Gastkommentar: Die Gesellschaft profitiert, wenn mehr Frauen mehr arbeiten könnten

Rente ist mehr als eine Statistik – Rente ist persönlich. Ich finde es nicht gerecht, dass in Deutschland Frauen im vergangenen Jahr durchschnittlich 500 Euro weniger an gesetzlicher Rente bekommen haben als Männer – jeden Monat. Hinzu kommen niedrigere Ansprüche bei der privaten und betrieblichen Altersversorgung. In Summe liegt das Gender Pension Gap in Deutschland bei etwa 40 Prozent, das heißt: Frauen bekommen 40 Prozent weniger Altersvorsorge als Männer. Rechnet man die Hinterbliebenenvorsorge dazu, ist die Lücke mit rund 30 Prozent geringer, aber immer noch deutlich.
Gründe genug, um zu fragen: Wann sprechen wir über Finanzen? Wann tauschen wir uns darüber aus, wie wir fürs Alter vorsorgen? Die Sorge, etwas falsch zu machen, führt meist dazu, dass viele Menschen ihre Vorsorge gar nicht oder sehr spät angehen. Bei Frauen in Deutschland fällt das aufgrund ihres Lebenswegs stärker ins Gewicht.
Die meisten Frauen haben geringere Rentenansprüche, weil ihr Verdienst im Durchschnitt 18 Prozent geringer ist als der von Männern. Zu diesem Gender Pay Gap kommt hinzu, dass Frauen zu 50 Prozent in Teilzeit erwerbstätig sind, bei den Männern sind es zehn Prozent.
Der Unterschied von Müttern und Vätern ist noch größer: 66 Prozent der Mütter arbeiten in Teilzeit, aber nur sieben Prozent der Väter. Zusätzlich stemmen Frauen den Löwenanteil bei der Kinderbetreuung und der Pflege von Angehörigen. Ein wichtiger gesellschaftlicher Beitrag – mit deutlichen Einbußen beim Einkommen im Hier und Jetzt sowie im Alter.
Bei Eltern wird die Spreizung im Einkommen besonders deutlich: Väter mit zwei Kindern verdienen im Schnitt in ihrem gesamten Leben 1,6 Millionen Euro, wohingegen Mütter mit zwei Kindern 0,6 Millionen Euro verdienen – ein Gap von einer Million Euro. Manche nennen das „Motherhood Penalty“. Dass Kinder einem viel geben, was man nicht in Geld messen kann, steht außer Frage. Doch wenn es um das Finanzielle und die Absicherung im Alter geht, ist der Begriff „Motherhood Penalty“ zu oft keine Übertreibung.
In Dänemark und Belgien ist das „Gender Pension Gap“ viel kleiner als in Deutschland
Vergleiche mit anderen Ländern zeigen, dass ein so hohes Gender Pension Gap wie in Deutschland nicht sein muss. In Dänemark liegt das Gender Pension Gap beispielsweise bei acht Prozent und in Belgien bei 25 Prozent. Was läuft in diesen Ländern anders? Eine Erklärung: Die Teilzeitquoten von Frauen sind deutlich geringer. Was braucht es in Deutschland, damit wir das auch schaffen? Aus meiner Sicht vor allem zwei Dinge: erstens, eine Vollzeit-nahe und flächendeckende Kinderbetreuung und zweitens, ein anderes Mindset.
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Zur Kinderbetreuung: Natürlich sind auch für die Kinderbetreuung Arbeitskräfte nötig. Gerade im vorschulischen Bereich sind diese Arbeitsplätze finanziell betrachtet nicht besonders attraktiv. Doch es muss möglich sein, dass wir es in Deutschland schaffen, ein System der Ganztagsbetreuung und -bildung aufzubauen. In den meisten unserer Nachbarländer ist das selbstverständlich. Erwünschte Nebeneffekte sind mehr Gleichberechtigung in der Erwerbstätigkeit und stabilere Einzahlungen in die Sozialsysteme.
Zum Mindset: Wenn ich mich mit ausländischen Kolleginnen unterhalte, sind sie immer vollkommen verwundert, dass in Deutschland so wenige Frauen Vollzeit arbeiten. Ich persönlich kann – wie wahrscheinlich alle Frauen in Deutschland, die Kinder haben und Vollzeit arbeiten – abendfüllend Geschichten erzählen über Bewertungen zu meinem Dasein als vollzeitarbeitende Mutter.
Gesamtgesellschaftlich würden wir alle profitieren, wenn mehr Frauen mehr arbeiten würden. Laut einer Berechnung des Bundeswirtschafts- und Bundesfamilienministeriums hätten wir auf einen Schlag 800.000 Arbeitskräfte mehr, wenn alle Frauen in Deutschland nur so viel arbeiten würden, wie sie gerne möchten. Die aktuelle Arbeitskräftelücke beträgt laut Statistischem Bundesamt etwa eine Million Arbeitskräfte.
Auch als Gesellschaft müssen wir schauen, ob die vom Staat gesetzten Bedingungen stimmen. Gerade Corona hat gezeigt, dass als Erstes die Frauen beruflich zurückstecken, wenn das Kinderbetreuungsangebot schwindet. Mehr Mütter als Väter haben während dieser Zeit beruflich und finanziell Abstriche in Kauf genommen, um für ihre Kinder da sein zu können.
Natürlich benötigen wir gesellschaftliche Lösungen. Nichts ersetzt jedoch den Blick auf die eigene Vorsorgesituation! Legen Sie einfach mal als Paar mit Kindern die Rentenbescheide nebeneinander und überlegen Sie, ob das, was Sie da sehen, fair ist. Das macht das abstrakte Gap sehr konkret und meine Erfahrung zeigt, dass dies ein sehr guter Start in ein Gespräch zu Finanzen und Gleichberechtigung ist.




Die Autorin:
Laura Gersch ist Finanzvorständin der Allianz Versicherungs-AG.





