Corona-Impfkampagne Impfungen durch Betriebsärzte: Was Firmen und Beschäftigte wissen müssen
Düsseldorf Anette Wahl-Wachendorf hat den 7. Juni lange herbeigesehnt. Sie und ihre 12.000 Kollegen dürfen ab Montag die Beschäftigten direkt in den Werkhallen und Büros impfen. „Wir sind froh, dass es endlich losgeht“, sagt die Medizinerin, die im Präsidium des Verbands der Betriebsärzte sitzt.
Mit der Impfmöglichkeit in Unternehmen startet Deutschland am Montag in eine neue Phase der Impfkampagne. Zudem fällt die Priorisierung weg und Kinder ab 12 Jahren dürfen sich um einen Pikser in den Oberarm bemühen. Das Handelsblatt beantwortet die wichtigsten Fragen rund um den Impfstart in den Unternehmen.
Wie viel Impfstoff bekommen die Unternehmen?
Die Impfkampagne in den Unternehmen wird nur sehr schleppend anlaufen. In der ersten Woche sollen die Betriebsärzte laut Bundesgesundheitsministerium nur 702.000 Dosen bekommen. Weil etwa 6000 Betriebsärzte für kommende Woche Impfstoff geordert haben, kann jeder Mediziner nur mit 102 Dosen rechnen. Vor zwei Wochen war der Arbeitgeberverband BDA noch davon ausgegangen, dass jeder Arzt bis zu 804 Impfdosen bekommt.
Wahl-Wachendorf rechnet damit, dass die tatsächliche Lieferung noch kleiner ausfallen wird: „Erste Kollegen haben mir zurückgemeldet, dass sie weniger als 102 Dosen erwarten.“ Wie viel am Ende ankommt, können die Firmen erst am Montag sagen, dann sollen die Impfdosen an die Werkstore geliefert werden.
Über die geringen Liefermengen zeigt sich die Verbandsvertreterin enttäuscht: „Das ist so wenig Impfstoff, dass das Frustpotenzial bei den Unternehmen groß sein wird.“ Dabei ruhten die Hoffnungen für eine Beschleunigung der Impfkampagne gerade auf den Betriebsärzten; denn die 12.000 Werksdoktoren haben direkten Zugang zu 45 Millionen Beschäftigten. Vorerst braucht es in den Firmen weiterhin vor allem eines: Geduld.

„Das ist so wenig Impfstoff, dass das Frustpotenzial bei den Unternehmen groß sein wird“, sagt die Medizinerin vom Verband der Betriebsärzte.
Jeder Betriebsarzt soll in etwa gleich viele Vakzine bekommen. Die Kontingentierung nach Medizinern und nicht nach Unternehmensgröße soll eine gerechte Verteilung sicherstellen, damit Konzerne nicht gegenüber Mittelständlern bevorzugt werden. Allerdings haben Großunternehmen im Regelfall auch mehrere Werksärzte – und bekommen so mehr Impfstoff.
Wird die Zahl der Impfungen in den Firmen in den kommenden Wochen steigen?
Vorerst nicht. Zwar darf jeder Betriebsmediziner für die 24. Kalenderwoche (ab dem 14. Juni) 300 Dosen bestellen. Doch wenn schon kommende Woche von den 804 möglichen nur 100 auch ankommen, rechnet der Betriebsärzteverband damit, dass es übernächste Woche noch weit weniger sein werden.
Erst ab Juli ist „voraussichtlich mit mehr Impfstoffdosen für die Betriebsärzte zu rechnen“, steht in einer Handreichung des BDA. Betriebsärztin Wahl-Wachendorf vermag nicht einzuschätzen, wann sich die betriebliche Impfkampagne beschleunigen wird. „Eine Prognose könnte zu Enttäuschungen führen.“
Welche Vakzine werden in den Unternehmen verimpft?
Für die erste Woche, in der die Betriebsärzte impfen dürfen, werden ausschließlich Vakzine des Herstellers Biontech/Pfizer geliefert. Auch in den Wochen danach werden die Firmen hauptsächlich mit Biontech versorgt. Später dürften auch Präparate anderer Produzenten hinzukommen.
Klar ist: Aussuchen dürfen sich die Mitarbeiter den Impfstoffhersteller nicht. Auch bei der betrieblichen Immunisierung gelten die behördlichen Vorgaben: Die Vakzine von Johnson & Johnson und Astra-Zeneca werden nur für Über-60-Jährige empfohlen. Sie können nach Beratung mit dem Betriebsarzt aber auch an jüngere Mitarbeiter verimpft werden.
Wer wird in den Firmen zuerst geimpft?
Obwohl die Impfpriorisierung ab Montag aufgehoben ist, müssen die Betriebsärzte angesichts der knappen Vakzine intern priorisieren. Wie eine Handelsblatt-Umfrage zeigt, wollen die meisten Firmen zuerst die Mitarbeiter in der Produktion und dann die im Homeoffice impfen. Zudem sollen ältere Beschäftigte vor den jüngeren an der Reihe sein.
Doch nicht alle Firmen geben eine Reihenfolge vor: Beim Energieversorger RWE etwa lautet die Devise: Wer zuerst einen Termin ergattern konnte, wird zuerst geimpft.
Wie haben sich die Unternehmen auf die Impfungen vorbereitet?
Fast alle größeren Unternehmen haben Impfstraßen aufgebaut. Die 30 Dax-Konzerne und Familienunternehmen sind schon seit vielen Wochen impfbereit. Die Allianz und BMW etwa haben an ihren großen Standorten je 30 Impfstraßen aufgebaut, Volkswagen könnte allein am Stammwerk in Wolfsburg 15.000 Mitarbeiter pro Woche impfen. Bayer wäre in der Lage, in nur drei Wochen die komplette Belegschaft einmal zu immunisieren.
Doch die geringen Liefermengen bremsen die Impfkampagnen der Unternehmen aus. „Wir hatten in der Tat größere Liefermengen erwartet“, teilte etwa der Energiekonzern Eon schon vor einigen Tagen mit: „Unsere bisherigen Planungen einer zügigen Impfung werden wir so nicht umsetzen können.“
Unternehmen können den Betrieb der Impfstraßen zwar an die gelieferten Mengen anpassen. Doch für große Firmen wird es schwierig werden, ihre Impfstraßen effizient zu betreiben.
Anders als Großunternehmen haben viele mittelständische Betriebe keine Möglichkeit, große Impfstraßen aufzubauen. Einige Mittelständler haben sich mit anderen Firmen zusammengeschlossen, um ein gemeinsames Betriebsarztzentrum zu betreiben. Man hilft sich gegenseitig, zum Beispiel mit Räumen für die Impfungen, aber auch bei der IT-Anbindung zu den Behörden.
Warum impfen einige Unternehmen schon länger als andere?
Volkswagen und BASF waren bundesweit die ersten Unternehmen, die im Rahmen von Modellprojekten impfen durften. VW tat das in seinem Werk im sächsischen Zwickau, BASF an seinem Firmensitz in Ludwigshafen, und zwar wegen „frühzeitiger Gespräche mit der Landesregierung“, wie es von den Behörden in Rheinland-Pfalz heißt.
Die einzelnen Bundesländer konnten eigenständig über die Vergabe von Modellprojekten entscheiden. So wurde etwa in Niedersachsen in fünf ausgewählten Unternehmen, darunter Rossmann und Salzgitter, geimpft; in Bayern zählte der Kühlschrank- und Kranhersteller Liebherr zu den ersten.
Seit einiger Zeit impfen niedergelassene Ärzte auch in Betrieben, und zwar mit den Impfstoffen von Astra-Zeneca und Johnson & Johnson, weil bei diesen die Priorisierung aufgehoben wurde. In manchen Fällen sind Medizinier zugleich Haus- und Betriebsärzte und haben mit lokalen Firmen kooperiert.

Die Betriebsärzte bekommen zunächst ausschließlich Vakzine von Biontech/Pfizer.
Sonderprojekte gab es etwa auch in Grenzgebieten mit hoher Inzidenz. Hier bekamen die Landkreise zusätzliche Impfdosen, von denen auch die dort ansässigen Betriebe profitierten.
Wie kommen Unternehmen an die Impfstoffe?
Unternehmen brauchen die Impfstoffe nicht zu kaufen, sie werden vom Bund gestellt. Betriebsärzte müssen ihre Bestellung bei einer Großapotheke per Fax oder E-Mail jeden Donnerstag der Vorvorwoche aufgeben. Ein Beispiel: Für die 25. Kalenderwoche (ab 21. Juni) muss die Bestellung bis Donnerstag, 10. Juni vorliegen.
An jedem Mittwoch vor der Impfwoche (in diesem Beispiel am 16. Juni) werden die Firmen dann darüber benachrichtigt, wie viel sie tatsächlich bekommen. Und schließlich werden die Vakzine montagnachmittags an die Werkstore geliefert.
Wie läuft die Impfung ab?
Die Impfung läuft wie im öffentlichen Impfzentrum ab: Bei den meisten Firmen können sich Beschäftigte online oder per Telefon anmelden. Impfwillige müssen bis zu einer Stunde für Aufklärung, Impfung und Beobachtung einplanen.
Müssen sich Mitarbeiter impfen lassen?
Nein. Solange es in Deutschland keine gesetzliche Impfpflicht gibt, dürfen Unternehmen ihre Mitarbeiter nicht zu einer Impfung zwingen. Juristen sagen auch, dass Ungeimpfte gegenüber ihren geimpften Kollegen nicht benachteiligt werden dürfen.
Sehr wohl können Firmen aber Anreize zu einer Impfung schaffen, etwa durch eine Impfprämie, wie sie beispielsweise Amazon und Aldi in Amerika zahlen. In Deutschland plant kein Dax-Konzern, eine solche Prämie zu zahlen.
Mehr: Ab 7. Juni impfen alle Betriebsärzte: Welche Mitarbeiter zuerst drankommen
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