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GastkommentarDie Kritik an der Corona-Warn-App ist legitim, geht aber am Kern der Sache vorbei

Eine Debatte über die Privatsphäre der Anwendung ist begrüßenswert. Es bedarf dabei jedoch einer sachorientierter Diskussion. 03.06.2020 - 14:36 Uhr

Jürgen Müller (rechts im Bild) ist Technikvorstand bei SAP, Adel Al-Saleh ist Vorstand der Deutschen Telekom und Chef der Großkundensparte T-Systems.

Foto: Deutsche Telekom AG und SAP

Die Kritik an der geplanten Corona-Warn-App und den daran beteiligten Akteuren wurde zuletzt immer lauter. Sie komme zu spät, verletze den Datenschutz und arbeite viel zu ungenau.

Und dass es eine kritische Diskussion gibt, ist in Teilen auch nachvollziehbar und ermutigend: zum einen, weil wir pandemiebedingt gerade eine Ausnahmesituation erleben, die naturgemäß von großer Angespanntheit geprägt ist und viele Diskussionen befeuert. Zum anderen, weil wir gerade in einer solchen Ausnahmesituation die Grundprinzipien unseres demokratischen Rechtsstaats hochhalten müssen – und dazu gehört natürlich auch die Meinungsfreiheit.

Und dennoch dreht sich die Debatte nicht um den eigentlichen Kern der Sache. Die Angst beim Datenschutz zum Beispiel ist aus unserer Sicht allein deshalb unbegründet, weil die App weder Namen noch Adresse erfasst, weder Telefonnummer noch Aufenthaltsort oder mit wem man sich trifft.

Eine schnellere Umsetzung der App wäre sicher wünschenswert gewesen. Aber eine für die Bürgerinnen und Bürger akzeptable Lösung muss gut durchdacht sein und braucht ihre Zeit.

Selbstverständlich begrüßen wir eine Debatte über Privatsphäre. Die App allein aber dafür als zentralen Dreh- und Angelpunkt auszumachen, ist weder sachlich noch hilfreich.

Der viel wichtigere Punkt, um den sich die Debatte eigentlich drehen muss, ist die Frage nach der gesellschaftlichen Verantwortung des Einzelnen. Die Pandemie hat gezeigt, dass es in der Krise auf jede Akteurin, auf jeden Akteur ankommt: Jeder Mensch, jedes Unternehmen, jede Institution ist verantwortlich für das große Ganze.

Wollen wir das Virus bekämpfen, wollen wir unser Gesundheitssystem entlasten, müssen wir die Infektionsketten unterbrechen. Dazu tragen wir Masken und leben alle, so schwer es uns auch fällt, mit „Physical Distancing“.

Teil des gesamtgesellschaftlichen Krisenmanagements

Die App ist ein weiterer, wichtiger Baustein in der Pandemiebekämpfung, weil sie Infektionsherde viel schneller identifizieren kann, als es mit Bleistift und Zettel möglich ist. Wenn Sie zum Beispiel in der Bahn neben einer unbekannten Person sitzen, die drei Tage später positiv getestet wird: Würden Sie darüber nicht gern informiert werden? Die App kann das.

Und dabei bleiben Sie und die Person anonym. Sie erhalten lediglich eine Benachrichtigung und die Empfehlung, sich testen zu lassen. Die App ist kein Allheilmittel, ganz sicher nicht. Aber sie ist Teil des gesamtgesellschaftlichen Krisenmanagements.

Deshalb sind auch so viele unterschiedliche Akteure beteiligt: Neben SAP, Deutscher Telekom und Bundesregierung auch das Robert Koch-Institut als offizieller Herausgeber und das Fraunhofer-Institut als Prüfer für die Bluetooth-Schnittstellen-Qualität. Aber wir Unternehmen, auch Verbände und Organisationen allein, können den Erfolg der App nicht herbeiführen.

Dafür brauchen wir die Beteiligung aller. Nur wenn wir möglichst alle Menschen vom Sinn und Nutzen der App überzeugen, wird sie ein Erfolg. Und zum wesentlichen Meilenstein auf dem Weg aus der Krise hin zu wieder mehr Freiheit in Sicherheit und zu einem Stück mehr von der neuen Normalität in unserem Alltag.

Wir sehen in unserer Verantwortung daher nicht nur die technische Entwicklung, sondern ganz klar auch die transparente Information aller Bürgerinnen und Bürger. Nur wer versteht, kann einverstanden sein. Im Gegenzug wünschen wir uns eine sachorientierte Debatte – und eine Offenheit gegenüber dieser für uns alle ungewohnten Form der Gesundheitsvorsorge.

Große Chance

Die Entwicklung dieser App stellt ein wichtiges Stück Digitalisierung im Gesundheitswesen dar. Über 65.000 Besucher haben sich die bereits veröffentlichten Quellcodes schon angesehen, und viele davon haben eigene Vorschläge für Verbesserungen gemacht. Dieses Engagement ist herausragend und das klare Zeugnis einer lebendigen Software-Engineering-Kultur in Deutschland.

Im Hintergrund der App haben wir den Informationsfluss zwischen Ärzten, Prüfzentren und den Labors in ganz Deutschland digitalisiert. Ein weiteres Beispiel für die Fähigkeiten dieses Landes, sich zu verändern und anzupassen.

Das Projekt zeigt exemplarisch, worum es bei der Bekämpfung dieser Pandemie geht, jenseits der gesundheitlichen Aspekte: um gesellschaftlichen Zusammenhalt und Legitimation, Akzeptanz und Vertrauen – in die Demokratie, aber auch in die konstruktive Kraft des digitalen Fortschritts.

Der offen einsehbare Code der App und damit ihr quasi demokratischer Audit sind eine Chance, durch breiten Konsens diesem Land einen Digitalisierungsschub zu geben – nicht zum Nutzen einzelner Akteure, etwa in der Politik, im Gesundheitswesen oder der IT-Industrie. Sondern zum Wohle unserer gesamten Gesellschaft, zu der jeder einzelne Mensch seinen Beitrag leisten kann. Lassen wir diese Chance nicht verstreichen. Machen Sie mit!

Mehr: Schwierige Abstandsmessung per Bluetooth: Warum die Corona-Warn-App ein Experiment ist.

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