Wirecard „Unser Freund Dimitry“: Wie Jan Marsalek einem ukrainischen Oligarchen in Not half

Der ehemalige Wirecard-Vorstand und enge Vertraute in einer Münchener Bar.
Düsseldorf, Berlin Vor seinen Fabriken auf der Krim standen russische Panzer, sein Gas-Geschäft war wegen EU-Sanktionen versiegt. Das amerikanische FBI jagte Dimitry Firtasch, weil er indische Beamte bestochen haben soll. Als ihm seine Banken Anfang 2019 auch noch seine Konten kündigten, wandte sich der ukrainische Oligarch an Wirecard-Vorstand Jan Marsalek.
Der Milliardär wollte mehr als 40 Konten bei der Wirecard Bank eröffnen, um sein weitreichendes Imperium zu steuern. Das Thema war hochsensibel. Zwei Jahre zuvor wurde das Geldwäschegesetz verschärft. Es galten die KYC-Regeln. Die Abkürzung steht für „Know your customer“ – kenne deinen Kunden. Banken mussten prüfen, welche Geschäfte der Kunde machte und woher seine Finanzen stammten.
Wie sorgfältig sich Wirecard den neuen Kunden ansah, beschäftigt heute die Staatsanwaltschaft. Vor den Bundestagsabgeordneten im Wirecard-Untersuchungsausschuss sagte Oberstaatsanwältin Hildegard Bäumler-Häusl kürzlich, dass ihre Behörde wegen Geldwäsche auch in einem „Komplex Oligarchen“ ermittle.
Auf Nachfrage teilten die Strafverfolger mit, dass sie „in diesem Zusammenhang“ mehrere Tatkomplexe untersuchten und deshalb im September 2020 zusammen mit dem Bundeskriminalamt Räumlichkeiten von Wirecard und der Wirecard Bank AG durchsucht hätten. Namen der Beschuldigten und Details wollte die Staatsanwaltschaft nicht mitteilen. Nur so viel: „Unsere Ermittlungen richten sich dabei auch gegen frühere Verantwortliche der Wirecard Bank AG wegen Geldwäsche.“
Interne Dokumente zeigen: Die Geschäfte zwischen Wirecard und Firtasch begannen am 18. April 2019. Damals kamen in einem Aschheimer Konferenzraum Marsalek, der Vorstand der Wirecard Bank Daniel Heuser und zwei Geldwäschebeauftragte mit einem Repräsentanten der Zangas HTB zusammen, einem Schlüsselunternehmen in Firtaschs Imperium. Laut Protokoll des zweistündigen Termins sollte es um „Einblicke in das Commodity Trading“ gehen.
Konten für mehrere Firmen
Der Gast redete offen: Firtasch sei wegen des Kriegs in der Ukraine gezwungen, sein Reich neu aufzustellen. Früher habe die Gruppe Gas aus Turkmenistan bezogen und dafür Trassen gebaut. Später hätte sie den Rohstoff aus Russland erhalten. Künftig wolle Firtasch den Gashandel umdrehen und von West nach Ost liefern – über Deutschland und die Slowakei in die Ukraine.
Dazu brauchten Zangas und einige andere Firmen Konten. Auf der Liste standen das Family Office (Group DF International), mehrere Dienstleister (Centragas Holding, Scythian Consulting) und die Leasingfirma für den Privatjet. Die Wirecard Bank hatte also viel zu prüfen. Wer war Firtasch, und woher kam sein Geld?
Bekannt ist, dass Firtasch, Jahrgang 1965, in der Roten Armee diente. Danach gründete er eine Handelsfirma für Konserven und Milchpulver. 2002 versuchte er sich mit wenig Erfolg als Politiker. Dafür war seine Group DF schon 2007 in der Chemiebranche, in der Energieindustrie und mit Immobilien aktiv.
Firtasch unterstützte ab 2010 den russlandfreundlichen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch. Sein Vermögen wuchs und wurde samt Soda- und Titan-Fabriken sowie Fernsehsendern auf bis zu zehn Milliarden Dollar geschätzt. Dann kam der Umsturz. 2014 jagte die Euromaidan-Bewegung Janukowitsch aus dem Land. Auch für Firtasch drehte sich der Wind.

Mehr als 40 Konten wollte der Oligarch bei der Wirecard Bank eröffnen, mindestens 15 wurden angelegt.
Im März 2014 nahmen ihn österreichische Behörden auf offener Straße in Wien fest. Grund waren Ermittlungen des amerikanischen FBI. Dessen Verdacht: „Bestechung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“. Die US-Justiz klagte Firtasch in Chicago an. Er soll in Indien Amtsträger mit 18 Millionen Dollar geschmiert haben, um Lizenzen zur Titanförderung zu erhalten.
In den USA drohten Firtasch 50 Jahre Gefängnis. Das FBI durfte den Oligarchen aber nicht einfach mitnehmen. Gegen eine Rekordkaution von 125 Millionen Euro kam er in Österreich aus der Untersuchungshaft frei. Das Geld lieh ihm Wassilij Anissimow, ein Judofreund des russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Firtasch und seine Juristen bezeichneten die US-Ermittlungen als „politisch motiviert“, die Vorwürfe als „völlig absurd“. Sie stemmen sich bis heute erfolgreich gegen die Auslieferung. Wiener Zeitungen nennen ihn den „Oligarchen, der im goldenen Käfig sitzt“.
Solche Schlagzeilen machen Banker nervös. Als der „Stern“ bei Firtaschs altem Finanzpartner nachfragte, antwortete die Wiener Raiffeisen Bank International, Auslieferungsverfahren und Vorwürfe der organisierten Kriminalität könnten ein „legitimer Grund“ sein, Geschäftsbeziehungen zu beenden. Der „Stern“ berichtete als Erster über die Firtasch-Konten.
Auch bei der Wirecard Bank gab es zunächst Einwände gegen den Kunden. Am 22. März 2019 leitete eine Mitarbeiterin dem Geldwäschebeauftragten Markus K. per E-Mail ein Interview weiter, welches Firtasch dem US-Medium „The Daily Beast“ gegeben hatte. Er räumte darin ein Treffen mit einem berüchtigten russischen Mafiaboss ein. Die Antwort des Geldwäschebeauftragten: „Das ist echt der Wahnsinn.“
Auch das Treffen mit dem Zangas-Manager brachte kaum Entspannung. „HOCH“ sei das Sicherheitsrisiko, notierte Markus K. in einer Analyse der möglichen Kundenbeziehung. Als Sicherungsmaßnahmen schlug er eine „monatliche Onlinerecherche nach Medienberichten“ vor. Suchbegriffe neben dem Namen Firtasch: „fraud“ und „money laundering“ – die englischen Worte für Betrug und Geldwäsche.
Im Mai 2019 befasste sich das Risk Komitee der Bank mit dem Gashändler Zangas, der als Erster Konten eröffnen wollte. Fünf Tage später gab es die Genehmigung. Dies sei „auf Drängen von Jan“, geschehen, teilte der Geldwäschebeauftragte später dem Compliance-Vorstand mit. Marsalek habe Firtasch auf „Biegen und Brechen“ in die Bank gebracht.
Wirecard und Firtasch: „Brisante Nähe zum US-Wahlkampf“
Nach und nach wurden Konten eröffnet, mindestens 15. Firtaschs Gesandte reichten auch Unterlagen für Firmen ein, von denen vorher keine Rede war. Das sei „nicht die feine englische Art“, beschwerte sich eine Mitarbeiterin. Der Geldwäschebeauftragte antwortete: „Es wurde von Anfang an nicht ganz mit offenen Karten gespielt.“
Marsalek bügelte alle Bedenken ab und verwies sogar auf das eigene Haus. Wirecard habe ja „selber leider in den letzten Jahren einiges an negativen Erfahrungen mit verzerrter Presse-Darstellung machen dürfen“, schrieb er. Firtasch könne womöglich plausible und legitime Hintergründe „zu den diversen Anschuldigungen“ liefern.
Im Juli 2019 meldete sich die Finanzaufsicht Bafin bei der Wirecard Bank. Betreff: Zangas. Wisse die Bank, mit wem sie da Geschäfte mache? Das Erdgasgeschäft sei „anfällig für Korruption“, bestätigte Markus K. Er versicherte der Behörde, dass die Zangas-Kontoumsätze „engmaschig“ manuell geprüft würden.
Tatsächlich erhielt die Wirecard Bank tiefe Einsicht in Zangas – und auch in das Family Office des Oligarchen, die DF Investments Ltd. auf den Britischen Jungferninseln. Über deren Konto sollten Reisekosten, Restaurants und Rechtsanwälte abgerechnet werden, erklärte ein Firtasch-Repräsentant – in der Summe bis zu zehn Millionen Euro im Jahr.
Die Offshore-Adresse sei „aufgrund der nicht verpflichtenden Offenlegung des Eigentümers“ gewählt worden, bemerkte der Firtasch-Mann. Abrechnungen über die DF seien notwendig, „da es für Herrn Firtasch derzeit nicht möglich ist, eine Kreditkarte zu haben“.
Die Kollegin von Markus K. fühlte sich nicht wohl damit. „Da bewegen wir uns halt voll in den privaten Ausgaben des Herrn Firtasch“, warnte sie. Der Geldwäschebeauftragte antwortete: „Vielleicht aber ganz interessant, so lange wir ein strenges Auge darauf haben.“
Es gab einiges zu sehen. US-Medien konnte die Wirecard Bank entnehmen, dass ihr Kunde eine Rolle im ersten Amtsenthebungsverfahren gegen den früheren US-Präsidenten Donald Trump spielte. Dessen Anwalt Rudolph Giuliani soll versucht haben, in der Ukraine Schmutz gegen Trumps Konkurrenten Joe Biden und dessen Sohn aufzutreiben. Giuliani habe Firtasch um Hilfe gebeten.

Eine Mitarbeiterin macht Wirecards Geldwäschebeauftragten Markus K. auf die Verbindung zwischen Dimitry Firtasch und Trump-Anwalt Rudolph Giuliani aufmerksam.
Den Berichten zufolge wirkte ein bekanntes Prinzip: Eine Hand wäscht die andere. Firtasch konnte mit seinen Verbindungen in der Ukraine Informationen auftreiben, die Trump halfen. Trump konnte Einfluss auf das US-Verfahren gegen Firtasch nehmen.
Für den Geldwäschebeauftragten war die Lektüre schwer zu ertragen. Am 20. Januar 2020 schickte Markus K. dem Wirecard-Vorstand eine E-Mail. Firtasch stehe mal wieder „im Fokus der Berichterstattung“, klagte er. Und zwei ukrainische Geschäftsmänner, die zwischen Firtasch und Giuliani vermittelten, fänden sich in den Buchungsunterlagen der Bank.
Es lägen Rechnungen für Luxushotels in Wien vor, welche die Firtasch-Gruppe für die beiden Männer beglichen habe. Beide Männer seien inzwischen „wegen Einschleusung ausländischer Gelder in den US-Wahlkampf“ verhaftet worden.
Firtasch sagt heute, dass er unfreiwillig in den internen US-Machtkampf hineingezogen worden sei. Er habe sich jedoch nicht daran beteiligt, „nach Dreck zu graben“. Das hätte vielleicht Giuliani geholfen, ihn selbst aber nicht bei seinen juristischen Problemen weitergebracht.
Der Geldwäschebeauftragte forderte jedenfalls ein Machtwort. Der Vorstand möge bitte entscheiden, ob von der Eröffnung weiterer Konten abgesehen werden soll oder ob Wirecard bereit sei, „die brisante Nähe zum US-Wahlkampf zu tragen“.

US-Ermittler haben Ende April den Wohnsitz von Rudolph Giuliani (links) durchsucht. Er ist der persönliche Anwalt des Ex-Präsidenten Donald Trump.
Das Management entschied offenbar anders: Zehn Tage später leitete eine enge Mitarbeiterin Marsaleks die Vorbereitungen für einen Zusatzvertrag mit Zangas ein. Er sah eine „Compliancepauschale“ von mehr als 2,5 Millionen Euro pro Jahr vor.
Auch in einem Telegram-Chat vom 18. Februar 2020 ist von Bedenken Marsaleks gegen eine Geschäftsbeziehung mit dem Oligarchen nichts zu lesen. „Unser Freund Dimitry Firtash fragt, ob wir ihm bei der Refinanzierung von zwei Immobilien helfen können“, schrieb Marsalek an den Wirecard-Bank-Vorstand Heuser.
Es gehe um „21 + 3m“ an Darlehen für Immobilien im Wert von „47+5m“ in Spanien und Frankreich. „m“ steht für Millionen. Er wisse zwar, „dass wir das normalerweise natürlich nicht machen“. Aber Firtasch sei bereit, neben den Immobilien fünf Millionen „in Cash“ als Sicherheit zu hinterlegen.
Österreich: Wirecard ermöglichte Maskenspende
Ende März 2020 half Wirecard Firtasch dabei, sein Image in Österreich aufzupolieren, wo noch immer Richter über seine Auslieferung entscheiden mussten. Die Zangas-Gruppe kaufte in Asien 500.000 FFP-Schutzmasken, Virus-Schnelltests und Schutzanzüge für rund eine Million Euro und spendete sie der Regierung und dem Roten Kreuz. Wirecard genehmigte die Transaktionen in der Fremdwährung US-Dollar als „Ausnahmefall“. Markus K. notierte: „Aus meiner Sicht ist das OK – Jan hat mir auch schon geschrieben.“
Die vereinbarten 2,5 Millionen Euro Compliance-Pauschale für die Wirecard Bank zahlte Zangas hingegen nicht. Im April stellten Kundenbetreuer die geplante Eröffnung weiterer Konten deshalb „on hold“. Im Mai buchte die Wirecard Bank die fehlenden 2,5 Millionen Euro einfach auf das Konto der Zangas, das damit deutlich überzogen wurde.
Am 30. Juli 2020 – rund einen Monat nach der Insolvenz des Wirecard-Konzerns – erhielt die Wiener Firtasch-Firma ein Einschreiben aus Aschheim. Die Wirecard Bank kündigte die Konten und bat um Ausgleich des Saldos. „Sollten Sie der Aufforderung nicht nachkommen, werden wir die noch offene Forderung an unser Inkassobüro abgeben.“
Firtasch kommentiert auf Anfrage die Geschäfte mit Wirecard nicht im Detail. Er legt Wert auf die Feststellung, dass sie alle „gesetzlichen und regulatorischen Anforderungen“ erfüllt hätten. Eine private Beziehung zu Marsalek habe nicht bestanden.
Weil die Vereinbarung über die Compliance-Millionen von Marsalek offenbar nur mündlich geschlossen wurde, schrieb Wirecard die 2,5 Millionen Euro schließlich ab. Gegen Marsalek ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Bandenbetrug, Untreue und Marktmanipulation.
Ob es dem Österreicher heute besser oder schlechter geht als seinem Ex-Kunden Firtasch, ist schwer zu sagen. Am Wochenende wurde bekannt, dass die Ukraine Sanktionen gegen Firtasch verhängt hat, weil er Titan an die russische Verteidigungsindustrie geliefert haben soll. Während der Ukrainer in Österreich festsitzt, weiß niemand, wo sich Marsalek aufhält. Der ehemalige Wirecard-Vorstand ist seit dem Untergang des Konzerns auf der Flucht.
Mehr: „Es ist ein Wahnsinn ...“ – Die letzten 48 Stunden von Wirecard
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