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GastkommentarEuropa braucht jetzt eine funktionierende Bankenunion

Der Ukrainekrieg hat eine neue Einigkeit in Europa geschaffen. Die sollte auch zu einheitlichen Regeln für die europäischen Banken führen, fordert Unicredit-Chef Andrea Orcel. 22.04.2022 - 08:07 Uhr Artikel anhören

Andrea Orcel ist Group CEO von Unicredit.

Foto: Unicredit

Vor knapp zwei Monaten begannen die russischen Truppen mit ihrem Angriff auf die Ukraine, und die Zahl der Menschen, die ihr Leben oder ihre Lebensgrundlage verloren haben, steigt weiter exponentiell an.

Auch wenn es unmöglich ist, die Tragödie des Krieges wiedergutzumachen, sollte eines der Vermächtnisse dieses Konflikts doch die Einigkeit sein, die diese internationale Krise hervorgerufen hat. Und das, was wir daraus gelernt haben, sollten wir nutzen, um Frieden und Wohlstand in Europa zu sichern.

Wir haben erlebt, wie Deutschland, ein Land, das stark vom russischen Gas abhängig ist, als Reaktion auf die Krise historische Veränderungen in der Außen- und Verteidigungspolitik vorgenommen hat. Die Stärke eines geeinten Europas und von Ländern wie Deutschland, die europäische Werte über ihre Einzelinteressen stellen, war – wenn es das überhaupt geben kann – eine positive Folge dieser Ereignisse.

Sanktionen gibt es nicht zum Nulltarif

Wir können und sollten die Bedeutung dieser Geschlossenheit nicht unterschätzen – sowohl für Europa als politischen als auch als wirtschaftlichen Verbund. Und dies wird auch über die unmittelbare aktuelle Situation hinaus noch spürbar sein.

Doch Sanktionen gibt es nicht zum Nulltarif. Sie verlangen Opfer, und auch noch so gut gemeinte Maßnahmen können unbeabsichtigte Folgen haben.

>> Lesen Sie hier: Wie eine scharfe Regulierung Europas Banken benachteiligt

Wir sehen bereits die Auswirkungen in Form von langsamerem Wirtschaftswachstum und einer gestiegenen Inflation in ganz Europa und in der industriell geprägten deutschen Wirtschaft. Das trifft die einzelnen Bürger, die Haushalte und die Unternehmen, die bereits jetzt die Belastungen beim Blick auf ihre Haushaltsrechnungen und auf ihren Lebensunterhalt sehen.

Wenn es darum geht, diese Auswirkungen abzufedern, wird die Frage gestellt werden, welche Rolle Banken dabei übernehmen können und müssen. Die Banken, das Herzstück des globalen Finanzsystems, haben eine zentrale Aufgabe bei der Reaktion auf die Ereignisse in der Ukraine.

Einerseits, um die verhängten Sanktionen durchzusetzen, und auch, um zu helfen, die Auswirkungen auf die Volkswirtschaften weltweit abzufedern, anstatt sie zu verstärken.

Ich bin davon überzeugt, dass Banken eine wichtige soziale Funktion haben, die weit über die Vergabe von Krediten hinausgeht.
Andrea Orcel

Während die Lebenshaltungskosten steigen und der Lebensstandard der Europäer sinkt, bin ich davon überzeugt, dass Banken eine wichtige soziale Funktion haben, die weit über die Vergabe von Krediten hinausgeht: Es gilt, Menschen, die sich in Notlagen befinden, wirtschaftliche Unterstützung und Know-how zu bieten, die Verteilung der Ressourcen zu steuern und die Auswirkungen dieser Krise abzuschwächen.

Wie wir in der Pandemie gesehen haben, müssen sich die Banken wieder auf ihre grundlegende Aufgabe besinnen. In den vergangenen zwei Jahren waren Banken in vielen Fällen ein Rettungsanker für angeschlagene kleine und mittlere Unternehmen und halfen mit unkomplizierten Krediten aus den Förderprogrammen und mit neuen Mitteln, die die Erholung der europäischen Wirtschaft ankurbeln sollten.

Ein weiterer Beweis für die wichtige Rolle des Finanzsektors in dieser Krise ist das in diesem Monat von der deutschen Regierung eingeführte Hilfspaket für die von den Kriegsfolgen betroffenen Unternehmen, das ein Programm für kurzfristige Kredite in Höhe von 100 Milliarden Euro enthält.

Unsere Banken müssen jetzt für die Unternehmen da sein und ihrer Aufgabe bei der Finanzierung des Europas von morgen gerecht werden. Die derzeitige geopolitische Lage macht jedoch auch deutlich, dass eine größere wirtschaftliche Einheit in Europa erforderlich ist.

Europa ist weit davon entfernt, sein volles Potenzial auszuschöpfen

Wir sind noch weit davon entfernt, das volle Potenzial Europas auszuschöpfen. Während beispielsweise die gesamte Marktkapitalisierung der US-Unternehmen in den letzten sieben Jahren um 120 Prozent auf fast 55 Billionen US-Dollar im Jahr 2021 gestiegen ist, hat sich die Marktkapitalisierung der Euro-Zone im gleichen Zeitraum nur um 50 Prozent auf etwa acht Billionen US-Dollar erhöht.

Unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik ist zu uneinheitlich: Wir brauchen Einigkeit und größere Einheitlichkeit, wenn wir erfolgreich sein wollen. In den vergangenen Wochen, als die einzelnen Nationen zusammenkamen, um sich gegen Russland zu stellen, haben wir gesehen, dass dies möglich ist.

Aber daraus müssen wir lernen, wenn wir in die Zukunft blicken. Europa braucht einheitliche Kapitalmärkte, eine funktionierende Bankenunion, eine einheitliche Fiskalpolitik, und wir müssen unsere Banken und Regierungen zur Zusammenarbeit bringen.

Leider ist der EU-Binnenmarkt nicht vollständig integriert, vor allem nicht für Dienstleistungen, einschließlich Finanzdienstleistungen. Jetzt ist es an der Zeit, mutig über unseren Ansatz für das Bankwesen in Europa nachzudenken und die wirtschaftlichen Vorteile eines einheitlichen Markts voll auszuschöpfen.

Die Schaffung einer Bankenunion ist ein wichtiger Schritt nach vorn, um die Abschottung zu beenden und Regulierungen zu beseitigen, die eine grenzüberschreitende Konsolidierung und den freien Kapitalverkehr in der Euro-Zone verhindern.

Für Finanzdienstleister, die einfach nur ihre Kunden unterstützen wollen, erscheint die EU derzeit eher wie ein Konglomerat aus 27 verschiedenen Märkten. Das muss sich ändern.

Der europäische Bankensektor braucht ein einheitliches Regelwerk

Wir brauchen einen Bankensektor, der als Sektor mit einem einheitlichen Regelwerk wahrgenommen wird. Dies wäre ein großer Vorteil für die Verbraucher, die Banken und die Wirtschaft und sollte angesichts der Auswirkungen dieses Krieges auf Europa nicht übersehen werden.

Es gilt, einen zukunftsfähigen europäischen Bankensektor zu schaffen, der auch künftig internationales Kapital anzieht, um die wirtschaftliche Erholung in Deutschland und Europa anzukurbeln. Dabei kommt den einzelnen Banken eine entscheidende Rolle zu.

Der Bankensektor trägt in dieser turbulenten Zeit Verantwortung gegenüber Kunden und Gemeinschaften.
Andrea Orcel

Banken sind das finanzielle Bindeglied für Privatpersonen, Unternehmen und Regierungen und spielen eine Schlüsselrolle bei der Förderung von Talenten auf diesem Kontinent. Auf diese Weise ermöglichen sie den Erfolg finanzpolitischer Maßnahmen zur Ankurbelung des Wachstums – besonders wichtig in Zeiten der Krise.

Die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen des Ukrainekriegs auf Länder wie Deutschland sind noch nicht absehbar, aber der Bankensektor trägt in dieser turbulenten Zeit Verantwortung gegenüber Kunden und Gemeinschaften.

Wir von der Hypo-Vereinsbank haben, wie manch andere Unternehmen auch, ein Hilfspaket für die Menschen geschnürt, die aus der Ukraine fliehen mussten.

Es wurden Bankkonten eröffnet, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben Zeit und finanzielle Unterstützung aufgebracht, und wir helfen unseren deutschen Partnern auch weiterhin dabei, Fortschritte auf dem Weg zu einer nachhaltigeren, integrativeren und gerechteren Gesellschaft zu machen.

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Die Banken sind das Rückgrat der Weltwirtschaft. Sie stehen in der Verantwortung, die wirtschaftlichen Auswirkungen globaler Ereignisse auszugleichen, unsere Volkswirtschaften und die Gesellschaft beim Wiederaufbau zu unterstützen und unsere gemeinsamen europäischen Werte zu verteidigen.

Die Ungewissheit und Instabilität der vergangenen Wochen haben dieser Verantwortung und der Bedeutung eines vereinten Europas noch mehr Nachdruck verliehen.

Der Autor: Andrea Orcel ist Group CEO von Unicredit

Mehr: Die Konsolidierung in Europas Bankensektor kommt – erst national, dann international

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