneute Enteignung darstellen dürfe.

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Johann-Albrecht Haupt von der Humanistischen Union spricht bei der Abfindungszahlung von einer „frei erfundenen Rechengröße“. Der Bund solle doch erst einmal anfangen, mit den Kirchen überhaupt über Bedingungen einer Ablösung zu sprechen, schlägt der Kirchenkritiker vor. Ein Ende der stillschweigenden Kollekte vom Staat sei für den Steuerzahler womöglich viel günstiger zu haben als gedacht, sagt Haupt. Der Staat müsse nur wollen.

Er will aber nicht. Seit nun schon hundert Jahren.

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