Gastkommentar: Das Potenzial Künstlicher Intelligenz wird oft überschätzt

Olaf Eisele ist Wirtschaftsingenieur und Experte für Unternehmensexzellenz im Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa).
Mehrere aktuelle Studien weisen große wirtschaftliche Produktivitätspotenziale durch Künstliche Intelligenz (KI) aus. Durch den flächendeckenden Einsatz von „generativer KI“ könne die globale Wirtschaftsleistung jährlich um sieben Prozent steigen, stellt zum Beispiel die Investmentbank Goldman Sachs in einer 2023 veröffentlichten Untersuchung fest. Dies ermögliche einen bedeutenden Schub für die Arbeitsproduktivität.
McKinsey beziffert in einer Studie den durch generative KI weltweit möglichen Produktivitätszuwachs pro Jahr auf mehrere Billionen Euro. Das geschätzte Produktivitätswachstum wird insbesondere in Bereichen mit Wissens- und Informationsarbeit gesehen. Und dass KI ein hohes Potenzial für eine Reduzierung von Personalkosten, Bearbeitungs- und Durchlaufzeiten mitbringt, schätzen die meisten Befragten in einer Studie des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa) zum KI-Einsatz in produzierenden Unternehmen.
Hohe Erwartungen gab es bei digitalen Technologien seit den 1980er-Jahren schon mehrmals. Doch wie wurden diese Erwartungen erfüllt? Trotz zahlreicher Initiativen und Projekte der Digitalisierung ist die Arbeitsproduktivität in den letzten Jahren gesamtwirtschaftlich nur gering gestiegen, zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamts. Die prozentualen Produktivitätszuwächse lagen unterhalb der Lohnstückkostenzuwächse.
Eine signifikante Verbesserung der Produktivität in Deutschland durch KI ist also bisher nicht zu verzeichnen. Wesentliche Hemmnisse für den praktischen Einsatz von KI sehen Unternehmen in fehlenden KI-Experten sowie den zu hohen Kosten.
Vielleicht aus diesen Erfahrungen heraus sind die Erwartungen an die Produktivitätssteigerung bei betrieblichen Akteuren in der ifaa-Studie zurückhaltender. Teilnehmende aus Wissenschaft und Beratung schätzen das Potenzial häufig höher ein als betriebliche Akteure aus der Praxis.
Ziel- und bedarfsgerechter Einsatz von digitalen Technologien
Mehrmals konnte bereits ein Produktivitätsparadoxon digitaler Technologien beobachtet werden: Digitale Technologien führen nicht zwangsläufig zu Produktivitätssteigerungen. Entscheidend für die Produktivitätswirkung jeder Technik ist, wie sie betrieblich zur Anwendung kommt. Wichtig ist, dass sie ziel- und bedarfsgerecht mit Blick auf das Verhältnis von Nutzen zu Aufwand ausgewählt und eingesetzt wird.
Hier hilft ein zielorientiertes KI-Projektmanagement – gerahmt von einer ganzheitlichen Betrachtung innerhalb des Produktivitätsmanagements eines Unternehmens. Dessen Aufgabe sollte es sein, die Produktivität als Zielgröße laufend zu überwachen und zu steuern.
Dies ist insbesondere für deutsche Unternehmen wichtig, die im internationalen Vergleich nachteilige Standortbedingungen in Bezug auf Arbeits- und Energiekosten sowie auf steuerliche und gesetzliche Rahmenbedingungen aufweisen. Dadurch ließe sich deren Wettbewerbsfähigkeit erhalten.
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Im Produktivitätsmanagement geht es nicht darum, härter, sondern intelligenter zu arbeiten, Künstliche Intelligenz kann da in bestimmten Fällen helfen, findet aber nicht für jede Problemstellung die beste Lösung. KI sollte also nur dort eingesetzt werden, wo keine einfachen, kostengünstigen Lösungen umsetzbar sind.
Die größten Produktivitätspotenziale von KI liegen im Bereich Automatisierung von Büro- und Wissensarbeit, nicht in der Produktion. Besonders geeignet für KI-Anwendungen sind diese Arbeitsinhalte und Funktionsbereiche: Buchhaltung, Steuern und Finanzen, Öffentlichkeitsarbeit/Kommunikation, Büroassistenz, Datenanalyse und -management, Programmierung, Auditierung oder Übersetzungen. Das hat eine Studie von OpenAI und der University of Pennsylvania herausgefunden.
Potenziale von 30 bis 45 Prozent im Bereich der Büroarbeit liegen noch im Verborgenen. Sie können zum Teil aber bereits mit einfachen Mitteln erschlossen werden, zeigen wiederum internationale Studien, unter anderem auch von Kaizen Institute oder Fraunhofer.
Einfache und beherrschbare Automatisierungslösungen sind zu bevorzugen
Vor einer Automatisierung von menschlichen Tätigkeiten sollte daher zunächst geprüft werden, ob ressourcenverbrauchende, aber nicht wertschöpfende Aktivitäten vermieden oder bei gleichem Ergebnis vereinfacht werden können. Erst wenn diese Möglichkeiten ausgereizt wurden, ist es sinnvoll, über eine Automatisierung nachzudenken.
Diese kann in unterschiedlichem Umfang – kollaborativ oder vollständig – und Komplexitätsgrad in allen Arbeitsbereichen erfolgen Zu bevorzugen sind möglichst einfache und beherrschbare Automatisierungslösungen mit hoher Rentabilität wie beispielsweise Robotic Process Automation (RPA). Diese sollten möglichst ohne die nur knapp zur Verfügung stehenden, externen und kostenintensiven IT-Experten und KI-Spezialisten umgesetzt werden können.
Nur dort, wo dies nicht mehr hilft und die Anforderungen für eine KI-Anwendung erfüllt sind, kommt dann Künstliche Intelligenz erst wirklich ins Spiel.
Der Autor:
Olaf Eisele ist Wirtschaftsingenieur und Experte für Unternehmensexzellenz im Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa)


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Erstpublikation: 02.08.2023, 04:00 Uhr.





