Geoeconomics: Die USA sind nun unter denen, die die EU zerstören wollen

Seit der Veröffentlichung der US-amerikanischen Nationalen Sicherheitsstrategie (NSS) sollte jedem klar sein, dass die USA nicht nur das Lager der Transatlantiker verlassen haben, sondern in das Lager derjenigen gewechselt sind, die die EU zerstören wollen. Ein Lager, dem Russland und China schon lange angehören. Eigentlich hätte das, was die NSS über Europa sagt, niemanden überraschen dürfen.
Dass Europa sich aus Sicht der Trump-Regierung selbst zerstört und populistische Parteien ein bevorzugter Ansprechpartner der Trump Administration sind, weiß man spätestens seit J.D. Vances Auftritt bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Aber wie so oft braucht Europa Zeit, um das Ausmaß dessen zu begreifen, was sich seit dem Amtsantritt der Trump-Regierung abspielt.
Mit Russland, dessen neoimperiale Ambitionen weit über die Ukraine hinausreichen, und mit China, das Europa wirtschaftlich zunehmend unter Druck setzt, wird Europa, die EU, nun von drei Seiten bedrängt. Alle drei Akteure haben ein gemeinsames Ziel: die EU als globale Wirtschaftsmacht zu zerstören und zu verhindern, dass ihre Mitgliedstaaten zu einer politisch relevanten Kraft in der sich abzeichnenden internationalen Ordnung des 21. Jahrhunderts werden.
Es ist nicht zielführend, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs auf die Entwicklungen in den USA wie die drei berühmten Affen reagieren, sich weigern, die Wahrheit zu sehen und zu hören, und sich vor allem weigern, darüber zu sprechen.
Das mantraartige Beschwören der Bedeutung der USA für die Europäer wird Washington nicht davon überzeugen, seine grundsätzliche Haltung gegenüber dem alten Kontinent zu ändern, sondern es vielmehr ermutigen, ein Europa, das sich ohnehin schon schwach präsentiert, weiter zu demütigen.
Dies wirft die Frage auf, welche Optionen Europa in dieser Situation noch hat, um zu vermeiden, dass es ein Spielball in der neuen Weltordnung der Autokraten und Diktatoren wird.
Erstens: Vieles wird davon abhängen, wie sich Europa in Bezug auf die Ukraine positioniert, denn dort findet der zentrale Konflikt um die zukünftige Ordnung Europas, aber auch um die zukünftige Ordnung des internationalen Systems statt. Rhetorische Parolen der Beharrlichkeit helfen der Ukraine nicht weiter. Sie braucht Waffen und Geld. Europa stellt beides zur Verfügung, aber nicht in ausreichendem Maße.
Die Freigabe der eingefrorenen russischen Vermögenswerte wäre ein starkes Signal an Moskau, dass wir bereit sind, die Ukraine langfristig zu unterstützen, und ein Signal an Washington, dass Europa willens und in der Lage ist, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.
Zweitens: Europa muss aufhören, die USA als Bezugspunkt für alles zu nehmen, was es tut. Es kann die USA langfristig nicht beeinflussen. Konzentrieren wir uns auf Europa und die Stärkung seiner Wirtschafts- und Verteidigungspolitik. Dann entdecken die USA vielleicht ihr Interesse an einer Partnerschaft wieder. Wenn ja, gut; wenn nicht, ist das auch in Ordnung.
Die Stärkung Europas bedeutet jedoch, dass es keine Tabus geben darf. Auf wirtschaftlicher Seite wissen die Staaten eigentlich, was zu tun ist. Das steht alles in den Berichten von Draghi und Letta. Auf verteidigungspolitischer Seite müssen die Beschaffungsprozesse beschleunigt werden. Mehr europäische Beschaffungs- und Entwicklungsprojekte sollten durch gemeinsame Kreditaufnahme finanziert werden. Dabei handelt es sich nicht um eine Neuauflage von Euro-Bonds, sondern um sehr spezifische projektbezogene Kredite.
Drittens: Europa braucht eine Verteidigungsunion. Und zwar nicht unter allen EU-Mitgliedern, sondern unter denen, die dazu in der Lage und bereit sind, einschließlich Großbritanniens, Norwegens und vielleicht der Türkei. Eine solche Union wäre der Verteidigungsarm der EU und könnte gleichzeitig die europäische Säule in der Nato darstellen. Dabei kann es nicht darum gehen, die USA vollumfänglich zu ersetzen. Wie der polnische Außenminister kürzlich erklärte, sollte es nicht das Ziel Europas sein, mit der militärischen Macht der USA gleichzuziehen. Es reicht, wenn Europa besser wird als Russland.
Eine solche Entwicklung geschieht jedoch nicht über Nacht und vor allem nicht aus dem Nichts. Sie erfordert politische Führungsstärke und den Mut, mit alten Traditionen zu brechen. Es bleibt nicht viel Zeit, um solche Entwicklungen in Gang zu setzen, denn die Gegner Europas arbeiten bereits aktiv daran, es zu schwächen oder sogar zu zerstören.





Die Maxime für Europas dringend notwendige Selbstbehauptungsversuche muss jetzt daher lauten: „Go big or go home.“







