Gastkommentar – Global Challenges: China übernimmt Führung bei Entwicklungshilfe – Europa zaudert

Entwicklungspolitik steht in Deutschland wie Europa unter immensem Druck: Öffentliche Gelder sind knapp. Der außenpolitische Fokus liegt auf der klassischen Verteidigung. Und alle Ausgaben, die eher langfristig als kurzfristig Erträge liefern, stehen unter besonderem Rechtfertigungszwang.
Der Versuch, die deutsche Strategie für Entwicklungshilfe neu aufzustellen, ist daher in vollem Gange. Im Fokus stehen der stärkere Nachweis der eigenen Effizienz sowie Wirtschaftlichkeit auf der einen Seite und die engere Verzahnung der Entwicklungspolitik mit deutschen strategischen Interessen – Stichwort Außenwirtschaftsförderung – auf der anderen.
Beides ist richtig und wichtig. Beides richtet sich aber vor allem nach innen – an die Kritiker der Entwicklungszusammenarbeit bei uns zu Hause. Was in der deutschen und der europäischen Debatte aktuell in den Hintergrund rückt, ist das Narrativ nach außen. In Richtung unserer potenziellen Partner in der Welt.
Die Frage, wie die bestehende internationale Ordnung ihr Entwicklungsversprechen besser einlösen und wie die Bereitstellung globaler öffentlicher Güter wie Klimaschutz und globale Gesundheit gelingen kann, bewegt viele Regierungen im Globalen Süden. Gerade jetzt, da sich die USA aus ihrer internationalen Führungsrolle immer stärker zurückziehen. Wenig überraschend war diese Entwicklung zentrales Thema des G20-Gipfels in Südafrika.
Bereits vor Beginn der zweiten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump waren die Fortschritte, um die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, mangelhaft und die internationale Gemeinschaft gefühlt handlungsunfähig im Angesicht wachsender Klimakatastrophen.
China präsentiert eine attraktive Vision
Dieses fehlende „Liefern“ in den Bereichen Entwicklung und globale Problemlösung, das sich mit dem amerikanischen Rückzug noch deutlich verschlimmern dürfte, ist vom generellen Vertrauensverlust nicht zu trennen, den viele in der Welt mit Blick auf die internationale Ordnung verspüren.
Keineswegs nur, aber ganz besonders in vielen Ländern des Globalen Südens. Gerade deshalb darf eine Neuaufstellung der deutschen Entwicklungspolitik diese zentrale Frage nicht herunterstufen.
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Aktuell ist es aber hauptsächlich China, das Antworten vorlegt. Während die Vereinigten Staaten nicht einmal am G20-Gipfel teilgenommen haben und die entwicklungspolitische Neuausrichtung Deutschlands und Europas sich zunächst an den inneren Kritikern abarbeitet, schafft es China, eine erfolgversprechende Vision zu präsentieren.
In den vergangenen Jahren hat Peking zahlreiche globale Initiativen gestartet, die es allesamt explizit als alternative chinesische Angebote für internationale Entwicklung verstanden wissen will. Es präsentiert damit die Vision einer neuen Ordnung, die den Bedürfnissen und Interessen der Länder des Globalen Südens deutlich besser gerecht wird. Erst im September ergänzte die Volksrepublik unter Führung von Partei- und Staatschef Xi Jinping die bereits vierte Initiative, welche ihren Fokus auf die Reform internationaler Organisationen legt.
Berlin und Brüssel müssen zeigen, welchen Beitrag sie leisten wollen
Eine für die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) durchgeführte Umfrage zeigt, dass Peking sich damit durchaus erfolgreich als Akteur positioniert, der die von den USA gerissenen Lücken füllen kann und dessen Außenpolitik dem globalen Gemeinwohl dient.
Westliche Kritiker mahnen zwar, Peking habe im Rahmen seiner abstrakt formulierten Initiativen bislang noch wenig Konkretes geliefert. Dennoch sind absolute Mehrheiten der für die MSC Befragten in Brasilien, Indien, Indonesien, Südafrika und der Türkei davon überzeugt, dass Chinas Außenpolitik für andere Länder der Welt konkrete Vorteile liefert – von 54 Prozent in Indien bis zu 70 Prozent in Indonesien.
Chinas Narrativ verbesserter Entwicklungskooperation und Bereitstellung globaler öffentlicher Güter dominiert aber auch deshalb die internationale Debatte, weil europäische Staaten nicht beherzt eine eigene Vision forcieren. Selbst der bisher ambitioniertesten Initiative der Europäischen Union im Bereich globale Entwicklung – die Global Gateway Initiative – attestieren Kritiker geringe Sichtbarkeit und eine bislang schleppende Umsetzung.
Aus der Neuaufstellung, die das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bis Ende des Jahres abschließen will, sollte deshalb auch eine klare Nachricht an die Partner in der Welt hervorgehen: dazu, welchen Beitrag Berlin, gemeinsam mit seinen europäischen Partnern, zu leisten bereit ist, um das Entwicklungsversprechen der internationalen Ordnung wieder mit Leben zu füllen. Und wie die Bereitstellung globaler öffentlicher Güter auch ohne die USA gelingen kann – unter Einbindung neuer Partner und trotz zunehmend knapper Kassen.
Wenn Deutschland und Europa diese Antwort nicht liefern, tun andere es. Aber ihre Vision ist nicht zwingend in unserem Sinne.






Die Autorin: Sophie Eisentraut ist Expertin für Außen- und Sicherheitspolitik und Head of Research & Publications bei der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC).
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