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GastkommentarEuropa braucht Alternativen zu den „Big Techs“

Ein Großteil der mobilen Zahlungen in Europa läuft über Technologieplattformen globaler Anbieter. Europas Banken müssen eine einheitliche Alternative zu den „Big Techs“ schaffen.Burkhard Balz, Sylvie Goulard 02.07.2020 - 04:00 Uhr

Burkhard Balz ist Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank. Sylvie Goulard ist Vizepräsidentin der Banque de France.

Foto: Manuel Hauptmannl, Banque de France

Wie wir arbeiten und lernen, wirtschaften und einkaufen, hat sich in den vergangenen Monaten sehr verändert. Der „Coronaschock“ hat unseren Alltag weiter digitalisiert. So nutzen Verbraucher offenbar häufiger bargeldlose Bezahlverfahren.

Sie zücken nun selbst beim Bäcker ihre Karte oder gar das Smartphone. Viele Geschäfte empfehlen sogar ausdrücklich, kontaktlos zu zahlen. Außerdem kurbelten Verhaltensregeln wie „Bleibt zu Hause und haltet Abstand“ den Onlinehandel an, was ebenfalls elektronische Zahlungen beflügelte. Aus heutiger Sicht wird das Bezahlverhalten wohl nicht mehr zum Vor-Corona-Zustand zurückkehren.

Zentralbanken gewährleisten, dass der elektronische Zahlungsverkehr effizient und sicher abgewickelt wird. Daher setzen sie sich – nicht nur in Krisenzeiten – dafür ein, dass Banken und Zahlungsdienstleister innovative, nutzerfreundliche Lösungen anbieten.

Jedoch läuft ein Großteil der Karten-, Online- und mobilen Zahlungen in Europa heute bereits über die Technologieplattformen globaler Anbieter und Kartensysteme. „Big Techs“ beherrschen durch ihr umfassendes, an einen internationalen Kundenkreis gerichtetes Dienstleistungsangebot zunehmend den Markt. Am Ende sehen sich die Verbraucher an eine der großen, in sich geschlossenen Plattformen gebunden.

Hinzu kommt, dass sie auf diese Weise Zahlungsdaten mit vielen anderen Kundendaten verknüpfen können. Das verstärkt Bedenken beim Datenschutz. Überdies setzen solche Anbieter digitaler Zahlungslösungen häufig auf die Infrastruktur und regulatorische Umsetzung der Banken auf, ohne aber die Kosten dafür mitzutragen.

Für die Banken wiederum besteht die reale Gefahr, den direkten Kontakt zu ihren Kunden zu verlieren und so von den Big Techs verdrängt zu werden.

Diese Entwicklung birgt beachtliche Herausforderungen – für die Regulierungs- und Aufsichtsbehörden wie für die Gesellschaft in Europa insgesamt. Denn in der Pandemie zeigte sich, wie wichtig es ist, dass der Zahlungsverkehr in der EU für die Bürger störungsfrei funktioniert.

Dazu gehören selbstverständlich eigenständige europäische Zahlungslösungen. Die Abhängigkeit von außereuropäischen Anbietern könnte sonst die Souveränität Europas aufs Spiel setzen.

Zwar gibt es erfolgreiche Zahlungssysteme wie die Girocard in Deutschland, Cartes Bancaires in Frankreich oder digitale Lösungen für Internet- und mobile Zahlungen. Sie stehen vielen Nutzern zur Verfügung – aber eben nur auf nationaler Ebene.

European Payment Initiative

Im Gegensatz dazu bieten die internationalen Anbieter ihre Leistungen überall in Europa an. Durch die hiesige „Kleinteiligkeit“ in einer digital vernetzten Welt sinkt die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Zahlungsdienstleister – zulasten der Bürger.

Für die europäischen Anbieter besteht also Handlungsbedarf. Daher haben Banken von der Nordsee bis zum Mittelmeer die European Payment Initiative gestartet. Ihr Ziel ist es, dass Verbraucher überall in Europa einheitlich, bequem, sicher und effizient bezahlen können, an der Ladenkasse ebenso wie im Internet.

Wohlgemerkt, mit unabhängigen Lösungen ihrer vertrauten europäischen Banken. Echtzeitzahlungen, mit denen innerhalb von Sekunden Überweisungen in ganz Europa möglich sind, wären ein wesentlicher Bestandteil. Zu einem späteren Zeitpunkt wäre auch eine weltweite Nutzung denkbar. Die European Payment Initiative bietet die Chance, europäische Interessen zu bündeln und Unabhängigkeit zurückzuerlangen. Sie ist ausdrücklich auch für weitere Anbieter offen.

Erhebliche Investitionen nötig

Zweifellos erfordert eine solche Neuordnung der europäischen Zahlungsverkehrslandschaft erhebliche Investitionen, und das in einer Zeit, in der Ressourcen knapp sind und der wirtschaftlichen Erholung zu Recht Priorität eingeräumt wird. Dennoch ist es wichtig, dass die europäischen Banken weiterhin energisch an einer überzeugenden Zahlungslösung arbeiten.

Die EU-Kommission begleitet diese Arbeiten mit ihren Strategieüberlegungen für digitale Zahlungen. Auch die EZB hat eine Führungsrolle übernommen. Gleichzeitig steht die Digitalisierung auf der Agenda der deutschen EU-Ratspräsidentschaft weit oben.

Mit der digitalen Geldbörse macht die European Payment Initiative den ersten Schritt, um allen europäischen Verbrauchern und Unternehmen digitale Zahlungsdienstleistungen zur Verfügung zu stellen – und kann damit Wegbereiter für programmierbares Geld sein.

Die Behörden und Zentralbanken in Europa sind bereit, die European Payment Initiative und andere Marktinitiativen im Rahmen ihrer Mandate zu unterstützen. Dazu gehört regulatorische Berechenbarkeit ebenso wie Klarheit darüber, wie mögliche rentable Geschäftsmodelle aussehen können.

Es ist von zentraler Bedeutung, dass Banken und Zahlungsdienstleister in Europa die aktuelle Dynamik nutzen und überzeugende Lösungen liefern, die die Souveränität und Wettbewerbsfähigkeit Europas unterstützen und gleichzeitig die Bedürfnisse der Verbraucher sowie der Unternehmen erfüllen.

Mehr: Bundesdatenschützer Kelber sieht Datenschutz als Chance für neue Geschäftsmodelle

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