Gastkommentar: Deutschlands Sicherheit beginnt auch im Labor
Was hat nationale Sicherheit mit innovativen Medikamenten zu tun? Mehr, als Sie auf den ersten Blick vermuten. Denn im Kampf um die Zukunft zählen nicht nur Halbleiter, KI und Batterietechnologien – auch Hightech-Medikamente und hochpräzise Tests sind längst weltweit zu strategischen Währungen geworden.
Die Bundesregierung hat’s erkannt: Gesundheit ist kritische Infrastruktur und Leitindustrie. Innovationen in der Medizin sind somit nicht nur eine Investition in unsere Gesundheit – sie entscheiden über Wachstum, Wohlstand und nationale Sicherheit.
Die gute Nachricht vorweg: Der medizinische Fortschritt schreitet weltweit rasant voran. Meine Branche kämpft weiter mit voller Kraft und Milliarden-Investitionen gegen gefährliche Erreger und schwere Krankheiten wie zum Beispiel Krebs und Alzheimer.
Die Frage ist nicht, ob in die Medizin der Zukunft investiert wird. Die Frage lautet: Wo? Will Deutschland mitmischen oder zum reinen Konsumenten von Innovationen werden, die in anderen Teilen der Welt wie beispielsweise in den USA oder China erfunden, entwickelt und finanziert werden?
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Die Voraussetzungen in Deutschland sind eigentlich gut: Top-Forschungslandschaft, starke Industrie, kluge Köpfe. Doch: Innovation erstickt im Regulierungsdickicht. In Deutschland fällt jede fünfte Arbeitsstunde in der Pharmaindustrie der Bürokratie zum Opfer. Und während Forscher an Durchbrüchen arbeiten, hat der Staat in den vergangenen Jahren die Kostenschraube immer weiter angezogen – sogar überdreht – und dabei einseitig die Ausgaben in den Fokus gerückt: Zwangsrabatte, Preisbremsen, Auflagen.
Das kostet vor allem eines: Vertrauen in die Zukunftsfähigkeit des Standorts Deutschland. Genau jenes Vertrauen, das heute mit darüber entscheidet, ob die nächste Milliarde in Deutschland investiert wird – oder in anderen Regionen der Welt, wo bürokratische Hürden gezielt abgebaut werden und die Bereitschaft vorhanden ist, für Innovationen zu bezahlen.
Dieser Weg führt direkt in neue globale Abhängigkeiten – Abhängigkeiten von Ideen, Lieferketten, Innovationen, Entscheidungen, die anderswo getroffen werden. Dieser Weg vernichtet aber auch Wohlstand: Denn die industrielle Gesundheitswirtschaft ist eine der wenigen Antworten auf Deutschlands Strukturprobleme.
Während die deutsche Industrie seit Jahren schrumpft, wächst die Gesundheitswirtschaft stabil. Während andere Arbeitsplätze abbauen, stellt diese Industrie Arbeitsplätze für hochqualifizierte Menschen zur Verfügung.
Die Rechnung ist klar: Die Branche bildet aus, zahlt Steuern, exportiert, investiert Milliarden in Forschung, Entwicklung, Produktion – und hält die Menschen im Land immer gesünder. Wer das den Ausgaben für Innovationen gegenüberstellt, sieht: Unsere Branche ist weit mehr als ein Kostenfaktor. Wir sind Gewinnbringer für Gesellschaft, Wirtschaft und Wohlstand.
Allen Widrigkeiten zum Trotz: Noch investiert, forscht und produziert die Gesundheitswirtschaft hierzulande – und zählt zu den wenigen Branchen, in denen Deutschland zur Weltspitze gehört. Nur wie lange kann sie es sich noch leisten?
Mein Fazit aus den jüngsten Gesprächen in Berlin: Die Diagnose ist angekommen. Die Politik weiß, was für Deutschland auf dem Spiel steht. Jetzt geht es um die Therapie – und die muss schnell wirken und mehr als Symptome lindern. Dafür braucht es keine Subventionen. Es braucht ein klares strategisches Bekenntnis, das auf drei Säulen beruht:
- Die beste Medizin gibt es nicht zum Spartarif auf Kosten anderer Länder, die bereit sind, die Forschungsanstrengungen zu finanzieren und für Innovationen zu bezahlen. Es braucht jetzt das Signal, dass Deutschland und Europa wieder bereit sind, einen fairen Beitrag zur Finanzierung der Medizin der Zukunft zu leisten. Erst ein Markt, der Innovationen honoriert, zieht Kapital an.
- Es braucht eine neue, übergeordnete Industriepolitik: Gemeint ist eine Ausrichtung, die nicht im Klein-Klein verharrt und eindimensional auf die Ausgabenseite zielt, sondern den industriellen Gesamtzusammenhang in den Blick nimmt und entsprechend international wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen schafft.
- Das wertvollste Kapital der Branche sind die Ideen in den Köpfen der Forscherinnen und Forscher. Ihr geistiges Eigentum zu schützen, ist die Voraussetzung für Innovationen.
Die Chancen sind da – für Deutschland und Europa. Genau das war das Signal meiner Branche auf dem Pharma- und Medizintechnikdialog, der am 12. November 2025 im Bundeskanzleramt in Berlin begonnen wurde. Wer diesen Industriezweig in Deutschland halten und Fortschritt vorantreiben will, muss jetzt handeln.
Der Autor: Thomas Schinecker ist Vorstandschef von Roche und Präsident des internationalen Pharmaverbandes IFPMA.