Newsletter Shift: Europas Paypal-Moment? Was Wero über unsere digitale Souveränität verrät

Beim Begriff „kritische Infrastruktur“ denke ich zuerst an Krankenhäuser, Flughäfen oder Bahnhöfe. Dabei gehören natürlich auch digitale Systeme dazu: Telekommunikationsnetze, Rechenzentren, Clouds – und der Zahlungsverkehr.
Wer in diesen Bereichen Software, Schnittstellen und Datenflüsse kontrolliert, hat enorme Macht. In Europa liegt ein großer Teil dieser Macht bei US-Konzernen wie Paypal, Visa und Mastercard. Kein europäischer Anbieter gehört zu den globalen Top-Payment-Playern.
Solange beim Onlineshopping oder im Supermarkt alles funktioniert, bemerken wir unsere Abhängigkeit von US-Konzernen nicht. Doch sie ist riskant – nicht erst, seit US-Präsident Donald Trump die Macht der Tech-Konzerne als Hebel in geopolitischen Konflikten erkannt hat.
Die Europäische Zentralbank (EZB) warnt seit Jahren vor der Abhängigkeit. Ihr zufolge betreiben Banken lediglich in neun EU-Ländern nationale Kartenzahlungssysteme – darunter Deutschland, Frankreich und Italien.
In 13 weiteren Euro-Ländern laufen die Kartenzahlungen komplett über die internationalen Systeme wie Visa und Mastercard. Ohne technische Infrastruktur und Hardware aus den USA wären also europaweit an vielen Orten keine Zahlungen möglich.
So reagiert die EU auf die Macht der US-Konzerne
Die Antwort der Europäischen Union auf Abhängigkeiten und Verwundbarkeiten lautet oft: regulieren. Regeln sollen Monopole begrenzen, Märkte öffnen. Innovationen sollen also ermöglicht werden, indem alle Marktteilnehmer dieselben Startbedingungen haben.
Gleichzeitig klagen Unternehmen aus vielen Branchen über starre Vorgaben und Bürokratie aus Brüssel. Die Zahl, die der EU-Sonderbeauftragte Mario Draghi in seinem Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit der EU schrieb, unterstreicht das.
Bis 2019 habe die EU 13.000 Gesetze erlassen, die USA hingegen nur 5000. Der ehemalige Chef der EZB rät daher, weniger und dafür zielgerichteter zu regulieren.
Innovationen und strikte Regeln – schließt sich das nicht gegenseitig aus? In den Sektoren Datensicherheit, Finanzen und Technologie zeigen zwei Beispiele, wie zumindest kluge Regulierung auch Freiräume für Innovationen schaffen kann:
Doch Regeln und Leitplanken allein schaffen noch keine digitale Souveränität, erst recht keine Konkurrenten für US-Unternehmen wie Paypal, Visa oder Mastercard. Die Innovationen müssen Banken, Fintechs und Zahlungsdienstleister liefern.

Genau hier setzt die European Payments Initiative (EPI) an, zu der sich Banken und Zahlungsanbieter aus fünf EU-Staaten zusammengeschlossen haben. Gemeinsam haben sie eine Infrastruktur entwickelt, die seit Juli 2024 Handy-zu-Handy-Zahlungen ermöglicht und nun auch Onlinezahlungen bei Händlern. Der Dienst heißt „Wero“. Die Hoffnungen sind groß, dass Europa durch Wero beim Zahlen unabhängiger und souveräner wird.
Das kann der Paypal-Konkurrent Wero
Technische Grundlage zum Aufbau der Plattform – und damit zur länderübergreifenden Zusammenarbeit der Institute – war eine weitere EU-Regulierung: die Instant-Payment-Verordnung, die seit 2024 gilt.
Sie verpflichtet Banken im Euro-Raum schrittweise dazu, rund um die Uhr Echtzeitüberweisungen anzubieten – zu Gebühren, die nicht höher sein dürfen als bei normalen Überweisungen. So hat Brüssel ein eigenes, offenes, durchgehend verfügbares Netz für Zahlungen geschaffen, das allen Marktteilnehmern zur Verfügung steht und dieselben Chancen bietet. Derzeit zählt Wero europaweit etwa 46 Millionen Nutzer.
Doch wie funktionieren die Überweisungen per Wero genau?
Diese letztgenannte Bedingung ist noch ein Problem: Privatkunden, deren Banken nicht Teil der EPI sind, können Wero nicht nutzen. Zwar sind viele Sparkassen und Volksbanken und internationale Anbieter wie Revolut dabei. Doch noch fehlen viele Institute.
Diese Vorteile bietet Wero im Handel
Und im Handel? Shops könnten durch die Struktur mehr direkten Kundenkontakt haben, und sie sollen von geringeren Kosten profitieren: Sparkassen nennen 0,77 Prozent pro Wero-Transaktion, deutlich weniger als bei Paypal, wo die Gebühren häufig zwischen 1,6 und 2,99 Prozent plus Fixkosten liegen.
Für Wero haben sich zwar schon einige Plattformen entschieden, etwa der Ticketdienstleister Eventim, Hornbach-Baumärkte und die Sportkette Decathlon. Andere Unternehmen, darunter Lidl und Media-Markt-Saturn, sollen den Einstieg planen.
Insgesamt ist Wero aber noch weit davon entfernt, das Onlinegeschäft so zu durchdringen wie Paypal. Gemessen am Umsatz kommt Paypal im E-Commerce auf einen Marktanteil von 30 Prozent, wie das Institut EHI erhoben hat.
Ein weiterer Konflikt zeichnet sich ab: Die EZB arbeitet daran, einen digitalen Euro einzuführen. Damit reagiert die EZB darauf, dass europaweit immer weniger Bargeld genutzt wird. Die neue Digitalwährung soll Bargeld aber nicht ersetzen, sondern ergänzen.

Handelsunternehmen unterstützen das, weil sie sich günstigere und sichere Bezahlverfahren erhoffen. Teile des Finanzwesens sehen das jedoch anders – darunter auch Institute, die zur EPI gehören. Sie fürchten, dass der digitale Euro ihren Status schwächen könnte. Verschiedene Interessen, viel Komplexität: Verspielt Europa gerade das Momentum?
Pauschal lässt sich die Frage kaum beantworten. Zumindest hinter Wero steckt mehr: Durch das Projekt kann Europa im Zahlungsverkehr unabhängiger werden, eben weil es auf europäischer Infrastruktur aufbaut. Um das Potenzial auszuschöpfen und ein Momentum zu kreieren, müsste die Zahl der Banken aus unterschiedlichsten Ländern und Unternehmen, die Teil von Wero sind, steigen.
Dass auch in Europa durch Kooperationen globale Champions entstehen können, zeigen zwei Unternehmen: Airbus und Spotify. Der Luftfahrtkonzern ist der größte Flugzeughersteller der Welt, und der Streaminganbieter aus Schweden revolutionierte einen Markt mit einem innovativen Ansatz.
Auch auf uns Verbraucherinnen und Verbraucher kommt es an, wenn uns europäische Datenschutz- und Regulierungsstandards wirklich wichtig sind – indem wir unsere Gewohnheiten ändern. Derzeit liegt Wero im deutschen App-Store von Apple auf Rang 22 der am häufigsten heruntergeladenen Finanz-Apps.
Was muss aus Ihrer Sicht passieren, damit die EU unabhängiger wird? Schreiben Sie uns gern eine Mail. Wir freuen uns, von Ihnen zu hören!






Bleiben Sie optimistisch!
Dieser Text ist zuerst am 8. Dezember 2025 im Newsletter Handelsblatt Shift erschienen. Den Newsletter können Sie hier abonnieren.





